Am Morgen des 17. Oktober 2022 brechen drei Staatsfeinde zu einer langen Fahrt auf. Die Reise über 700 Kilometer führt sie mitten in unsere Region. Mit einem Truppendienstausweis schleichen sie sich laut den Ermittlungen in Bundeswehrkasernen ein. Sie inspizieren die Lechfeld-Kaserne und den Fliegerhorst Lechfeld in Graben (Landkreis Augsburg), die Welfenkaserne in Landsberg am Lech, den Fliegerhorst und die Wilhelm-Frankl-Kaserne in Neuburg an der Donau. Das Ziel der mutmaßlichen Rechtsterroristen: ein Hauptquartier zu finden, von dem aus an einem "Tag X" ein Umsturz in Deutschland losbrechen soll.
Kasernen in Ulm, Neuburg, Landsberg und im Landkreis Augsburg ausgekundschaftet
Zuvor waren weitere Kasernen ausgekundschaftet worden: in Fritzlar in Hessen, in Ulm, Laupheim und Niederstetten in Baden-Württemberg. Am 3. November wird dann die Entscheidung des ehemaligen Oberstleutnants Rüdiger von Pescatore verkündet: Das Hauptquartier des "M-Stabes", wie die mutmaßlichen Verschwörer ihren militärischen Arm nannten, soll in der Lechfeld-Kaserne und dem angrenzenden Fliegerhorst im Landkreis Augsburg eingerichtet werden. Der gewaltsame Umsturz der selbst ernannten "Patriotischen Union" hätte also von Schwaben aus gesteuert werden sollen.
So weit ist es nicht gekommen. Im Dezember 2022 ließ die Bundesanwaltschaft bei einer der größten Anti-Terror-Razzien in der deutschen Geschichte 25 Männer und Frauen festnehmen, die sie der Reichsbürger-, Verschwörungstheoretiker- und QAnon-Szene zurechnet. Hunderte Waffen wurden sichergestellt und Tausende Schuss Munition. Unter den Verhafteten sind der mutmaßliche Anführer der "Patriotischen Union", Heinrich XIII. Prinz Reuß (72), und der mutmaßliche Chef des militärischen Arms, Rüdiger von Pescatore (70). Ihnen und ihrer Truppe wird vorgeworfen, einen Staatsstreich geplant zu haben.
Als sich die Gruppe im Sommer 2021 gründete, verband schon die ersten Mitglieder eine tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen und der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Und so entschlossen sie sich offenbar, die staatlichen Strukturen in Deutschland gewaltsam zu bekämpfen.
Staatsfeinde glaubten an den sogenannten "Deep State"
Das Weltbild und die Verschwörungserzählungen, die in der Gruppe verbreitet waren, wirken absolut gespenstisch. So waren zumindest große Teile fest davon überzeugt, dass die Geschicke der Welt von einer verschwörerischen Gruppe pädophiler Eliten kontrolliert werden, dem sogenannten "Deep State". Dieser habe auch die staatlichen Institutionen in Deutschland unterwandert und begehe schwerste Verbrechen – zum Beispiel einen systematisch betriebenen rituellen Missbrauch von Kindern, um aus deren Körpern ein Verjüngungselexier zu gewinnen. Die Staatsfeinde glaubten zudem, dass der "Deep State" zu diesem Zweck geheime Tunnelkomplexe – "Deep Underground Military Bases" (DUMBs) – betreibe.
Wie ernst es der Verschwörertruppe damit war, zeigt sich daran, dass Mitglieder tatsächlich versuchten, solche DUMBs zu finden beziehungsweise Beweise für deren vermeintliche Existenz zu sammeln. Sie waren sicher: Wenn sie solche Tunnels finden würden, würde die deutsche Bevölkerung "aufwachen", sich gegen die herrschende Elite stellen und die Machtübernahme der "Patriotischen Union" unterstützen. Sie fanden keine Tunnels.
