Herr Ernesti, am 17. November wird Max Josef Metzger seliggesprochen. Können Sie in einem Satz sagen, wer dieser katholische Priester war?
JÖRG ERNESTI: Das ist gar nicht so einfach. Denn Metzger war vieles: Er war gleich in mehrfacher Hinsicht ein Pionier innerhalb der Kirche und in der Gesellschaft. Er war Pazifist und gilt als einer der Väter der katholischen Friedensbewegung. Er stand für die katholische Anti-Alkoholbewegung. Das hat ihn auch nach Meitingen in den Kreis Augsburg geführt, wo er von 1928 an lebte.
Was genau tat er dort?
ERNESTI: Er übernahm die Trinkerheilstätte, später kam unter anderem ein Kindergarten hinzu. Er baute im Grunde genommen ein Sozialzentrum auf. In Meitingen war zudem der Sitz der von ihm gegründeten Christkönigsgesellschaft, die es noch heute dort unter dem Namen Christkönigs-Institut gibt. Damit war Metzger seiner Zeit voraus.
Was hat man sich unter diesem Institut vorzustellen?
ERNESTI: Denken Sie an eine Art Ordensgemeinschaft, allerdings stehen die Mitglieder mitten in der Welt. Es sind Frauen wie Männer, die ihren Berufen nachgehen. Erst 1947 wurden solche Säkularinstitute von Papst Pius XII. als Lebensform in der Kirche anerkannt. Nicht zu vergessen: Metzger war früh Anhänger der Kunstsprache Esperanto. Er glaubte, man könne mit ihr die Differenzen zwischen Menschen verschiedener Nationen überwinden. Und er bemühte sich um die Ökumene, die Einheit der katholischen und evangelischen Kirche.
Er war auch ein Mann des Widerstands gegen Adolf Hitler und das Nazi-Regime. Am 17. April 1944 wurde er im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet.
ERNESTI: An ihn erinnern heute Straßen, die in ganz Deutschland nach ihm benannt wurden. In Schopfheim in Baden-Württemberg, wo er 1887 geboren wurde, heißt die Grundschule nach ihm, in Meitingen, wo er beerdigt wurde, die Realschule. Und doch ist er längst nicht so bekannt geworden wie andere Frauen und Männer des Widerstands, etwa Sophie und Hans Scholl oder Dietrich Bonhoeffer.
Wie erklären Sie sich das?
ERNESTI: Das liegt gewiss auch an der Vielgestaltigkeit seiner Person. Vielleicht war er für die breite Öffentlichkeit schwerer fassbar. Wissen Sie, was mich betroffen macht?
Was?
ERNESTI: Der Umgang mit einigen der Frauen und Männer des Widerstands. Das Todesurteil gegen Metzger vom Volksgerichtshof unter Vorsitz Roland Freislers wurde erst 1997 aufgehoben! Man hat sich mit den Frauen und Männern des Widerstands offensichtlich schwergetan im Nachkriegsdeutschland.
Warum richtete man Metzger hin?
ERNESTI: Er wollte Erling Eidem – lutherischer Erzbischof im schwedischen Uppsala, der auch Kontakt zu Bonhoeffer hatte – seine Vorstellungen über ein neues Deutschland mitteilen. Nur, er hatte Pech: Metzger wollte nämlich sein Friedensmanifest über seine Sekretärin in Berlin, wo es eine Niederlassung der Christkönigsgesellschaft gab, verschicken lassen. Die aber arbeitete für die Gestapo. Es folgte seine dritte Verhaftung, nun wegen Hochverrats. Zuvor war er zweimal in Augsburg inhaftiert. Ich habe mich intensiv mit Metzger beschäftigt und kann sagen: Er hatte absolut keine Angst vor dem Tod.
Nun wird er seliggesprochen ...
ERNESTI: 80 Jahre nach seiner Hinrichtung.
Der „Influencer Gottes“ Carlo Acutis, der 2006 mit nur 15 Jahren gestorben war, wurde kürzlich bereits heiliggesprochen. Das sei ein PR-Coup, wurde kritisiert: Die Kirche wolle einen jungen Heiligen, um wieder junge Menschen anzusprechen.
ERNESTI: Es gibt in der Kirchengeschichte durchaus Moden: Heilige und Selige folgen immer auch einem Zeittrend. Bei Metzger allerdings gab es im Unterschied zu Acutis umfangreiche schriftliche Hinterlassenschaften und zahlreiche Aussagen. All das musste aufwendig geprüft werden. Dieser Prozess begann 2006. Im Frühjahr 2014 wurden sämtliche Dokumente an die Selig- und Heiligsprechungskongregation übermittelt, das waren um die 6000 Seiten. Im März 2024 gab der Vatikan dann gewissermaßen grünes Licht. Hätte man etwas gefunden, das gegen ein Leben „im Ruf der Heiligkeit“ gesprochen hätte, hätte die Seligsprechung scheitern können. Ich habe solche Prozesse als Gutachter begleitet – und dies schon erlebt.
