Die Pfeiler stehen schon auf dem Feld, bald werden darauf die Solarmodule montiert, ein Teil davon wird sich nach der Sonne drehen und so vormittags und nachmittags mehr Sonnenstrom erzeugen. Wer die Energiewende verstehen will, der muss hinaus aufs Land. Und wer die Energiewende in Bayern im Besonderen verstehen will – wo es gut läuft und wo die bayerische Staatsregierung Fehler gemacht hat –, der muss die Fahrt mit Sepp Bichler, 73, unternehmen. Bichler ist ein Landwirt aus Sielenbach im Kreis Aichach-Friedberg, ein Energiebauer aus ganzem Herzen.
Bichler beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Energie, nicht theoretisch, sondern täglich in der Praxis. Sein Unternehmen, die Energiebauern GmbH, baut Solarparks, betreibt Windräder und hat einen erheblichen Teil dazu beigetragen, dass sein Heimatdorf mit 1900 Einwohnern heute rund zwölfmal mehr Strom erzeugt, als es selbst braucht. Andere Energiedörfer lässt es damit weit hinter sich. „Sielenbach war einst die höchstverschuldete Gemeinde im Kreis, heute ist man schuldenfrei“, sagt Bichler. „Und als die Windradln kamen, hat bei uns die Blasmusik gespielt.“ Die Zustimmung ist größer, wenn die Gemeinde an der Wertschöpfung beteiligt ist. Eines hat er gezeigt: dass es ohne Mut und ohne Anpacken in der Energiewende nicht geht.
Atomkraft-Skeptiker Sepp Bichler stellte seinen Betrieb auf Ökolandbau um
Bichler war von 1975 bis 1981 Vorsitzender der katholischen Landjugend in Bayern. Damals lag es nicht lange zurück, dass der Club of Rome sein Buch über die Grenzen des Wachstums vorgelegt hatte. Die katholische Landjugend griff zwei Zukunftsfragen auf. Eines war die Landwirtschaft, das zweite die Energieversorgung. Ende der 70er-Jahre war Franz Josef Strauß Ministerpräsident in Bayern, die Atomenergie galt als die Zukunftstechnologie. Die Landjugend war skeptischer, Strauß beeindruckte das nicht. „Wenn's uns nicht passt, hat er gesagt, sollten wir doch rübergehen“, erinnert sich Bichler.
Rübergehen, das hieß in die DDR. Vielleicht braucht es die Statur und die Unabhängigkeit eines Sielenbacher Bauern, um sich da nicht einschüchtern zu lassen. Bichler jedenfalls stellt erst recht seinen Betrieb auf Ökolandbau um, schraubt per Hand die erste Solaranlage zur Wärmeerzeugung zusammen, montiert sie auf das Dach und bringt ein handgemaltes Schild an: „Atomkraft ist viel zu gefährlich! Wir müssen Energie sparen und Alternativen entwickeln. Ich fange an, macht auch Ihr mit?“
Später ist er aktiver Kämpfer gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, 1993 kauft er seine erste Fotovoltaikanlage zur Stromerzeugung. „Wenn ich von etwas überzeugt bin, dann mache ich es“, sagt Bichler. Idealismus allein reicht dafür nicht. „Ich mache etwas Vernünftiges, ich will aber auch gut davon leben können.“
Sielenbach erzeugt zwölfmal mehr Energie, als der Ort selbst braucht
Für die erste Fotovoltaikanlage hat Bichler noch 65.000 D-Mark gezahlt. Es war eine Technologie aus der Raumfahrt. „Die Leute haben gesagt: Das ist aussichtslos, der Strom reicht nicht mal zum Kaffeekochen.“ Doch das ändert sich bald, die Kosten sinken schnell. „Anfangs hat die Kilowattstunde Sonnenstrom noch 2 Mark gekostet, heute sind es 6 Cent.“ Bald springen andere Bürger auf, immer mehr Dächer in Sielenbach leuchten blau. „Wir haben immer offen kommuniziert, die Leute haben einfach mitgemacht, es ist in Sielenbach gelaufen“, sagt Bichler. Später folgten Fotovoltaikanlagen auf der Freifläche, Biogasanlagen und die Windräder. Durch die Kombination ist auch nachts und bei Windstille reichlich Energie verfügbar. Und ein Fernwärmenetz heizt mit der Abwärme der Biogasanlagen auch noch das Dorf.
