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Ehrenamt: Auf der Suche nach den Dingen, die uns verbinden

Immer im Team: Tobias Leukhardt, Philipp Ammon und Patrick Noone (von links) sind Teil des ehrenamtlichen Teams, das sich um das Backhaus kümmert.
Ehrenamt

Auf der Suche nach den Dingen, die uns verbinden

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    Da stehen sie also, rund um einen weißen Stehtisch aus Plastik, hinter ihnen der Grund, warum sie heute hier sind: das Backhaus. Rund 20 Menschen sind zum Backtag gekommen, manche allein, die meisten zu zweit. Die Brote sind im Ofen. Nun tut die Hitze ihr Übriges, lässt den Teig aufgehen und fest werden, die Kruste braun und hart. Es riecht nach Holz, das verfeuert wird. Hoch oben über der Kirche scheint die Sonne so warm auf die Wiese wie an einem Frühlingstag.

    Eine Stunde dauert es, bis die Brote gebacken sind. Eine Stunde Zeit für Kaffee, für Gespräche. „Wie geht’s dir?“, hört man immer wieder. „Lang nicht gesehen.“ Sechs Wochen haben sie pausiert, wegen Omikron. Zu gefährlich, auch an der frischen Luft. Nun, mit dem bevorstehenden Frühling, soll es wieder losgehen. Zurück zur Normalität nach zwei Jahren Corona-Modus.

    Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer nehmen den Brotteig entgegen.
    Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer nehmen den Brotteig entgegen. Foto: Marcus Merk

    Die Türen zum Backhaus stehen also wieder offen, und vor ihnen einer der Menschen, ohne die es heute keinen Backtag gäbe. Christian Wolf ist Diakon in der evangelischen Kirchengemeinde in Gersthofen bei Augsburg, ein freundlicher Mann mit Brille und Fleecejacke. Er koordiniert das Backhaus-Team, in dem rund ein Dutzend Ehrenamtliche mithelfen.

    Fünf Jahre, erzählt Wolf, ist es her, dass er und seine Mitstreiter beschlossen haben: „Wir stemmen das.“ Ein Backhaus, für alle, die kommen wollen. Ein Ort, an dem jeder Brot backen kann, an dem Rezepte getauscht werden und Menschen zusammenfinden. Ein Ort, an dem es um das geht, was viele zuletzt vermisst haben: Gemeinschaft. Zusammenhalt.

    In der Pandemie hat beides ziemlich gelitten. Natürlich, anfangs gab es große Solidarität. Menschen, die für andere einkauften, Karten an ihre Liebsten schrieben, auf Balkonen standen und klatschten. Doch mittlerweile ist das Bild ein anderes. Ein Riss geht durch die Gesellschaft. Männer und Frauen ziehen demonstrierend durch die Innenstädte, manche von ihnen marschieren vor den Häusern lokaler Politiker auf und schreien dort ihre Wut heraus. Es gibt immer mehr Menschen, die Hassnachrichten ins Internet tippen, nach einer Forsa-Umfrage waren es 2021 so viele wie nie zuvor. Im Herbst erschießt ein Mann in Idar-Oberstein einen Tankstellenmitarbeiter, nachdem er ihn aufgefordert hatte, eine Maske zu tragen. Hass, Wut, Spaltung – das waren die Schlagwörter des Winters.

    Man muss das alles erzählen, um zu verstehen, wo dieser Artikel hinwill. Und doch soll es nicht um die Pandemie gehen in dieser Geschichte, zumindest nicht in erster Linie. Viele Texte haben bereits erkundet, wie zerrissen das Land im dritten Corona-Jahr ist. Dieser Artikel stellt eine andere Frage, womöglich ist es die wichtigere: Alle reden über ihre Spaltung – aber was hält die Gesellschaft eigentlich zusammen?

    Antworten auf diese Frage, das wird rasch klar, findet man nicht in den Kommentarspalten auf Twitter und Facebook oder bei den sogenannten „Spaziergängen“, sondern an Orten wie jenem Backhaus in Gersthofen oder auf einem Fußballplatz, der später noch eine Rolle spielen wird.

