Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen in der Schweiz hat ein "Strafverfahren" gegen den früheren Eichstätter und Augsburger Bischof Walter Mixa, 82, eröffnet. Dies bestätigte eine Sprecherin unserer Redaktion. Ein derartiges Verfahren sei mit einem Ermittlungsverfahren in Deutschland vergleichbar. In diesem Fall sei die Anzeige direkt und schriftlich bei der Staatsanwaltschaft eingereicht worden, sagte die Staatsanwältin. Näher wollte sie sich aufgrund "des laufenden Verfahrens" nicht äußern, verwies aber darauf, dass es um einen "presseträchtigen" Vorgang gehe und sich der mutmaßliche Betroffene selbst an die Presse gewandt habe.
Erstmals hatte die Schweizer Zeitung SonntagsBlick im November dessen Vorwurf übergriffigen Verhaltens publik gemacht – und sowohl seinen Namen als auch den Mixas genannt. Dem Bericht zufolge sprach der gebürtige Rosenheimer, der im mittelfränkischen Spalt lebt, damals "zum ersten Mal" öffentlich darüber, was er in der katholischen Kirche erlebt habe. Später äußerte er sich ausführlich auch in der Bild und der Münchner Abendzeitung.
Das wirft der mutmaßliche Betroffene dem zurückgetretenen Bischof Mixa vor
In einer eidesstattlichen Versicherung, die er unserer Redaktion vorgelegt hat, schreibt er: Im Sommer 2012 sei Mixa für Filmaufzeichnungen eines katholischen Senders, für den der heute 39-Jährige zu dem Zeitpunkt nach eigener Darstellung gearbeitet habe, in die Schweiz gekommen. Am Senderstandort im Kanton St. Gallen habe er Mixa kennengelernt. Nach einem gemeinsamen Abendessen mit allen anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern habe Mixa ihn dann gebeten, bei einer Messfeier zu ministrieren. Nach der Messe sei Mixa in der Sakristei der Hauskapelle an ihn herangetreten. Er "umklammerte meinen Kopf mit seinen beiden Händen und küsste mich auf den Mund. Ich war völlig perplex. Ich löste mich aus seiner Umklammerung und verließ die Sakristei umgehend", schreibt der Mann in seiner eidesstattlichen Versicherung. Einige Zeit später habe ihm Mixa ausrichten lassen, er möge ihn in dessen Zimmer im selben Gebäude aufsuchen. "Dieser Aufforderung kam ich nicht nach."
Unterstützt wird der Mann von dem bundesweit bekannten Pfarrvikar Wolfgang F. Rothe aus dem Pfarrverband Perlach im Erzbistum München und Freising. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagte Rothe, der Mann habe sich irgendwann an ihn gewandt – auch, weil er, Rothe, die mit Mixa insgesamt vier Beschuldigten teils persönlich kenne. Der Mann erhoffe sich, dass sie zur Rechenschaft gezogen würden und er "abschließen" könne. Er habe für den heute 39-Jährigen auch Anzeige erstattet, sagte Rothe.
Staatliches Recht ist dabei das eine. Das andere ist das Kirchenrecht. Und das regelt genau, wie in einem solchen Fall vorgegangen werden muss. Wird ein Bischof beschuldigt, greifen die Bestimmungen des Apostolischen Schreibens "Vos estis lux mundi" von Papst Franziskus, das seit Ende April 2023 in einer Neufassung vorliegt und auf das sich Rothe beruft. Darin heißt es: Bekomme ein Kleriker "Nachricht" über derartige Vorwürfe, habe er die Pflicht, sie zu melden. Rothe informierte eigenen Angaben zufolge verschiedene kirchliche Stellen, darunter das vatikanische Dikasterium für die Glaubenslehre und das Dikasterium für die Bischöfe – das sind Zentralbehörden der Römischen Kurie – sowie den Augsburger Bischof Bertram Meier und den Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke.
Mixa hat die Vorwürfe selbst und über eine Anwältin inzwischen mehreren Medien gegenüber "auf das Schärfste als unwahr" zurückgewiesen
Laut Rothe reagierte Meier ihm gegenüber nicht darauf. Ein Sprecher des Bistums Augsburg sagte dazu unserer Redaktion: Das Schreiben Rothes sei lediglich "in Kopie zur Kenntnisnahme" an den Bischof gegangen. Sowie: Seit dem Moment seiner Weihe zum Bischof sei für Walter Mixa der Heilige Stuhl für diesen zuständig. "Deswegen hat Bischof Bertram das Schreiben unverzüglich nach Rom weitergeleitet." Und zwar, so der Sprecher, an das dafür zuständige Dikasterium für die Glaubenslehre.
