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S-Bahn-Unglück: BRB-Chef: "Die Schieneninfrastruktur in Bayern ist grausam"

S-Bahn-Unglück

BRB-Chef: "Die Schieneninfrastruktur in Bayern ist grausam"

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    Auf der Münchner S-Bahn-Strecke kam es am Valentinstag zu einer folgenschweren Kollision: ein 24-jähriger Fahrgast starb, sechs Menschen wurden schwer verletzt. Nun wird gegen einen der Lokführer ermittelt.
    Auf der Münchner S-Bahn-Strecke kam es am Valentinstag zu einer folgenschweren Kollision: ein 24-jähriger Fahrgast starb, sechs Menschen wurden schwer verletzt. Nun wird gegen einen der Lokführer ermittelt. Foto: Matthias Balk/dpa

    Herr Schuchmann, ist Bahnfahren noch sicher?
    ARNULF SCHUCHMANN: Mit vollster Überzeugung, ich fahre selbst jeden Tag: Natürlich ist es immer noch das sicherste und auch bequemste Verkehrsmittel. Bei der Bayerischen Regiobahn (BRB) fahren wir jeden Tag fast 1000 Züge auf unseren 800 Kilometern. Statistisch bewegen Sie sich da im Promille-Bereich mit irgendwelchen Vorfällen.

    Und doch gibt es diese Vorfälle. Vergangenen Montag kam es in München zu einem schweren Frontalzusammenstoß zweier S-Bahnen. Ein 24-jähriger Fahrgast starb, 18 Menschen wurden verletzt, sechs davon schwer. Auch wenn Ihr Bahnunternehmen, die BRB, nicht beteiligt war - beschäftigt Sie solch ein Fall?
    SCHUCHMANN: Natürlich haben wir mit solchen Themen immer zu tun. 2018 kam es in Aichach zu einem Unglück auf einer Strecke, die wir betreiben. Zwei Jahre zuvor hatten wir den Zusammenstoß in Bad Aibling. Es scheint so zu sein, dass in Bayern alle paar Jahre etwas passieren muss. Das kam mir schon auch in den Sinn, als ich vom jetzigen Unglück hörte. Wenn so etwas passiert, gibt es klassischerweise entweder technische oder menschliche Versagensgründe. In diesem Fall scheint klar zu sein, was von beidem zutrifft.

    Die Staatsanwaltschaft München hat Ermittlungen gegen einen der Lokführer aufgenommen. Er soll ein Haltesignal missachtet haben. Kann ein Zug denn einfach über rot fahren?
    SCHUCHMANN: Es ist nicht wie an einer Straßenkreuzung, wo Sie einfach über eine rote Ampel fahren können. Ignoriert der Lokführer ein Haltesignal, wird er durch Magneten, die in den Schienen verbaut sind, zwangsgebremst. Allerdings kann sich der Fahrer aus dieser Zwangsbremsung befreien. Drückt er einen Schalter, kann er weiterfahren. Das ist aber eine bewusste, aktive Handlung. Nach dem Regelwerk muss das in Absprache mit dem zuständigen Fahrdienstleiter geschehen. Das scheint hier nicht der Fall gewesen zu sein.

    Wer ist denn das größere Sicherheitsrisiko - Mensch oder Technik?
    SCHUCHMANN: (überlegt) Andere Experten werden sagen: der Mensch. Er ist unberechenbarer. Er hat mal einen schlechten Tag oder übersieht etwas. Nur halte ich überhaupt nichts davon, die Verantwortung vom Menschen zu 100 Prozent auf die Technik zu übertragen. Wir würden uns dann nur in Sicherheit wiegen. Und zwar im falschen Sinne.

    Auf der betroffenen Zugstrecke bei München kam es im Vorjahr bereits zu einer Beinahe-Kollision. Der Abschnitt ist eingleisig, wie gut 50 Prozent des gesamten bayerischen Schienennetzes. Klingt nach unnötigem Risiko?
    SCHUCHMANN: Per se sind eingleisige Strecken nicht unsicherer, wenn alle das tun, was die Vorschriften hergeben. Aber ohne Zweifel ist es mit zwei Gleisen einfacher. Ich kriege mehr Verkehr auf die Schiene, muss nicht aufeinander warten und klar, wenn Fehler passieren, dann kracht es nicht zwangsläufig.

