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Schule: Keine Hilfe mehr beim Berufseinstieg: Schülern droht Arbeitslosigkeit

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Keine Hilfe mehr beim Berufseinstieg: Schülern droht Arbeitslosigkeit

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    Der Einstige ins Berufsleben ist gerade für benachteiligte Jugendliche oftmals nicht leicht.
    Der Einstige ins Berufsleben ist gerade für benachteiligte Jugendliche oftmals nicht leicht. Foto: Tim Brakemeier, dpa (Symbolbild)

    Die Reaktion von Claudia Jais-Hertle lässt keinen Zweifel: „Wir Mitarbeiter sind entsetzt“, sagt die erfahrene Sozialpädagogin über das Aus der Berufseinstiegsbegleitung in Bayern. „Viele hundert“ Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Verhältnissen hat sie in den vergangenen zehn Jahren als Mitarbeiterin des Augsburger Berufsbildungszentrums (BBZ) auf dem Weg in den Job begleitet. Zum kommenden Schuljahr läuft das Programm nach aktuellem Stand aus.

    Im kürzlich beschlossenen Haushalt des Freistaats ist – wohl nach dem Willen der CSU – kein Geld dafür vorgesehen. 2,17 Millionen Euro wären nötig gewesen, um das Bildungsangebot zunächst weiterzuführen, in den Folgejahren 6,15 Millionen. Zum Vergleich: Der diesjährige bayerische Haushalt umfasst 71 Milliarden. „Da wurde ohne Not ein Erfolgsmodell gekippt“, sagt die Augsburger Berufseinstiegsbegleiterin.

    Programm hat bisher mehrere tausend Jugendliche unterstützt

    Allein in den vergangenen fünf Jahren wurden nach Angaben des Kultusministeriums bayernweit jährlich zwischen 3500 und fast 4000 benachteiligte Jugendliche aus Mittel- und Förderschulen beim Übergang in den Job unterstützt. „Ich betreue vor allem Schüler, die mit der deutschen Sprache Probleme haben, von zu Hause wenig Unterstützung erfahren“, sagt BBZ-Mitarbeiterin Claudia Jais-Hertle. „Ihren“ Schülerinnen und Schülern steht sie von der achten Klasse bis in die Lehre hinein zur Seite, vermittelt Nachhilfe und Praktikumsplätze, hilft beim Bewerbung schreiben.

    Sie erzählt von jungen Migranten. Ihr Traumjob ist oft der des Kfz-Mechatronikers. Jais-Hertle und ihre Kollegen suchen mit den Jugendlichen Praktikumsplätze, etwa in Autohäusern, helfen beim Lernen auf den Abschluss. „Und oft gibt es dann Arbeitgeber, die sagen: ’Okay, wir probieren das. Der Schüler hat zwar nicht die besten Noten, ist aber praktisch so gut, dass wir ihm trotzdem eine Lehrstelle geben.'“

    Bildungsexperten sind von solchen Programmen überzeugt

    Ohne die Berufseinstiegsbegleitung „sitzen Schüler wie diese im schlimmsten Fall auf der Straße, mit etwas Glück in Anschlussmaßnahmen für Jugendliche ohne Lehrstelle“, sagt sie. „Das kostet die Staatskasse auch Geld, vermutlich deutlich mehr als das Programm selbst.“ Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Münchner Ifo-Instituts für Bildungsökonomik untersuchen derzeit den Nutzen von sogenannten Mentoring-Programmen, im konkreten Fall das bundesweite Projekt „Rock your life“. Es richtet sich ebenfalls an benachteiligte Jugendliche. Ehrenamtliche Studierende begleiten sie bis zu zwei Jahre in der Schule und beim Berufseinstieg – also ganz ähnlich wie bei der

    Die Forschenden um Sven Resnjanskij und Katharina Wedel stellen eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Mentoring-Programme die zukünftigen Arbeitsmarktchancen stark benachteiligter Jugendlicher erheblich verbessern können“, schreiben sie in ihrer Studie. Schulnoten und Geduld der Geförderten etwa würden sich positiv entwickeln. Den Nutzen des Programms messen sie in Form der lebenslangen Erträge auf dem Arbeitsmarkt, den die stark benachteiligten Jugendlichen aufgrund ihrer verbesserten Schulleistungen erwarten dürfen – und stellen fest, dass dieser Nutzen auf dem Arbeitsmarkt die Kosten des Programms mindestens um das 15-Fache übersteigt, bei besonders benachteiligten Jugendlichen gar um das mehr als 30-Fache.

    Die Abschlussprüfungen sind entscheidend für den weiteren Karriereweg.
    Die Abschlussprüfungen sind entscheidend für den weiteren Karriereweg. Foto: Marcus Merk

    Nun ist es so, dass die bayerische Berufseinstiegsbegleitung auf ausgebildete Pädagogen setzt statt auf ehrenamtliche Studierende und die Kosten des Programms daher um einiges höher liegen dürften. Dennoch ist der Nutzen der Maßnahme im Freistaat unumstritten – selbst die Staatsregierung rühmte lange deren Erfolg: „Der Einstieg ins Berufsleben ist von jeher ein sehr wichtiger Schritt im Leben eines jungen Menschen. Durch die Corona-Pandemie wird dieser oft noch einmal erschwert“, sagte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) vor etwa einem Jahr, als das Programm zuletzt verlängert worden war. „Wir als Staatsregierung wollen und müssen hier unterstützen.“ Doch offenbar nicht um jeden Preis. Auf Anfrage nennt eine Sprecherin des Kultusministers mehrere Maßnahmen, die ebenfalls zur Berufsorientierung dienen, etwa das Programm „Talente fördern“, das Jugendliche „mit erhöhtem Bedarf an beruflicher Orientierung in Kleingruppen unterstützt“.

    Sie will ihre Schülerinnen und Schüler nicht auf dem Arbeitsamt sehen

    Keines der Programme könne die Einstiegsbegleitung ersetzen, sagt hingegen die Landtagsabgeordnete Gabriele Triebel (Grüne). Die Bildungsexpertin aus dem Kreis Landsberg ist empört: „Niemand in der Regierung sollte nach dieser Entscheidung das Wort ’Chancengleichheit‘ noch in den Mund nehmen.“ Triebel will wie FDP und SPD das endgültige Aus der Berufseinstiegsbegleitung nicht hinnehmen. „Wir werden nicht still sein, wir werden uns beim nächsten Haushalt wieder dafür einsetzen.“

    Die Augsburger Pädagogin Claudia Jais-Hertle hofft, dass sie Mittelschülerinnen und Mittelschüler auch künftig an ihrer Lehrstelle begegnet und nicht auf dem Arbeitsamt. „Kurzfristige Programm helfen bei weitem nicht so gut wie eine Begleitung der Schüler über Jahre hinweg. Bei uns geht es vor allem um Beziehungsaufbau“, erklärt sie. „Und der dauert lange.“

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