Der 17. September 2019 wird zum wohl schlimmsten Tag im Leben von Walter Limbach: Am Abend macht sich seine Frau Susanne in ihrem VW Polo von Werneck (Kreis Schweinfurt) aus auf den Nachhauseweg nach Oberpleichfeld (Kreis Würzburg). Auf der B19 schert plötzlich ein damals 33-Jähriger mit seinem Ford Pickup und 0,44 Promille Alkohol im Blut aus dem Gegenverkehr nach links aus. Er will in einen Flurbereinigungsweg einbiegen, der eigentlich nur für land- und forstwirtschaftlichen Verkehr freigegeben ist. Es kommt zum Zusammenprall. Die 57-jährige Susanne Limbach stirbt wenige Stunden später in einer Klinik.
Seitdem führt Walter Limbach einen schier chancenlosen Kampf: gegen die Trauer und gegen gefühlte Ungerechtigkeit. Denn der Unfallfahrer wird einige Monate später nicht in einem Gerichtssaal wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe und einem Fahrverbot verurteilt, sondern an einem Schreibtisch im Amtsgericht Schweinfurt per Strafbefehl. Also ohne Verhandlung, von der sich Limbach Antworten auf quälende Fragen erhofft hätte.
Tödlicher Unfall in Bayern und trotzdem kein Gerichtsprozess
Warum ist der Unfallfahrer auf den Feldweg abgebogen? Wie schnell war er unterwegs? Warum hat er die Situation so falsch eingeschätzt? Hatte der 33-Jährige wirklich nur ein Bier getrunken, wie er aussagte, welche Rolle spielte der Alkohol bei dem Unfall? Und wie kam das Gericht zu seinem Strafmaß?
Doch durch die Annahme des Strafbefehls ist der Fall juristisch abgeschlossen. Das Vorgehen der zuständigen Staatsanwaltschaft Schweinfurt, die den Strafbefehl beantragt hat, entspricht der geltenden Strafprozessordnung und ist laut bayerischem Justizministerium "nicht zu beanstanden".
Strafbefehl: Hinterbliebene können keine Rechtsmittel einlegen
Walter Limbach bringt das keinen Frieden: Denn während Angeklagte gegen einen Strafbefehl Einspruch einlegen können, haben Hinterbliebene oder Angehörige, die in einem Verfahren Nebenkläger sein können, keine Rechtsmittel, um gegen den Erlass vorzugehen. Limbach will diese Rechtslage nicht hinnehmen. Er wendet sich an unsere Redaktion, kontaktiert Anwälte und die Politik – und findet bald Gehör.
Im März 2021 will Manuela Rottmann, damals Obfrau im Rechtsausschuss des Bundestages, von der Regierung wissen, ob man "angesichts des Ausschlusses der Nebenklage im Strafbefehlsverfahren Reformbedarf" sehe. Denkbar wäre laut der Grünen-Politikerin aus Unterfranken zum Beispiel, dass Angehörige wie Walter Limbach einem "Wechsel ins Strafbefehlsverfahren" erst zustimmen müssten. Doch das damals SPD-geführte Bundesjustizministerium will an der bestehenden Rechtslage festhalten.
Der heute 65-jährige Witwer lässt sich nicht entmutigen, bleibt hartnäckig. Immer wieder macht er auf sein Schicksal aufmerksam. Im Juli 2023 stellen dann die Grünen im bayerischen Landtag eine Anfrage zum Fall Limbach. Deren rechtspolitischer Sprecher Toni Schuberl will darin von der Staatsregierung unter anderem wissen, wie viele Strafbefehle an bayerischen Gerichten in den vergangenen Jahren wegen fahrlässiger Tötung erlassen wurden. Außerdem, ob die Staatsregierung plane, Staatsanwaltschaften für Schicksale wie das von Walter Limbach zu sensibilisieren, und ob man geltende Gesetze reformieren müsse, um Rechte von Nebenklägern zu stärken.
Staatsanwaltschaft Schweinfurt zieht aus dem Fall Konsequenzen
Jetzt liegt die Antwort aus dem Justizministerium vor – und sie lässt aufhorchen. Zwar wird die Anzahl der entsprechenden Strafbefehle statistisch nicht erfasst, eine Sensibilisierung der Justiz durch die Staatsregierung ist nach Ansicht der Ministeriums "nicht erforderlich" und ein "Reformbedarf bei den einschlägigen Rechtsgrundlagen" sei nicht geboten, heißt es darin. Aber: Wie das Ministerium mitteilt, hat die zuständige Staatsanwaltschaft Schweinfurt nach dem Fall Limbach Konsequenzen gezogen.
In der Antwort an die Grünen spricht das Justizministerium von einer "neuen Praxis" der Staatsanwaltschaft Schweinfurt: "Als Konsequenz aus den Erfahrungen im vorliegenden Verfahren" beantrage sie "eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung im Strafbefehlswege nunmehr nur noch nach vorheriger formloser Rücksprache mit einem Bevollmächtigten der Angehörigen des Opfers". Sprich: Familie oder Vertraute des Opfers werden vorher gefragt.
Reinhold Emmert, Sprecher der Staatsanwaltschaft, bestätigt das. Das neue Vorgehen sei eine Folge "aus den Erfahrungen im Fall 'L.'". Und weiter: "Sinn dieser Praxis ist, die Interessen der Angehörigen angemessen zu berücksichtigen." Eine rechtliche Verpflichtung zu dieser Vorgehensweise bestehe allerdings nicht. Grünen-Politiker Schuberl begrüßt diesen Schritt und "fordert, dass künftig überall in Bayern so verfahren werden sollte wie in Schweinfurt". Dazu solle Justizminister Georg Eisenreich (CSU) andere Staatsanwaltschaften in Bayern "entsprechend informieren" und "auf die gute Praxis der Staatsanwaltschaft Schweinfurt" hinweisen.
Für Walter Limbach ist diese Nachricht der bisher größte Erfolg. "Es sollte überall so verfahren werden", findet er. Sein großer Wunsch bleibt: "Nach meinem Schicksalsschlag soll es niemandem juristisch so ergehen wie mir." Am liebsten wäre ihm eine Gesetzesänderung.