    In Körbchen kommt der Teig am Backhaus an.
    In Körbchen kommt der Teig am Backhaus an. Foto: Marcus Merk

    Vor dem Backhaus erzählt Christian Wolf, der Diakon, erst einmal, wie alles angefangen hat. Auf einer Klausur des Kirchenvorstands und mit einer Idee: ein „niederschwelliges Angebot für alle“, so haben sie das damals formuliert. Anfangs sollte alles ein bisschen kleiner werden, das Geld war knapp, die Wünsche bescheiden. Doch Wolf und der Kirchenvorstand konnten viele von ihrer Idee überzeugen. Der Rotary-Club Gersthofen spendete Geld, die Mitglieder packten beim Bau selbst mit an. Wolf zeigt auf die Dachbalken, auf die Pflastersteine am Boden, auf die Ziegelsteine, die den Ofen ummauern: Jedes Teil hier hat seine Geschichte, einen Spender oder eine Spenderin, die Material beigesteuert haben. Der Zusammenhalt, er war von Beginn an da. Insgesamt 50.000 Euro kamen durch Menschen zusammen, die das Projekt unterstützen wollten. „So eine Größenordnung“, sagt Wolf, „hätten wir als Kirchengemeinde nicht gestemmt.“

    Heute ist das Backhaus ein Treffpunkt. Da ist der zweiwöchentliche Backtag, aber da ist noch mehr. Der Stadtrat war schon hier, die Kinder vom Ferienprogramm, die Mitglieder des Nogent-Vereins, der die Partnerschaft mit der gleichnamigen französischen Stadt pflegt, und viele mehr.

    In den Ofen passen etwa 40 bis 50 Brotlaibe.
    In den Ofen passen etwa 40 bis 50 Brotlaibe. Foto: Marcus Merk

    Johanna Matysik hat ihr Smartphone aus der Tasche geholt und wischt durch die Fotos auf dem Bildschirm. Eben noch hat sie die Brote in Empfang genommen und Nummern verteilt, damit niemand später den falschen Laib mit nach Hause nimmt. Matysik zeigt auf die Bilder auf ihrem Handy: Kinder, die ehrfürchtig beim Backen zuschauen und eigene Brotkreationen formen. „Ist das nicht schön?“, fragt sie und schaut kurz von ihrem Telefon auf.

    Matysik und ihr Mann Jürgen sind schon von Anfang an Teil des ehrenamtlichen Teams, das den Backtag organisiert. Beide wohnen ganz in der Nähe und sind regelmäßig dabei. Was ist für sie das Besondere? Warum helfen sie mit?

    „Die Gespräche miteinander“, sagt Jürgen Matysik. „Die Menschen, die man sonst nicht kennen lernen würde.“

     „Die Freude der Leute“, sagt Johanna Matysik. „Die Freude der Leute, wenn sie sagen, dass es schön war.“

    Johanna und Jürgen Matysik sind von Anfang an als Ehrenamtliche dabei.
    Johanna und Jürgen Matysik sind von Anfang an als Ehrenamtliche dabei. Foto: Marcus Merk

    Das Ehepaar gehört zu den rund 30 Millionen Deutschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Die Matysiks und ihre Mitstreiter organisieren Backtage, andere arbeiten für die Tafel, bringen Kindern das Schwimmen bei, retten Igel oder Straßenhunde. Sie engagieren sich in Kirchengemeinden, bei der freiwilligen Feuerwehr oder packen, ganz aktuell, Pakete für die Ukraine. All das in ihrer Freizeit, ohne Bezahlung, oftmals neben einem Vollzeit-Job. Es sind Menschen wie sie, die eine Gemeinschaft stützen. Ihr Ehrenamt ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält.

    Zusammenhalt will auch Andreas Pelta an diesem Abend beschwören. Er hat dabei durchaus das große Ganze im Sinn, zunächst aber sehr konkret den Klassenerhalt. Pelta ist Trainer der Herrenmannschaft des SC Feldkirchen, eines Klubs aus dem gleichnamigen Ortsteil von Neuburg an der Donau. Seine Fußballmannschaft rangiert aktuell auf dem letzten Tabellenplatz der A-Klasse, elf Spiele sind noch zu spielen, immerhin, sagt der Trainer.

    Pelta trägt eine große Mütze, ein paar Dreadlocks schauen darunter hervor. Er ist einer, mit dem man sofort ins Gespräch kommt, unkompliziert. Heute steht er eine Dreiviertelstunde vor seinen Spielern auf dem Sportplatz, es nieselt, Pelta verteilt Hütchen, Slalomstangen und Reifen für das Training. Zwischendurch hat er ein wenig Zeit, um zu erzählen.