Der Eichstätter Bischof Hanke wiederum habe Rothe, wie er es schildert, versichert, den Fall an das Dikasterium für die Bischöfe weiterleiten zu wollen. Ein Sprecher des Bistums Eichstätt sagte dazu unserer Redaktion: Das Bistum habe erstmalig durch eine Medienanfrage von den Vorwürfen erfahren. Diese seien umgehend an die Staatsanwaltschaft Augsburg und an die zuständigen Stellen im Vatikan weitergeleitet worden. "Das weitere Vorgehen wird in Rom durch das Dikasterium für die Bischöfe behandelt." Die Staatsanwaltschaft Augsburg bestätigte auf Anfrage, dass sie vom Bistum Eichstätt über die Vorwürfe gegen den emeritierten Bischof Walter Mixa in Kenntnis gesetzt wurde. Nach Angaben eines Sprechers überprüft sie diese gerade. Der Mann, der die Vorwürfe erhebt, sei bereits als Zeuge einvernommen worden.
Mixa hat die Vorwürfe selbst und über eine Anwältin inzwischen mehreren Medien gegenüber "auf das Schärfste als unwahr" zurückgewiesen. Entsprechend wird seine Anwältin vom Schweizer SonntagsBlick, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und dem Bayerischen Rundfunk zitiert. Dem BR sagte sie zudem kürzlich, ihrem Mandanten sei "derzeit nicht bekannt, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn von der Staatsanwaltschaft St. Gallen eröffnet worden sein soll". Und: "Sollte ein Ermittlungsverfahren eröffnet werden, wird sich unser Mandant zu laufenden Ermittlungen nicht weiter äußern." Mixa könne, sagte sie dem BR, "ausschließen, den angeblich Betroffenen ,fest umklammert und auf den Mund geküsst' zu haben" – einen solchen Vorfall habe es nie gegeben. Es gilt für ihn die Unschuldsvermutung, wie ebenso für die drei anderen von dem heute 39-jährigen Mann beschuldigten Kleriker, von denen laut SonntagsBlick zwei die Vorwürfe bestreiten; einer sei für die Redaktion nicht erreichbar gewesen.
Schon einmal hatte es Vorwürfe gegen Mixa gegeben: 2010 nahm die Staatsanwaltschaft Ingolstadt Vorermittlungen gegen den damaligen Augsburger Bischof wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs auf. Der Verdacht zerschlug sich binnen weniger Tage, ein Ermittlungsverfahren wurde nicht eingeleitet. Der damalige Papst Benedikt XVI. hatte da bereits ein Rücktrittsgesuch Mixas angenommen, dem zudem frühere Heimkinder vorwarfen, sie verprügelt zu haben. Mixa räumte ein, "dass ich (...) die eine oder andere Watschn von vor 20 oder 30 Jahren natürlich nicht ausschließen kann".
So reagierte die Kirche bereits auf die Vorwürfe
Vonseiten der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen ist zu hören, dass "Strafverfahren" generell mit einem Strafbefehlsentscheid, einer Anklageerhebung – oder einer Einstellungsverfügung abgeschlossen werden können. Wie lange die Ermittlungen dauern werden, könne sie nicht sagen, erklärte die Sprecherin.
Öffentlich reagiert hatte bereits die Kongregation Servi Jesu et Mariae (SJM, zu Deutsch: Diener Jesu und Mariens), zu der der erste von dem heute 39-Jährigen beschuldigte Geistliche gehört. Die katholische Gemeinschaft kündigte auf ihrer Internetseite an, "alles tun" zu wollen, "um von unabhängiger Seite eine volle Aufklärung und Aufarbeitung der Vorfälle zu unterstützen". Man setze sich dafür ein, "dass der Betroffene Gerechtigkeit erfährt. Wir bezeugen ihm unseren Respekt für seinen Mut und persönlichen Einsatz, mit seiner Aussage eine unabhängige Klärung der Vorfälle zu ermöglichen und versichern ihm diesbezüglich unsere Unterstützung". Auch die SJM habe den Fall kirchlich und staatlich zur Anzeige gebracht.
Im Falle dieses Beschuldigten und eines weiteren soll es zu den mutmaßlichen Übergriffen im Gebiet der niederösterreichischen Diözese St. Pölten gekommen sein, wo der heute 39-Jährige einst ein kirchliches Internat besuchte. Nachdem die Diözese St. Pölten Ende November von den Vorwürfen gegen die beiden Priester erfahren habe, sei "umgehend" ein kirchliches Verfahren zur Prüfung des Sachverhalts eingeleitet worden, erklärte Bischof Alois Schwarz Mitte Dezember gegenüber den Salzburger Nachrichten. Auf Anfrage sagte die Diözese am Mittwoch, dass es hierzu nichts Neues zu berichten gebe.
Auch der Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain hat einem Medienbericht zufolge eine kirchenrechtliche Untersuchung eingeleitet und einen beschuldigten Priester seiner Diözese bis zur Klärung der Vorwürfe suspendiert.