Ein Dorf. Schön und gut. Aber kann man so ein ganzes Land versorgen? Die Großstädte? Die Chemiefabriken? Die Stahlöfen? Wenn man es richtig macht, ja. Davon ist Bichler überzeugt. „Mit Fotovoltaik auf dem Dach allein wird es nicht klappen. Wollen wir Atom- und Kohlekraftwerke ersetzen, müssen wir auch Kraftwerke bauen.“ Was das bedeutet, zeigt eine Fahrt hinaus auf die Felder.
Der Solarausbau könnte schneller gehen, wären die Netze stärker ausgebaut
Bichler steigt ins Auto, die braungebrannten Hände fest am Steuer. Schnell ist man in einer hügeligen Landschaft. Wald und Felder wechseln sich ab, dazwischen blinken Solarfelder hervor. Ein Stopp. Bichler sperrt das Tor auf, klopft stolz auf die blauschwarzen Paneele, die sich bis zum Waldrand reihen. Die Hälfte der acht Hektar Solarfläche genügt, um ein Dorf wie Sielenbach mit Strom zu beliefern. Zwei Flügel eines Windrads leisten rechnerisch dasselbe. Rechnet man es hoch, erklärt Bichler, würden 2 Prozent der Landesfläche mit erneuerbaren Energien reichen, Bayern mit Strom zu versorgen. Die Energiewende ist eine Frage der Menge. Sein Unternehmen baut längst Solarparks mit einer Leistung von 10 bis 30 Megawatt, in Ostdeutschland können es auch 100 Megawatt sein. Insgesamt leisten die Anlagen der Energiebauern GmbH inzwischen rund 600 Megawatt. Wenn die Sonne scheint, erzeugen sie so viel Strom wie ein großes Gaskraftwerk.
Es könnte alles schneller gehen und weiter sein, hätte Bayern nicht zentrale Fehler gemacht. Einer davon ist der Netzausbau. Nach der Atomkatastrophe in Fukushima 2011 hat gerade der Freistaat auf den Atomausstieg gedrängt. Neue Gleichstromtrassen wie Suedlink und Suedostlink sollten dafür ab 2023 Windstrom in den Süden bringen. „Dann kam beim ersten Widerstand der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer auf die geniale Idee, die Leitungen unter die Erde zu legen. Jetzt werden sie erst bis 2027 und 2028 fertig und kosten das sechs- bis achtfache“, sagt Bichler. Im Verteilnetz sei die Lage nicht besser.
Bichler: "Am schlimmsten ist es in Markus Söders Heimat Mittelfranken"
Am Unternehmenssitz der Energiebauern GmbH mit ihren rund 80 Beschäftigten in Aichach zeigen große Bildschirme in einem leicht abgedunkelten Raum die Leistung aller Kraftwerke des Unternehmens. Anton Müller hat 63 Fotovoltaikfreiflächenanlagen und 16 Windkraftanlagen im Blick. Mit dem zunehmenden Sonnenschein steigt die Kurve der Stromerzeugung an. Doch bei manchen Solarparks fällt sie kurz vor Mittag plötzlich abrupt ab. Auf null. Nicht, weil die Parks defekt werden, sondern weil das Netz den Strom nicht mehr aufnehmen kann. Die Anlagen werden abgeregelt. „Es ist heute schon nicht möglich, den Strom ins Netz zu bekommen, weil Leitungen fehlen“, kritisiert Bichler. „Am schlimmsten ist es in Markus Söders Heimat Mittelfranken.“ Der Stromverbraucher zahle am Ende trotzdem für den abgeregelten Strom. „Das ist Wahnsinn“, meint Bichler.
Bei der Windkraft sieht es nicht viel besser aus, obwohl die strikte 10H-Abstandsregel vom Bund gekippt wurde. Entscheidender ist aus Sicht Bichlers, dass Bayern einem Verband der Windkraftgegner Naturschutzstatus und damit das Verbandsklagerecht gegeben habe. Jetzt beklagten nicht die etablierten Naturschutzverbände wie der BUND oder der Landesbund für Vogelschutz fast jede Windkraftanlage, sondern die Windkraftgegner unter dem Deckmantel des Naturschutzes, kritisiert Bichler. Eine Klage durch alle Instanzen dauere sieben Jahre. „Die Windkraft in Bayern ist damit erst einmal tot“, sagt er.
Stattdessen habe Bayern auf günstiges russisches Erdgas gesetzt – bis der Ukraine-Krieg kam. „Das Ergebnis: Die Stromtrassen fehlen, die Windkraft ist nicht da und das russische Gas auch nicht. Jetzt stellt man fest, dass es eng wird mit der Stromerzeugung“, lautet Bichlers nüchternes Fazit. Und die neuen Chip-Werke siedeln sich im Osten an, wo es Windstrom und Leitungen gebe.
