Als ehemaliger Fallschirmjäger und Elitesoldat war Peter W. es gewohnt, feindliches Gebiet auszukundschaften. Und so war er natürlich dabei, als die Verschwörer den Reichstag in Berlin erkundeten. Eingeschleust und geführt von der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann, erkundeten Peter W. und zwei weitere Ex-Soldaten aus Bayern im August 2021 heimlich die Räume und Fluchtwege im und unter dem Bundestagsgebäude. Eine wichtige Operation. Schließlich sollte hier nach den Plänen der „Patriotischen Union“ mit der Festnahme von Bundestagsabgeordneten und Regierungsmitgliedern der Umsturz in Deutschland beginnen.
Knapp drei Jahre später sitzen 26 Mitglieder der mutmaßlichen rechtsterroristischen Vereinigung auf der Anklagebank. Am 7. Dezember 2022 war die Gruppe in einer der größten Razzien der deutschen Geschichte hochgenommen worden. 380 Schusswaffen, fast 350 Hieb- und Stichwaffen sowie weitere fast 500 Waffen- und beinahe 150.000 Munitionsteile wurden gefunden.
Heinrich XIII. Prinz Reuß war der Anführer der Reichsbürger-Gruppe
Am Dienstag hat nun in München das letzte von drei großen Strafverfahren gegen die Truppe um den Reichsbürger Heinrich XIII. Prinz Reuß begonnen. Die Bundesanwaltschaft wirft den sechs Männern und zwei Frauen vor, einen gewaltsamen Staatsstreich geplant und dabei bewusst Tote in Kauf genommen zu haben. Prozesse in Stuttgart und Frankfurt laufen bereits.
Der militärische Arm der Reuß-Bande wurde neben dem früheren Oberstleutnant Rüdiger von Pescatore im Wesentlichen von Männern aus Bayern geführt. Fünf der insgesamt 26 Angeklagten stammen aus dem Freistaat, vier davon haben eine militärische Vergangenheit. Sie gehören zum harten Kern der verhinderten Verschwörertruppe.
Ehemaliger Oberst des Kommandos Spezialkräfte unter den Verschwörern
Maximilian Eder (65) war Oberst bei der Bundeswehr und hatte unter anderem eine Führungsfunktion bei der Elitetruppe Kommando Spezialkräfte (KSK). Der Mann aus dem Landkreis Freyung-Grafenau gilt als einer der Mitgründer der „Patriotischen Union“. Im Juli 2021 soll er sich mit anderen Verschwörern zum gewaltsamen Umsturz verabredet haben. Eder war auch bei der konspirativen Erkundung des Reichstags in Berlin dabei. Zu seinen Aufgaben gehörte offenbar die Rekrutierung von militärischem Personal. Ab Herbst 2021 soll Eder gezielt Kontakt zu aktiven KSK-Soldaten aufgenommen haben, um sie für den Angriff auf den deutschen Bundestag anzuwerben. Während der Coronapandemie trat Eder mehrfach auf „Querdenker“-Demos auf.
Eine weitere von Eders Aufgaben in der mutmaßlich rechtsterroristischen Vereinigung: Die Deutschen davon zu überzeugen, dass ein Umsturz unausweichlich sei, weil eine pädophile Politiker-Elite in geheimen Tunneln Kinder missbrauchen und ihnen Blut als „Verjüngungselexier“ abzapfen würde. Im November 2022 schickte der Oberst a. D. eine Videobotschaft aus Italien, in der er ankündigte, dass in den nächsten Wochen ein „Zeitenumbruch“ kommen werde. Im Dezember 2022 wurde Eder im Zuge der großen Razzia gegen die „Gruppe Reuß“ in Perugia festgenommen.
Peter W. aus dem Landkreis Bayreuth brachte die Ermittler auf die Spur
Peter W. (55) aus dem Landkreis Bayreuth ist der Mann, der die Ermittler auf die Spur der Verschwörertruppe brachte. Er war erst Fallschirmjäger, dann später beim KSK und kennt Maximilian Eder schon länger. W. gilt als „Trainer“ der Truppe, veranstaltete nach den Erkenntnissen der Ermittler mindestens ein Schießtraining für den militärischen Arm der Reuß-Bande. Der Ex-Soldat, der in der Rhön Überlebenstrainings anbot, zählt wie Eder zu den Gründungsmitgliedern der „Patriotischen Union“ und soll Waffen für die Erstürmung des Reichstags beschafft haben. Er gehörte ebenfalls zu den Männern, die den Reichstag ausspioniert haben.
