Nur wenige Minuten, nachdem sich am Mittwoch ein tödliches Drama an der Marienbrücke abgespielt hatte, wirkte alles schon wieder wie immer. Touristen zückten ihre Smartphones zum Selfie, fotografierten sich am beliebten Aussichtspunkt mit dem weltbekannten Schloss Neuschwanstein im Hintergrund. Davon, dass sich nur wenige Augenblicke zuvor ein mutmaßlicher Mord ereignet hatte, bekamen sie nichts mit.
Zwar wunderten sich einige über die 25 Polizeistreifen rund um das Schloss und die drei kreisenden Hubschrauber. Doch fast niemand wusste, was sich da gegen 14.40 Uhr abgespielt hatte.
Mutmaßlicher Mord bei Schloss Neuschwanstein: US-Tourist stößt wohl Frauen in Pöllat-Schlucht
Eine Rekonstruktion der Ereignisse: Am frühen Nachmittag waren am Wanderweg östlich der Marienbrücke zwei US-Amerikanerinnen, 21 und 22 Jahre alt, durch Zufall einem Landsmann begegnet. Der 30-Jährige sprach sie laut der Kemptener Staatsanwaltschaft an, um ihnen angeblich besondere Sehenswürdigkeiten rund um das Schloss zu zeigen. Dabei soll er die beiden auf einen schwer einsehbaren Pfad gelockt haben. Als Ziel nannte er einen Aussichtspunkt mit besonderem Blick auf Neuschwanstein.
Doch dort oben angekommen, soll der Mann die jüngere der beiden Freundinnen körperlich angegriffen haben. Die 22-Jährige schritt ein. Dabei würgte sie der mutmaßliche Täter laut der bisherigen Ermittlungen und stieß die Frau dann einen steilen Abhang hinunter.
Tat bei der Marienbrücke: Mutmaßlicher Täter soll sexuell übergriffig geworden sein
Nachdem sich der Amerikaner der ersten der beiden Frauen entledigt hatte, kam es laut Polizei zu einem sexuellen Übergriff gegen deren Begleiterin. Danach soll der Täter auch die 21-Jährige den 50 Meter steilen Abhang hinunter gestoßen haben. Während ihre zuerst gestürzte Freundin ansprechbar blieb, zog sich die Jüngere so schwere Verletzungen zu, dass sie nach Polizeiangaben in der Nacht auf Donnerstag gestorben ist.
Vorausgegangen war ein Großeinsatz von Polizei, Rettungskräften und Bergwacht. Mittels einer sogenannten Crash-Bergung wurden die Frauen nach Recherchen unserer Redaktion aus ihrer Lage befreit. Bei dieser Methode hat laut Experten oberste Priorität, dass die Betroffenen schnell gerettet werden, um sie am Leben zu halten. Dabei wird notfalls auch in Kauf genommen, dass der oder die Patientin bei der Bergung weitere Verletzungen erleidet.
Frau stirbt bei Schloss Neuschwanstein: Mutmaßlicher Täter wie ein Tourist unterwegs
Der mutmaßliche Täter war zunächst auf der Flucht. Dennoch war von einer Aufregung rund ums Schloss Neuschwanstein wenig zu spüren. Der 30-Jährige wurde bereits wenige Minuten nach der mutmaßlichen Tat von den ersten eintreffenden Polizisten dingfest gemacht. Ein Video auf der Plattform Twitter zeigt, wie der spitzbärtige Mann, bekleidet mit Jeans, dunkelblauem T-Shirt und beiger Base-Cap, von den Beamten in Handschellen abgeführt wird. Dabei hatte er sogar noch eine für Touristen typische Tragetasche um den Bauch hängen. Sein Haupt war leicht gesenkt, seine Miene wirkte ausdruckslos.
Bereits gegen 16.10 Uhr gab die Polizei am Mittwochnachmittag die Marienbrücke wieder für die Touristen frei. Lediglich der Weg ostwärts in Richtung Tegelberg blieb noch für längere Zeit gesperrt, um Spuren sichern zu können. An einem Pavillon, wo normalerweise Pendelbusse zur Marienbrücke halten, traf die Polizei auf Augenzeugen des Geschehens.
Der Täter befand sich nach Recherchen unserer Redaktion am Mittwoch ab 17 Uhr auf der Füssener Polizeiinspektion. Dort wurde er bis 20 Uhr vernommen und es wurden Spuren sichergestellt. Am Donnerstag musste der 30-Jährige dann vor den Ermittlungsrichter am Kemptener Amtsgericht. Dieser erließ Haftbefehl wegen Mordes, versuchten Mordes sowie wegen eines Sexualdelikts.
Nach Gewalttat bei Neuschwanstein: Polizei bittet Zeugen um Hilfe – und Bildmaterial
Nach Informationen unserer Redaktion waren die Touristinnen aus den Vereinigten Staaten in einem Hotel in München untergebracht, der mutmaßliche Täter lebte in einer Pension in Oberstdorf. Der genaue Tathergang soll laut Polizei und Staatsanwaltschaft in den kommenden Wochen rekonstruiert werden. Dabei hoffen die Beamten auf Unterstützung aus der Bevölkerung. Zeugen, die am Mittwoch etwas beobachtet haben, werden gebeten, sich unter 0831/99090 bei der Kemptener Kripo zu melden.
Außerdem will die Polizei Fotos und Videos auswerten, die am Mittwoch von Touristen rund um die Marienbrücke entstanden sind. Dafür wird auf das Uploadportal der bayerischen Polizei verwiesen.