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Spion aus Russland an Uni Augsburg muss nicht ins Gefängnis

Prozess in München

Überraschung: Russischer Spion an Uni Augsburg muss nicht ins Gefängnis

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    Das Institut für Materialforschung der Uni Augsburg.
    Das Institut für Materialforschung der Uni Augsburg. Foto: Silvio Wyszengrad

    Als Ilnur N. am 17. Februar zum ersten Mal auf der Anklagebank Platz nahm, schien das Grauen in der Ukraine noch abwendbar. Doch bereits eine Woche später ließ Russlands Präsident Wladimir Putin Truppen ins Nachbarland einmarschieren. Überschattet von diesem Krieg mit seinen jetzt schon Zehntausenden Toten lief der Prozess gegen den jungen Mann von der Uni Augsburg, der für einen russischen Geheimdienst Wissenschaftsspionage betrieben haben soll. Am Mittwochvormittag endete das Verfahren nun mit einem durchaus überraschenden Urteil: Ilnur N., 30, erhält eine Bewährungsstrafe von nur einem Jahr.

    Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München bestraft den jungen russischen Forscher milde, weil er ein kleines Rädchen im Getriebe der großen russischen Spionage-Maschinerie war. Er verschaffte dem russischen Geheimdienst SWR zwar Informationen – unter anderem über die europäische Trägerrakete Ariane – und traf sich fast ein Dutzend Mal mit seinem Agentenführer. Doch im Prozess kam heraus, dass N. nur öffentlich zugängliche Informationen aufbereitet und weitergegeben hat. Teilweise nutzte er seinen Bürorechner in der Uni Augsburg, um über Bezahlportale im Internet an Informationen zu kommen, zum Beispiel über batteriebetriebene Kleinflugzeuge.

    Prozess um Augsburger Uni-Spion: Ilnur N. bestritt, dass er gewusst habe, für einen Geheimdienst zu arbeiten

    Allerdings ist schon die Zusammenarbeit mit einem ausländischen Geheimdienst strafbar. Ilnur N. hat freimütig über die Treffen mit seinem Agentenführer in Augsburg berichtet, ebenso wie über die Weitergabe von wissenschaftlichen Arbeiten und über seine Bezahlung von rund 2500 Euro. Er bestritt lediglich, gewusst zu haben, dass er für einen Geheimdienst tätig ist. Das Gericht nahm ihm dies ab – bis zu einem gewissen Zeitpunkt: Ab Februar 2021 habe N. selbst den Verdacht gehegt, dass er möglicherweise für einen Geheimdienst arbeitet. 

    N.s Verteidiger Alexandra Gutmeyr aus Augsburg und Jens Palupski aus Berlin hatten einen Freispruch gefordert. Die Informationen, die ihr Mandant weitergegeben hat, hatten mit dessen Arbeit am Institut für Materialforschung der Uni Augsburg nichts zu tun gehabt. Geheimnisverrat zu Lasten der Universität hat der junge Russe auch nach Feststellung des Gerichts nie begangen. N. wollte an der Uni Augsburg seinen Doktortitel erwerben. Das Urteil nahm Ilnur N. äußerlich völlig ungerührt auf.

    Spannend waren Erkenntnisse aus dem Prozess über die Arbeit der russischen Geheimdienste. So wurde bekannt, dass Ilnur N. direkt aus dem russischen Generalkonsulat in München gesteuert wurde. Die Anwerbung erfolgte durch den russischen Vize-Konsul Leonid S. persönlich. Das war im Sommer 2019, und es war wie im Agentenfilm. Ilnur N. war mit Freunden bei einer Rafting-Tour in den Alpen. Nach dem Ausflug sprach ihn ein Mann auf Russisch an. Es war der Vize-Konsul. Ilnur N. erzählte ihm von seinem Beruf. Leonid S. sagte, er sei ab und zu in Augsburg und gab N. seine Telefonnummer.

    Im Schattenreich der Spione ist es nicht unüblich, dass Agentenführer an Botschaften oder Konsulate angedockt sind. Dies dient zum einen der Tarnung, zum anderen genießen die Agenten damit diplomatische Immunität und bleiben dem Zugriff der jeweiligen Sicherheitsbehörden entzogen. So war es auch im Fall Leonid S. Der Vorsitzende des 6. Strafsenats, Jochen Bösl, sagte: „S. hat seine Tätigkeit im Generalkonsulat nur als diplomatische Tarnung benutzt.“ Tatsächlich sei er Mitarbeiter des zivilen russischen Geheimdienstes SWR gewesen.