Beim militärischen Arm der Gruppierung agierte W. als persönlicher Adjutant des Anführers Rüdiger von Pescatore. Bei der Razzia im Dezember fanden die Ermittler in W.s Haus Waffen, Munition und Schutzwesten. Die Waffenbesitzkarte war ihm schon 2019 entzogen worden. W.s womöglich entscheidender Fehler: Er kontaktierte Führungspersonal der Bundeswehr, unter anderem einen Drei-Sterne-General, um für den Umsturz zu werben. Das deutsche Volk sei „versklavt“, behauptete W. in den Botschaften. Wer, wenn nicht das Militär könne den „ganzen Irrsinn stoppen“?
"Querdenker"-Gruppe wollte Gesundheitsminister Lauterbach entführen
Zudem soll Peter W. Kontakt zu einer anderen „Querdenker“-Gruppe gehabt haben, den „Vereinten Patrioten“, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach entführen wollte. Im April 2022 waren in seinem Haus nahe Bayreuth bereits Schusswaffen und Munition gefunden worden. Von da an wurde Peter W. überwacht. So kamen die Ermittler weiteren Mitgliedern der Verschwörertruppe auf die Spur. W. und Eder stehen seit Mai zusammen mit den Anführern Prinz Reuß und Rüdiger von Pescatore in Frankfurt vor Gericht.
Sechs Männer und zwei Frauen stehen in München vor Gericht
In München stehen drei weitere Männer aus Bayern vor Gericht, die zum militärischen Arm der „Gruppe Reuß“ gehört haben sollen.
Thomas T. (60) ist eine der besonders schillernden Figuren darunter. Bei ihm zu Hause im Landkreis Ansbach soll die Gründungsversammlung der „Patriotischen Union“ stattgefunden haben. T. war Mitglied beim Rockerklub „Gremium MC“, der sich zu den sogenannten „One Percentern“ zählt. Diese Gruppierungen gelten als gewaltbereit, werden der Organisierten Kriminalität zugerechnet und stehen unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden. T. war offenbar einer der engsten Mitarbeiter von Prinz Reuß, der erst einige Wochen später zu der Gruppe stieß. Thomas T. war einer der Männer, die den Reichstag stürmen sollten.
Harald P. war Zeitsoldat auf dem Fliegerhorst Neuburg
Harald P. (60) aus dem Landkreis Schweinfurt ist ebenfalls eines der Gründungsmitglieder der „Gruppe Reuß“ und war Teil des Erkundungstrupps im Reichstag. In den 1980er-Jahren war P. als Zeitsoldat auf dem Fliegerhorst Neuburg an der Donau stationiert. Er soll an den Schießtrainings von Peter W. teilgenommen haben und einer der Personenschützer von Prinz Reuß gewesen sein.
Tomas M. (52) ist der zweite ehemalige Soldat, der in München angeklagt ist. Der Mann aus dem Landkreis Forchheim wollte Offizier werden, doch daraus wurde nichts. Er absolvierte in Frankreich einen Einzelkämpfer-Lehrgang und gründete später einen Sicherheitsdienst. M. war von der Gruppe ausgewählt worden, die militärischen Aktionen am „Tag X“ von der Lechfeldkaserne südlich von Augsburg aus zu leiten.
Zum Prozessauftakt kritisierten einige Verteidiger die Bundesanwaltschaft. Rechtsanwalt Wolfgang Heer warf den Anklägern am Dienstag vor, für seinen Mandanten entlastende Erkenntnisse bei der Erstellung der Anklageschrift außen vor gelassen zu haben - unter anderem die Mitschrift eines abgehörten Telefonats, in dem sich sein Mandant von Gewalt-Überlegungen klar distanziert habe. Eine andere Verteidigerin stellte die Frage, ob sich die Behörden von Fantastereien Einzelner möglicherweise hätten in die Irre führen lassen. Nichts stehe fest, die Anklageschrift sei nur eine Hypothese.
Heer sagte über seinen Mandanten: "Er war strikt dagegen, mit bewaffneten Kräften in das Reichstagsgebäude einzudringen." In einem Telefonat im Oktober 2023 habe er seinem Sohn, der bei der Polizei beschäftigt sei, auch einen Tipp geben wollen und diesen gewarnt: Es gebe da Leute mit "Allmachtsfantasien", die wollten die Regierung stürzen, die planten da "so einiges" und seien dabei, sich Waffen zu beschaffen. Es seien "gefährliche Leute" mit dabei. Er habe sich da abgesondert und wolle sich raushalten, zitierte Heer aus dem Telefonat seines Mandanten.
Das größte Anti-Terror-Verfahren der deutschen Geschichte wird parallel in drei Städten geführt – in München, Frankfurt und Stuttgart. Für ein einzelnes Gericht wäre die Zahl der Angeklagten – es sind 26. - offenbar zu hoch gewesen. Die Aufteilung des Falls in drei Verfahren stellt alle Prozessbeteiligten vor große Herausforderungen. (mit dpa)