    Andreas Pelta trainiert die Herren-Fußballmannschaft des SC Feldkirchen.
    Andreas Pelta trainiert die Herren-Fußballmannschaft des SC Feldkirchen. Foto: Ulrich Wagner

    Während der Regen immer stärker wird, spricht er davon, was es für ihn heißt, ein guter Trainer zu sein. „Du musst mit Menschen umgehen können“, sagt Pelta. „Jeder Spieler ist anders.“ Man braucht Menschenkenntnis. Und Fingerspitzengefühl.

    Unter den rund 40 Spielern im Kader sind Männer zwischen 18 und Anfang 40, sie stammen aus 14 Nationen. „Außer Australien ist jeder Kontinent bei uns vertreten“, sagt Pelta. Ab und an begrüßt er seine Spieler auch schon mal in ihrer Muttersprache.

    Einige von ihnen sind als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Später, beim Training, wird Pelta zu jedem eine Geschichte erzählen können. Er weiß, wer wo seine Ausbildung macht, wer gerade eine Auszeichnung für seinen Abschluss erhalten hat. „Das sind die Sachen, über die man sich freut“, sagt der Trainer.

    "Das müssen wir besser machen", mahnt Pelta in seiner Ansprache. Das letzte Spiel hatte die Mannschaft verloren.
    "Das müssen wir besser machen", mahnt Pelta in seiner Ansprache. Das letzte Spiel hatte die Mannschaft verloren. Foto: Ulrich Wagner

    Er sieht die Mannschaft als Ort, an dem Integration gelebt wird. Als Tür in die Gesellschaft für Geflüchtete, die erst seit wenigen Jahren in Deutschland sind. Auch damals, zur Zeit der Flüchtlingskrise, ging ein Riss durch das Land. Hier, auf dem Platz, ist davon nichts zu spüren. Natürlich, sagt Pelta, flammt zwischen den Spielern auch mal Streit auf. Aber dabei gehe es eher um das Temperament des Einzelnen, nicht um die Herkunft.

    Hinter Pelta laufen sich jetzt die ersten Spieler warm, danach spielen sie sich locker ein. 14 Männer sind heute gekommen. Kurze Frage in die Runde: Warum stehen sie hier auf dem Platz? Was macht die Mannschaft aus?

    Rauskommen, Sport machen, sagt Mario Schmid, das ist das eine. Schmid spielt seit über 30 Jahren Fußball, schon früher stand er mit Trainer Pelta gemeinsam auf dem Platz. Das andere sind die Leute, die man hier trifft, die anderen Spieler. Schmid sagt: „Wenn jemand neu dabei ist, dann dauert das fünf Minuten und der ist mit drin.“

    „Toleranz, Akzeptanz“, sagt Felix Schuster, der neben ihm steht. Das sind die Werte, um die es hier geht.

    Andreas Pelta, der Trainer, versammelt die Mannschaft jetzt zu einer kurzen Ansprache. „Männer“, ruft er, „ich begrüße euch“. Das letzte Spiel haben sie verloren, 0:3 nach zwei Siegen zuvor, „verdient verloren“, sagt der Trainer. „Das müssen wir besser machen“, mahnt er. „Und das machen wir diese Woche.“

    Die Spieler passen sich jetzt Bälle zu, Pelta beobachtet, gibt ab und zu Anweisungen. Was ist sein Antrieb, mehrmals die Woche auf dem Platz zu stehen, bei Regen, Wind oder Schnee? Kommt da auch etwas zurück, für ihn, den Trainer?

    „Ich spür’s in jedem Spiel“, sagt Pelta. „Wenn ein Spieler mit einem Lachen vom Platz geht. Wenn ich merke: Der will was erreichen.“ Wenn die Mannschaft 0:1 zurückliegt und dann doch noch gewinnt. „Das freut mich narrisch“, sagt er. „Man sieht dann: Was man macht, bringt was.“

    Noch eine letzte Frage an den Trainer. Was, Herr Pelta, hält die Mannschaft zusammen? Pelta überlegt kurz, bevor er antwortet. „Dass sie eine Mannschaft ist. Eine Mannschaft hält zusammen.“

    So einfach kann es manchmal sein.

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