Die ehemalige Synagoge in Hainsfarth im Norden des Landkreises Donau-Ries ist zu einem lebendigen Treffpunkt geworden. Das war nicht immer so. Früher war die Zahl der Gäste übers Jahr verteilt an vier Händen abzuzählen. Heute sind es bis zu 1000 Menschen, die kulturelle Veranstaltungen sehen und hören wollen. Dazu beigetragen hat allen voran die Vorsitzende des Freundeskreises der Synagoge, Sigried Atzmon. Eine schwierige und fordernde Aufgabe, die sich auf das gesamte Ries erstreckt.
Immer wieder, doch seit mehr als einem Jahr verstärkt, sehen Besucherinnen und Besucher vor dem jüdischen Ensemble mit Synagoge, dem als Denkmal errichteten Tauchbad (Mikwe) und der jüdischen Schule eine Polizeistreife. Eigentlich will Sigried Atzmon den Gästen nicht erklären müssen, weshalb der Polizeischutz nötig ist, schon gar nicht den Schulklassen. Doch wegen des anhaltenden Antisemitismus und seit den Anschlägen auf Synagogen in Deutschland werden auch in Bayern jüdische Einrichtungen wachsamer kontrolliert. Für Sigried Atzmon ist das nicht neu. Ihr halbes Leben, so erzählt sie heute, habe sie mit Polizeischutz leben müssen. Wer das erlebt hat, findet auch heute Worte, um sich für das jüdische Erbe starkzumachen.
Vor ungefähr 16 Jahren begann ihre Aufklärungsarbeit in Hainsfarth. Schon als Jugendliche engagierte sie sich in jüdischen Ferienlagern, verbrachte viel Zeit in einem jüdischen Sportverein in Berlin, wo sie im Zweiten Weltkrieg geboren wurde. Viele Jahre lebte sie in Israel, kam dann wieder zurück nach Deutschland. Sie wohnte zuerst in Frankfurt, arbeitete für eine große Fluggesellschaft, zog dann nach Nördlingen und stellte sich irgendwann die Frage: "Was mache ich hier?" Sie besuchte am Europäischen Tag der Jüdischen Kultur, dem 4. September, den Hainsfarther Friedhof. Sie begegnete der inzwischen verstorbenen Bürgermeisterin Ursula Seefried. Atzmon lehnte zunächst ab, als Seefried fragte, ob sie sich engagieren wolle, bekundete aber weiterhin ihr Interesse an jüdischen Einrichtungen.
Als Vorsitzende und als Frau kämpft sie gegen Antisemitismus
Als die frühere Bürgermeisterin nicht nur das Rathaus verließ, sondern auch als Vorsitzende des Freundeskreises aufhörte, wurde Sigried Atzmon in das Amt gewählt. Da arbeitete sie bereits einige Zeit für den Verein. Ihr Wunsch war es, die Synagoge wieder mit Leben zu füllen. Und auch wenn die Erinnerung in ihren Augen nicht sterben dürfe, so liegt ihr Ansatz bis heute in der Gegenwart. Sigried Atzmon sagt dazu, das Programm müsse "am Sprachrohr der Zeit" sein. Im Kampf gegen den Antisemitismus müsse man noch dazu flexibel sein. Jeder Termin wird aktuell vorbereitet, immer an das Zeitgeschehen angepasst, ohne erhobenen Zeigefinger. Und sie sagt: "Wir sind keine Religionsschule, sondern eine Gedenk- und Begegnungsstätte."
Sigried Atzmon ist das Herz und der Motor des Freundeskreises der Synagoge Hainsfarth, so sagen es Weggefährten und Vereinsmitglieder. Bereits 2016 ist der Freundeskreis mit dem Rieser Kulturpreis ausgezeichnet worden. Ein Redner sagte damals, nachdem er über Bilder voller Hass und der Missachtung der Würde des Menschen geschimpft hat: "Wir brauchen keine Fehlgeleiteten, keine Extremisten. Wir brauchen Menschen wie Sigried Atzmon." Sie kämpfe und engagiere sich, um das jüdische Erbe bewusst zu machen, sagte ein weiterer Redner. Sie wurde damals aufgefordert, sich trotz des Hasses, der dem Verein mitunter entgegengebracht wird und trotz der Morddrohungen, nicht beirren zu lassen und weiterzumachen. Als deutsche Jüdin fand sie ihre Aufgabe genau darin.
Die Silberdistel für Mut und außerordentliches Engagement
Sie verankert das Wissen über den jüdischen Glauben in der Öffentlichkeit. Sie bringt namhafte Redner und hörenswerte jüdische Ensembles in die Synagoge. Sie trägt dafür Sorge, dass Kinder und Jugendliche die Geschichte ihrer Heimat kennenlernen. Ihre Aufgabe ist es geworden, ihre Stimme für all die Jüdinnen und Juden zu erheben, ohne eine Vorzeigejüdin sein zu wollen. Irgendwann, auch wenn es ihrer Ansicht nach noch viel in der Region zu tun gebe, müsse aber auch sie das Kapitel Hainsfarth schließen.
Sich trotz der Bedrohungslage und persönlicher Angriffe weiterhin für das Judentum einzusetzen, erfordert Mut. Es ist leicht davon als Fähigkeit zu sprechen, doch nicht gerade einfach, diesen auch über Jahre hinweg aufzubringen. Für das besondere Engagement und ihre gesellschaftliche Leistung erhält Sigried Atzmon die Silberdistel unserer Zeitung.