Abiturientinnen und Abiturienten neigen bei ihrem traditionell zu bestimmenden Abi-Motto gern ein wenig zum Größenwahn. "Westminster ABI – der Adel geht", druckte sich schon mancher Jahrgang aufs T-Shirt. Ebenso beliebt und direkt aus der Wortspielhölle: "TirABIsu – Auch die Crème de la Crème muss mal gehen". Der Abiturjahrgang 2024 aber ist tatsächlich ein historischer. Die 34.000 Gymnasiasten, die am 22. April in ihre Prüfungen starten, sind die letzten offiziellen Absolventinnen und Absolventen des G8, also des achtstufigen Gymnasiums, in Bayern. Danach ist im Freistaat endgültig das neunjährige Gymnasium (G9) zurück.
"Die Mehrheit ist glücklich über die Rückkehr zum G9, ich kenne fast nur Befürworter der Reform", sagt etwa Julia Garbe, Schulleiterin am Ignaz-Kögler-Gymnasium in Landsberg am Lech. "Man kann beim Stoff mehr in die Tiefe gehen, man hat einfach mehr Zeit für einzelne Themen. Und die Schülerinnen und Schüler haben ein Jahr mehr, um reifer zu werden." Garbe hofft, dass auch die freiwilligen Wahlkurse an ihrer Schule davon profitieren, dass künftig weniger Nachmittagsunterricht stattfindet. Zu Zeiten des G8 seien die Teilnehmerzahlen teils deutlich zurückgegangen. Fast die gesamte Schulzeit der diesjährigen Abiturienten war geprägt von Debatten über die richtige Dauer der Gymnasialzeit.
An vielen Gymnasien findet 2025 kein Abitur statt
Der Wechsel zum G9 hat die kuriose Folge, dass im kommenden Schuljahr kein regulärer Jahrgang Abitur machen wird. Die letzten G8-Schüler sind fertig, die ersten aus dem G9 haben aktuell noch zwei Jahre vor sich. Wer heuer das Abitur nicht schafft, erhält trotzdem die Chance, es nächstes Jahr erneut zu versuchen. Etwa zehn Prozent der Gymnasien sind Teil des "Auffangnetzes". An ihnen finden auch im Jahr 2025 Prüfungen statt, und zwar noch nach G8-Richtlinien – für Wiederholer, für Schüler, die die sogenannte individuelle Lernzeitverkürzung in Anspruch nehmen, und für Absolventen, die nach der Real- oder Wirtschaftsschule außerturnusmäßig ans Gymnasium gewechselt waren.
Das Ignaz-Kögler-Gymnasium in Landsberg ist eines der Gymnasien im Auffangnetz. "2025 wird ein kleiner Jahrgang, wir rechnen mit 25 bis 30 Abiturientinnen und Abiturienten", sagt Garbe. "Normalerweise haben wir zwischen 80 und 100." Ein kleinerer Saal für die Abschlussfeierlichkeiten sei schon gebucht.
So richtig liebgewonnen hatten Bayerns Schülerinnen und Schüler, genauso wie die Mehrheit der Eltern und Lehrkräfte, das G8 nie. Und mit jeder Umfrage, in der eine Mehrheit die Rückkehr zum "alten", jetzt reformierten G9 forderte, geriet die Staatsregierung mehr unter Druck. Zum Schuljahr 2018/2019 beschloss sie nach 14 Jahren die Reform der Reform. Relevant dafür war auch, dass ein wesentliches Ziel der Schulzeit-Verkürzung nur bedingt erreicht wurde: Die Schülerinnen und Schüler sollten früher zu studieren beginnen und in den Arbeitsmarkt eintreten, um die Sozialkassen zu entlasten und die Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Allerdings, das zeigt etwa eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, nehmen Abiturienten, die ihren Abschluss nach zwölf statt 13 Schuljahren erreichen, seltener gleich ein Studium auf: Um sechs Prozentpunkte sei im Vergleich zum G9 der Anteil derer gesunken, die im Jahr des Abiturs oder im Folgejahr beginnen zu studieren, so die Statistiker. "Diejenigen, die sich für ein Studium entscheiden, legen vor dem Uni-Start häufiger eine Pause ein und wechseln innerhalb des ersten Studienjahres mit einer höheren Wahrscheinlichkeit das Fach oder brechen ihr Studium ab."
G8 in Bayern könnte zu Lehrermangel führen
Dass ab Herbst ein Jahrgang zusätzlich an bayerischen Gymnasien lernt, stürzt manche Schule in Platz- oder Personalnot. Schulleiterin Julia Garbe in Landsberg ist vor allem inhaltlich gefordert – schon jetzt steckt sie mitten in der Planung. "Im neuen G9 gibt es eine Vielzahl an Spezialisierungsmöglichkeiten. Gleichzeitig haben wir aber ein festes Budget an Lehrerstunden." Ein Französischkurs mit nur einer Handvoll Teilnehmenden etwa? "Man wird sehen müssen, welche Angebote wir wirklich einrichten können. Aber unser oberstes Ziel ist, den Schülern möglichst viele Wahlmöglichkeiten zu eröffnen."
Dass der Fachkräftemangel ab 2025 flächendeckend auf Gymnasien übergreifen könnte, befürchtet der bayerische Philologenverband seit Jahren. Dessen Vorsitzender Michael Schwägerl warnte im vergangenen Herbst vor einen ungedeckten Bedarf von 1000 bis 1500 Lehrkräften. Den Schülern, die in den nächsten sieben Wochen über ihren schriftlichen und mündlichen Aufgaben brüten, kann das egal sein. Ihnen steht die Welt offen. Oder, um es mit einem beliebten Motto zu sagen: "KarABIner – Nichts kann uns halten!"