Kernfusion für Bayern? Das sei ein Witz, sagt Sepp Bichler
Bichler lacht gerne, auch wenn es manchmal ein bitteres Lachen ist. Dann rückt er seinen Strohhut zurecht und die Falten werden noch ein bisschen tiefer. Wo nur kommt der Strom im Freistaat künftig her? Markus Söder hatte im Frühjahr die Idee ins Spiel gebracht, der Freistaat könne einen Forschungsreaktor für die Kernfusion bauen, eine Zukunftstechnologie, auf der Hoffnungen ruhen. Bichler ist skeptisch: „Seit 40 Jahren redet man von der Kernfusion, 2022 hat man es in den USA für eine Millisekunde geschafft, dass mehr Energie frei wurde als eingesetzt. Nun kommt der Freistaat und sagt: Wir bauen einen Reaktor! Wer sich in der Branche auskennt, weiß, dass das ein Witz ist.“
Bichler bleibt lieber auf dem Boden der Tatsachen und packt an. Es fehlen Leitungen? Also legt er sie selbst. Am Rande des neuen Solarparks pflügt ein roter Spezialtraktor 1,20 Meter tief die Kabel in die Erde. Bichler begrüßt jeden Arbeiter persönlich, man kennt sich. Es fehlen Umspannwerke? Also baut er sie selbst. Stolz klopft er auf den Zaun, hinter dem der Strom auf eine höhere Spannungsebene gebracht wird. Es fehlen Speicher, damit Fotovoltaikstrom nachts genutzt werden kann? Also plant er sie selbst. Die ersten schiffscontainergroßen Speicher mit 80 Megawattstunden Kapazität stehen schon. Weitere Batteriespeicher mit 120 Megawattstunden Kapazität sind im Bau. Und über Elektrolyseure zur Wasserstofferzeugung denkt das Unternehmen bereits nach.
Bichler hat Erfahrung in der Politik. Für die Unabhängigen – nicht zu verwechseln mit den Freien Wählern – saß er lange Jahre im Kreistag, dreimal hat er als Landrat kandidiert, einmal hätte er fast gewonnen. 2019 zog er sich aus der Politik zurück, den Hof führt er im Nebenerwerb („I brauch' ja auch was zu tun“), das Unternehmen hat er an seine beiden Söhne Martin, 40, und Florian, 38, übergeben. Trotzdem ist er in vielen Gemeinderäten unterwegs, um Projekte zu erklären. Bichler weiß, was sich ändern muss, damit die Energiewende an Tempo gewinnt. Und worauf der Freistaat Einfluss hätte.
Schnellere Genehmigungsverfahren und ein Ombudsmann: "Das könnte Bayern alles alleine machen"
Ein Dauerbrenner ist die Bürokratie. Das ist in der Energiewende nicht anders. „Brauchen wir einen Bebauungsplan für eine neue Freiflächenanlage, sind gut und gerne 40 Stellen beteiligt“, sagt er. „Alle reden vom Bürokratieabbau, in der Praxis sieht es nicht danach aus.“ Bichler hätte schon eine Idee, wie es schneller gehen könnte: „Bei einem Projekt sollte man sich drei Monate Zeit nehmen, ob grundsätzlich etwas dagegen spricht. Falls nicht, fangen wir damit an und klären alle kleineren Probleme dann. Warum schaffen wir bei wichtigen Projekten der Energiewende nicht das neue Deutschland-Tempo wie beim Bau der LNG-Terminals?“
Zu häufig beharren nach seiner Beobachtung auch einzelne Beamtinnen und Beamte in den Behörden auf einer engen Auslegung der Regeln und blockieren den Prozess. „Wir brauchen deshalb eine Clearing-Stelle, an die sich Betroffene wenden können“, schlägt er vor. Praktisch einen Ombudsmann oder eine Ombudsfrau. „Das alles könnte Markus Söder in Bayern alleine machen, statt auf den Bund zu schimpfen.“
Und es bräuchte einen neuen, viel flexibleren Ansatz, mit Energie umzugehen. „Wir müssen den Strom verbrauchen, statt ihn abzuregeln, wenn er im Überschuss da ist, zum Beispiel, indem man dann die E-Autos lädt.“ Gerade nahe am Arbeitsplatz müssten Ladesäulen entstehen, an den Einkaufszentren und Gaststätten, überall dort, wo Fahrzeuge mittags stehen. „Wir brauchen ganz schnell neues Denken, wir brauchen Schwung und Kreativität“, sagt der 73-Jährige. Bichler hat mit seinen Energiebauern Ideen geliefert. Nach der Wahl ist die neue Staatsregierung am Zug.