Ja?
ERNESTI: In einem Fall tauchten Liebesbriefe auf, die die Sekretärin dem betreffenden Seelsorger geschrieben hatte. Obwohl er sie nicht erwiderte, scheiterte der Seligsprechungsprozess daran.
War bei Metzger denn ein Wunder Voraussetzung für die Seligsprechung?
ERNESTI: Nein, er gilt als Märtyrer, ihm musste kein Wunder nachgewiesen werden. Im Unterschied zu Heiligen wird ein Seliger übrigens eher lokal verehrt. Eine Seligsprechung gilt als Vorstufe zur Heiligsprechung.
Warum braucht die katholische Kirche überhaupt so viele Heilige?
ERNESTI: Heiligsprechungen gehören zum Wesenskern der Kirche. Sie veranschaulichen, dass Gott in der Welt handelt – indem er durch Menschen Gutes wirkt. Insofern kann ich grundsätzliche Kritik daran nicht verstehen. Nachvollziehen kann ich die Kritik an inflationären Heiligsprechungen. Bei Johannes Paul II. wurden zum Beispiel in ganz großer Zahl Ordensleute und Priester heiliggesprochen, nicht aber Laien – das hatte dann eine Schlagseite. Jeder Orden meinte, er müsse seinen Gründer oder seine Gründerin auch noch „zur Ehre der Altäre“ erheben.
Treibt die Heiligenverehrung nicht seltsame Blüten? Im Sommer tourte ein Stückchen von Carlo Acutis‘ Herz als Reliquie durch Deutschland.
ERNESTI: Die Reliquienverehrung hat sich in der frühen Kirche aus dem Brauch entwickelt, über den Gräbern der Märtyrer die Eucharistie zu feiern. Diese Verbundenheit über den Tod hinaus ist ja an sich ein schönes Zeichen. Allerdings muss man ehrlich sagen, dass sich der Kult der Reliquien in der Kirchengeschichte oft verselbständigt hat, bis hin zu Formen, die man heute nicht mehr nachvollziehen kann – man denke etwa auch an den mittelalterlichen Reliquienhandel.
Wie würde der Pazifist Metzger wohl auf das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) blicken, das sich als „Friedenspartei“ inszeniert? Kritiker halten es ja für kremlnah und nennen Wagenknechts Friedensplan für die von Russland überfallene Ukraine wirklichkeitsfremd und geschichtsvergessen.
ERNESTI: Ich will es mal so sagen: Metzger war geprägt von der Vorstellung, dass eine Friedensordnung nicht auf Vergeltung und Wiedergutmachung beruht, sondern auf Versöhnung und einer Rückkehr zu den Geboten Gottes. Die Bereitschaft zur Versöhnung kann ich persönlich beim russischen Präsidenten Wladimir Putin derzeit nicht erkennen.
Zur Person
Prof. Dr. Dr. Jörg Ernesti, 1966 in Paderborn geboren, war bis 2023 Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. Er ist Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte. Sein aktuelles Buch: „Geschichte der Päpste seit 1800“ (Verlag Herder, 576 Seiten, 38 Euro).
Ich finde dieses Interview in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Ob Herr Metzger selig oder heilig war oder ist, ist für mich absolut unerheblich. Sein historisches Verdient ist allein dem aus seinen Überzeugungen und aus seinem Leben heraus geführten Widerstand gegen das Naziregime. Dafür büsste er letztendlich mit seinem Leben. Als sich am 17. April 2024 sein Todestag zum 80. mal jährte war das dieser Zeitung
noch nicht eimal in der Rubrik "Das Datum" eine Zeile wert. Da half auch kein schriftlicher Hinweis. Zu den Aussagen möchte ich noch erwähnen, dass es mich nicht wundert, dass er erst 1997 juristisch rehabilitiert wurde. Dafür wurde die Witwe des Blutrichters Freisler in der Bundesrepublik mit der Witwenpension eines Richter bedacht. Ein anderes ist der Blick auf den letzten Absatz. die insistierende Fragestellung lässt tief blicken. Max Joseph Metzger wird so zum Zeugen aufgerufen, dass in der Aktualität ein jeder der - egal wie - das Morden in der Ukraine beenden will, zum Putin-Freund degradiert wird. Was bitte, darf eigentlich seriöser Journalismus noch alles? Anmerkung: beide Texte gehören zusammen, ich bin dazwischen auf den falschen Knopf gekommen.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden