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Robert Habeck und der Hass im Netz: Kampf um Meinungsfreiheit?

Kommentar

Schwachkopf? Schwachsinn! Politiker müssen sich nicht alles gefallen lassen

Daniel Wirsching
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    Der Spitzengrüne Robert Habeck wird immer wieder Opfer von Beleidigungen – und damit ist er bei Weitem kein Ausnahmefall.
    Der Spitzengrüne Robert Habeck wird immer wieder Opfer von Beleidigungen – und damit ist er bei Weitem kein Ausnahmefall. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Man braucht kein Freund von Robert Habeck zu sein, um es bedenklich zu finden, wie sehr sich einige an ihm abarbeiten. Habeck ist zur Hassfigur geworden und Ziel permanenter Angriffe. Jüngster Anlass: Der Spitzengrüne zeigte einen Rentner an, der im sozialen Netzwerk X ein Bild des Politikers verbreitet haben soll, das – in Anspielung auf eine Haarpflege-Marke – mit „Schwachkopf PROFESSIONAL“ beschrieben war. Geht hier ein mächtiger Minister auf einen kleinen Bürger los?

    Habeck muss sich vorwerfen lassen, in diesem Fall überzogen zu haben. Dennoch: Dass die Staatskanzlei des bayerischen CSU-Ministerpräsidenten vor Kurzem Strafantrag wegen der Aussage stellte, Markus Söder sei „der größte Trottel“, blieb eine Randnotiz. Dass FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann monatlich bis zu 250 Strafanzeigen, fast ausschließlich wegen Beleidigungen, stellt, wurde registriert. Bei Habeck schrieben – besser: schrien – rechte Portale dagegen eine Staatsaffäre herbei, die die Angelegenheit nicht ist. Die Staatsanwaltschaft erklärte nach Tagen einer Kampagne gegen ihn überdies, dass eine richterlich angeordnete Durchsuchung der Wohnung des Rentners längst vor dem Strafantrag des Politikers erlassen worden war.

    Plattformen wie X, ihren Besitzern und Algorithmen den politischen Diskurs zu überlassen, ist gefährlich

    Um sachliche, differenzierte Darstellungen geht es aber weder den Scharfmachern noch einem Milliardär wie Elon Musk, der X zu einer Plattform für rechtsextreme und verschwörungsideologische Inhalte sowie für Trump-Propaganda umgebaut hat; zu einem digitalen Wilden Westen, in dem seine Regeln gelten und vor dem der Rechtsstaat zu kapitulieren scheint. Wer in X nach wie vor eine Plattform für eine demokratische öffentliche Debatte sieht, ist bestenfalls naiv.

    Womit die echten Skandale benannt sind: Solchen Plattformen, ihren Besitzern und Algorithmen den politischen Diskurs zu überlassen, ist gefährlich. Ebenso der in der aktuellen Entrüstungsspirale wieder zu beobachtende Versuch, den Begriff „Meinungsfreiheit“ umzuwerten: zur Freiheit, alles zu äußern, was man will – weitgehend unbeschränkt und folgenlos. Einher damit geht das Zersetzen des Staates und seiner Institutionen. Es ist die „Methode Trump“.

    Erneut zeigt das Beispiel der Schwachkopf-Anzeige den kursierenden Schwachsinn und eben diese Mechanismen auf – und die Ratlosigkeit, mit der man versucht, all dem beizukommen. Habeck ist keine Ausnahme, doch eine Flut von Politiker-Strafanzeigen als Reaktion auf eine Flut von Unanständigkeiten ist auf Dauer keine Antwort. Die liegt in einer strikteren (Selbst-)Regulierung sozialer Netzwerke und vor allem in einer Rückbesinnung auf Umgangsformen, die man Kindern mit den Worten verständlich macht: „Das tut man nicht.“

    Permanente Attacken dürfen nicht zum Rückzug aus der Politik führen

    Es stimmt: Spitzenpolitiker müssen sich mehr gefallen lassen als andere, allerdings nicht alles. Erst recht dürfen permanente Attacken nicht zu ihrem Rückzug aus der Politik führen, wie dem des sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz vor wenigen Tagen – zum Schutz seiner Familie. Umso beschämender ist es, wenn Politikern, die sich mit rechtsstaatlichen Mitteln wehren, „Heulsusigkeit“ vorgeworfen wird. Oder, dass mit Beleidigungsdelikten massiv Politik gemacht werde, was „zur Einengung des politischen Meinungskorridors missbraucht“ werde. Das sagte, Täter und Opfer verkehrend, ausgerechnet ein Bundestagsvizepräsident, Wolfgang Kubicki von der FDP.

    Der traurige Ist-Zustand wird bis auf Weiteres wohl dieser sein: Spitzenpolitikerinnen und -politiker müssen je für sich einen Umgang mit Beleidigendem finden. Wenigstens sie sollten dabei die Verhältnismäßigkeit wahren. Das gilt auch für die Justiz. Durchsuchungsbeschlüsse bei mutmaßlichen Bagatelldelikten haben zumindest keine abschreckende Wirkung, sie zerstören Vertrauen.

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