    Ein Lokführer könne eine Zwangsbremsung, wie sie auch vor dem Unglück in München eingeleitet wurde, nur mit einer bewussten Handlung aussetzen, erklärt Arnulf Schuchmann, Geschäftsführer der Bayerischen Regiobahn.
    Ein Lokführer könne eine Zwangsbremsung, wie sie auch vor dem Unglück in München eingeleitet wurde, nur mit einer bewussten Handlung aussetzen, erklärt Arnulf Schuchmann, Geschäftsführer der Bayerischen Regiobahn. Foto: Bayerische Regiobahn

    Sie waren neun Jahre lang Geschäftsführer der Ostdeutschen Eisenbahn in Berlin. Im Vergleich dazu sei Bayern bahntechnisch ein "Entwicklungsland", sagten Sie der tz. Was meinen Sie damit?
    SCHUCHMANN:: Es vergeht kein einziger Tag, an dem ich in Hausham keine Bahnübergangsstörung habe oder auf der Mangfalltalbahn. Das Alter, der Zustand, die Zuverlässigkeit und die Verfügbarkeit der Infrastruktur in Bayern sind nur mit einem Wort zu beschreiben: grausam. Das Wunder ist, dass wir überhaupt noch fahren.

    Woran krankt es besonders?
    SCHUCHMANN: Ganz vorne dabei ist die Leit- und Sicherungstechnik. Wenn die Signalanlagen ausfallen, kommt es zur sogenannten Rotausleuchtung. Das heißt: Alle Züge fahren auf Sicht, damit nichts passieren kann. Es kommt dann zu Verspätungen ohne Ende, Reisende verpassen ihre Anschlusszüge. Diesen ganzen Mist erleben wir jeden Tag. Im Sommer überhitzt die Technik, im Winter ist es zu kalt, im Herbst zu feucht. Es gibt eine Jahreszeit, zu der die Infrastruktur halbwegs funktioniert. Das ist im späten Frühjahr, wenn es trocken bleibt und zwischen zehn und 15 Grad warm ist.

    Ein schmaler Korridor.
    SCHUCHMANN: Verdammt schmal. Und Sie können sich vorstellen, dass das überhaupt keine Freude macht. Auch nicht für die Kollegen der Deutschen Bahn, die das von ihren Vor-Vor-Vorvätern geerbt haben. Man hat hier jahrzehntelang nichts in die Infrastruktur investiert.

    Dabei hätte es ja genügend CSU-Verkehrsminister gegeben, die am Zustand bayerischer Schienen etwas hätten ändern können.
    SCHUCHMANN: Es ist verrückt. Nach der Wiedervereinigung und der Gründung der Deutschen Bahn 1994 hat der Bund sehr viel Geld in den Osten gesteckt. Die Schieneninfrastruktur ist dort ohne Zweifel moderner. Den Westen und vor allem Bayern hatte man hingegen überhaupt nicht auf dem Schirm, nach dem Motto: Autoland, hier bauen wir lieber Autobahnen statt in Schienen zu investieren. Und jetzt steht man da und möchte gern einen pünktlichen Betrieb. Nur: Mit dieser Infrastruktur ist es unmöglich, ordentlichen Betrieb zu machen.

    Unmöglich auch, Zugunfälle wie zuletzt ganz zu verhindern?
    SCHUCHMANN: Es geht um ein Zusammenspiel von Regelwerken, Menschen und der Technik. Selbst wenn eine dieser Schnittstellen schwächelt, gibt es Rückfallebenen. Klar, durch einzelne Sachen könnte man das Risiko immer minimieren: weniger ungesicherte Bahnübergänge zum Beispiel, sicherlich auch weniger eingleisige Strecken. Aber eigentlich finde ich es schon beeindruckend, wie sicher das System unter dem Strich ist.

    Zur Person

    Arnulf Schuchmann, 54, leitete acht Jahre lang die Ostdeutsche Eisenbahn in Berlin und ist seit Juli 2020 Geschäftsführer der Bayerischen Regiobahn (BRB).

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