Um kurz vor 17 Uhr meldet sich an diesem Donnerstag Lorenz Wolf zu Beginn des öffentlichen Teils der BR-Rundfunkratssitzung zu Wort. Seit 2014 leitet der Kirchenmann das Aufsichtsgremium des Senders – nicht so an diesem Tag. Professor Godehard Ruppert, sein Stellvertreter, hat übernommen. Wie Wolf katholischer Theologe – und früherer Präsident der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Wolf kämpft um seinen Ruf. Sein Umgang mit Missbrauchsfällen hat ihn möglicherweise nahe an ein jähes Ende seiner beeindruckenden Karriere geführt. Derzeit „ruhen“ alle seine Ämter und Aufgaben.
Im Mai wäre Wolfs Zeit als Vorsitzender des Rundfunkrats ausgelaufen, am Donnerstag wollte er sich eigentlich in den Verwaltungsrat wählen lassen. Er würde damit die Geschäftsführung der Intendantin überwachen. Daraus wird nichts: Wolf erklärt in der Videoschalte, er werde den Rundfunkrats-Vorsitz weiter ruhen lassen und stehe nicht für die Wahl in den Verwaltungsrat zur Verfügung. Zugleich macht er klar, dass er nicht zurücktreten will.
Lorenz Wolf lässt sein Amt als Vorsitzender des Rundfunkrats des Bayerischen Rundfunks weiter ruhen
Stattdessen sagt er: Er werde zu allen Vorwürfen gegen ihn im Missbrauchsgutachten für das Erzbistum München und Freising, das am 20. Januar veröffentlicht wurde, noch Stellung nehmen. Den Gutachtern der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl hält er ein vorgefasstes „Narrativ“ sowie „gutachterliche Verdächtigungen“ vor.
Wolf soll sich ihnen zufolge mehrfach „kritikwürdig“ verhalten haben im Umgang mit Missbrauchsfällen. Sie gewannen den Eindruck, dass für ihn „die Interessen der des sexuellen Missbrauchs beschuldigten Priester gegenüber denen der mutmaßlichen Geschädigten im Vordergrund standen“. Auch Betroffene kritisierten ihn scharf.
Wolf, Leiter des Kirchengerichts, war aufgrund dieses und einer Vielzahl weiterer Ämter zu einem der einflussreichsten Kleriker Bayerns geworden. Am Mittwoch kritisierte ihn jedoch selbst sein Erzbischof Reinhard Kardinal Marx in der Süddeutschen Zeitung. Er könne es „natürlich so nicht stehen lassen“, dass Wolf den Gutachtern gegenüber die Legitimität der Untersuchung insgesamt infrage habe stellen lassen.
In der Rundfunkrats-Sitzung am Donnerstag wehrt sich Wolf
Wolf wehrt sich am Donnerstag. Er sagt unter anderem: Als oberster Kirchenrichter habe er keine Zuständigkeit für Personalentscheidungen oder disziplinarische Angelegenheiten. Selbstkritisch zeigt er sich gleichwohl. Mit Blick auf Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche erklärt er: „Da kann ich mich nur schämen. Schämen auch dafür, dass auch ich Schuld auf mich geladen habe. Immer, wenn ich mich nicht nachhaltig genug an die Seite der Opfer gestellt habe; immer dann, wenn ich die Situation falsch eingeschätzt habe, zu kurz angebunden war, den Ton nicht getroffen habe oder Hilferufe nicht gehört habe.“
Zum Eklat kommt es nach Wolfs Statement, weil er sich gegen kritische öffentliche Aussagen der Grünen-Landtagsabgeordneten Sanne Kurz über ihn – auch sie ist Mitglied im Rundfunkrat – verwahrte. Nicht nur sie und ihr Kollege Martin Runge (Grüne) reagieren empört. Runge sagt über Wolf: „Er hätte seinen Rücktritt erklären sollen, aber nicht eine langatmige Verteidigungsrede halten dürfen.“ Dies sei ein „Missbrauch des Gremiums“, den Godehard Ruppert zugelassen habe. Der spricht danach von einem „Zwischenschritt“. Eine Diskussion lässt er nicht zu. Wolf hat sich da schon verabschiedet.
Grüne und FDP üben massive Kritik an Wolf und seiner Stellungnahme
Für den medienpolitischen Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Helmut Markwort – Rundfunkratsmitglied und Gründungschefredakteur des MagazinsFocus – ist es eine „Schande, dass Lorenz Wolf der Aufforderung der FDP, sein Amt als BR-Rundfunkratsvorsitzender niederzulegen, nicht gefolgt ist.“ Unserer Redaktion sagt er zudem: „Das ist eine große Enttäuschung, dass keinerlei Diskussion über seine Erklärung zugelassen wurde. Die Wortmeldung einer Rundfunkrätin, die er angegriffen hatte, wurde brutal abgewürgt."
Die 50 Mitglieder des BR-Rundfunkrats vertreten die wichtigen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Gruppen des Freistaats. Aufgabe des Aufsichtsgremiums ist es „den Intendanten insbesondere bei der Gestaltung des Programms, aber auch bei allen anderen grundsätzlichen Fragen“ zu beraten. Seit Herbst 2020 hat der Sender mit Katja Wildermuth erstmals eine Intendantin.