    Ilnur N. hatte an der Uni Augsburg Einblicke in die Forschung zu Faserverbund-Werkstoffen

    Rund drei Monate später kam es laut N. tatsächlich zu einem ersten Treffen in einem Augsburger Steakhaus. Die „Legende“, die der Geheimdienstmitarbeiter nach N.s Darstellung erzählt hat: Er habe früher lange im Bankensektor gearbeitet und unterhalte immer noch gute Kontakte, unter anderem zu Investoren, die ihr Geld in die Weltraumforschung stecken wollen. Ilnur N. glaubte dies, wurde neugierig und biss an. Auch die Aussicht, etwas Geld zu verdienen, lockte ihn.

    Für den russischen Geheimdienst schien der junge Landsmann kein schlechter Fang: Er hatte an der Uni Augsburg Einblicke in die Forschung zu Faserverbund-Werkstoffen. Diese modernen Materialien sind zugleich leicht und sollen großen Belastungen standhalten. Sie eignen sich ideal für den Bau von Autos und Flugzeugen – sind aber auch für die Raumfahrt und die Rüstungsindustrie hochinteressant.

    Den Agenten ging es im Fall Ilnur N. offenbar vor allem um die europäische Trägerrakete Ariane. Welche Entwicklungsstufe hat diese Rakete erreicht? Welche Werkstoffe werden bei ihrem Bau eingesetzt? Solche Fragen haben die Spione aus Russland interessiert. Ilnur N. war in Augsburg als Doktorand auch an einem Forschungsprojekt mit dem Namen „MakeKryo“ beteiligt. Vereinfacht gesagt geht es dabei um die Frage, wie man Materialien auf ihre Haltbarkeit bei extrem niedrigen Temperaturen testen kann. Temperaturen also, wie sie im Weltraum herrschen. Deshalb ist das Projekt auch Teil des nationalen Raumfahrtprogramms.

    Die Zeit im Gefängnis war für den Augsburger Uni-Spion "reiner Horror"

    Doch nach Recherchen unserer Redaktion hatten die deutschen Sicherheitsbehörden den Vize-Konsul bereits als Verdächtigen im Visier. Leonid S. wurde trotz seiner diplomatischen Immunität seit Jahren vom Verfassungsschutz als mutmaßlicher Agent beobachtet. Zu der Überwachung zählte nicht nur das Abhören von Telefongesprächen, sondern auch die Observation, teils mit Videokamera. So kam man auch Ilnur N. auf die Spur.

    Nach einem Treffen am 18. Juni 2021 bei McDonald’s nahe des zentralen Augsburger Königsplatzes wurde Ilnur N. von einem Spezialeinsatzkommando festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Sein „Chef“ ging als freier Mann, er zückte einen Diplomatenausweis und suchte das Weite. Bald darauf wurde der Vize-Konsul jedoch wegen seiner Agententätigkeit aus Deutschland ausgewiesen.

    Zehn Monate lang saß Ilnur N. in Untersuchungshaft, erst in der JVA Augsburg-Gablingen, nun für die Zeit des Prozesses in der JVA München-Stadelheim. Diese Zeit hinter Gittern sei für ihn „reiner Horror“ gewesen, sagte der 30-jährige Russe zum Prozessauftakt. Er habe sich niemals vorstellen können, dass er einmal ins Gefängnis müsse, betonte der junge Wissenschaftler. Seine russische Freundin, die ihn früher regelmäßig für ein paar Wochen in Augsburg besucht und bei ihm in der Wohnung im Stadtteil Pfersee gewohnt hatte, hat er schon seit Längerem nicht mehr gesehen. Auch die Trennung von seiner Familie macht ihm sehr zu schaffen, berichtete er.

    Durch die Verhaftung seien praktisch mit einem Schlag sein gesamtes Leben und seine Karrierepläne zerschlagen worden. Er wird sich nun trotz des milden Urteils komplett neu sortieren müssen. Auch eine Ausweisung aus Deutschland steht im Raum. Immerhin konnte Ilnur N. den Gerichtssaal am Mittwoch als freier Mann verlassen.

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