Doch ideologisch derart aufgeheizt, plante die Vereinigung nach Überzeugung der Ermittler, mit Waffengewalt in den Bundestag einzudringen, um Abgeordnete und möglicherweise auch Mitglieder der Bundesregierung festzunehmen. Der Generalbundesanwalt wirft den Beteiligten vor, dabei skrupellos in Kauf genommen zu haben, dass bei diesem Putsch Menschen – zum Beispiel vom Sicherheitspersonal des Bundestags – getötet würden. Mithilfe der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten und Richterin Birgit Malsack-Winkemann spionierten die mutmaßlichen Verschwörer das Reichstagsgebäude in Berlin gezielt dafür aus. Von Russland erhoffte sich die Truppe materielle Hilfe für den geplanten Putsch. Die Ermittler wissen von mindestens zwei konkreten Kontaktaufnahmen zu den russischen Generalkonsulaten in Leipzig und Frankfurt am Main. Ob Russland jemals auf die Ideen der Verschwörer reagiert hat, ist bislang nicht geklärt.
Vom Hauptquartier auf dem Lechfeld aus sollte der Umsturz gesteuert werden
Neben den militärischen Aktionen plante die "Patriotische Union" nach den Erkenntnissen der Ermittler eine politische Neugestaltung Deutschlands. Sie ersannen zu diesem Zweck einen "Rat", der Deutschland nach dem Umsturz übergangsweise regieren sollte. Prinz Reuß sollte das Gremium leiten.
All diese Umsturz-Aktivitäten sollten von einer Kaserne im Landkreis Augsburg aus gelenkt werden. Die Pläne der mutmaßlichen Terroristen sahen vor, dass an einem "Tag X" die Mitglieder des politischen "Rats" und die militärische Führungsriege zunächst über eigens zu diesem Zweck angeschaffte Satellitentelefone über den Angriff informiert und dann zum gemeinsamen Hauptquartier, der Lechfeld-Kaserne südlich von Augsburg, gebracht würden.
Drei Strafprozesse gegen Mitglieder der "Patriotischen Union" gibt es. Die ersten beiden haben bereits begonnen, der erste Ende April in Stuttgart, der zweite gegen die Führungsriege um Prinz Reuß und von Pescatore, im Mai in Frankfurt am Main.
Fünf Männer aus Bayern waren in der Führungsriege der "Patriotischen Union"
Am kommenden Dienstag, 18. Juni, startet der dritte Prozess am Oberlandesgericht München. Insgesamt wird gegen 27 Angeklagte verhandelt. Darunter sind fünf Männer aus Bayern, von denen vier Gründungsmitglieder der mutmaßlichen Rechtsterroristenbande sind. Mindestens zwei sind ehemalige Mitglieder der Bundeswehr-Elitetruppe Kommando Spezialkräfte (KSK), die schon häufiger wegen rechtsextremistischer Umtriebe seiner Angehörigen in die Schlagzeilen geraten sind. Rüdiger von Pescatore war als Oberstleutnant Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons 251 in Calw, einer Vorgängereinheit des KSK.
Die juristischen Vorwürfe lauten unter anderem: Bildung einer terroristischen Vereinigung, Vorbereitung einer schweren, staatsgefährdenden Gewalttat, Hochverrat. Wegen der großen Zahl an Angeklagten ist die Justiz gezwungen, mehrere Strafprozesse gegen die Mitglieder der "Patriotischen Union" zu führen.
Wie weit die Pläne der Truppe waren, ist umstritten. Während die Bundesanwaltschaft davon ausgeht, dass die Pläne sehr konkret und relativ weit gediehen waren, bestreiten das die Verteidiger der Angeklagten und sprechen von "Hirngespinsten". AfD-Chefin Alice Weidel sprach von einer "Rentnertruppe" und einem "Rollator-Putsch". Vor Kurzem jedenfalls wurde die Bundesanwaltschaft bei erneuten Razzien fündig und entdeckte weitere Waffendepots.