Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Gruppe S.: Lange Haftstrafe für Anführer aus Kreis Augsburg

Rechtsextremismus

Terrorzelle plante Umsturz: Lange Haftstrafe für Anführer aus dem Kreis Augsburg

    • |
    Im Kreise seiner Mitstreiter: der Rädelsführer der mutmaßlichen rechten Terrorzelle, Werner S. (stehend, Zweiter von links), mit Leuten eines „Freikorps Heimatschutz“.
    Im Kreise seiner Mitstreiter: der Rädelsführer der mutmaßlichen rechten Terrorzelle, Werner S. (stehend, Zweiter von links), mit Leuten eines „Freikorps Heimatschutz“. Foto: AZ-Archiv

    Das erste Treffen dieser Truppe war eine Mischung aus Abenteuerausflug und Wehrsportübung. Ende September 2019 traf sich die "Gruppe S." zum ersten Mal in echt, nachdem die Mitglieder bis dato nur über diverse Chat-Kanäle und soziale Medien Kontakt gehalten haben. Sie kamen an einem Grillplatz in der Nähe von Alfdorf (Rems-Murr-Kreis), nur etwa 60 Kilometer von der bayerisch-baden-württembergischen Grenze entfernt, zusammen. Die Männer warfen Äxte auf Baumstämme und schossen Pfeile auf eine Holzhütte. Ein früherer Fallschirmjäger präsentierte stolz eine schusssichere Weste, andere hatten Waffen dabei. Und dann war da noch Werner S. aus dem Landkreis Augsburg, der sich als Anführer gerierte und einen Kampfhund abgerichtet haben soll, der sofort angreift, wenn S. das Wort "schwarz" sagt.

    Anführer Werner S. aus Mickhausen muss sechs Jahre ins Gefängnis

    Nachdem diese Gruppe aufgeflogen war, stand eine entscheidende Frage im Raum: Sind das abenteuerlustige Freaks oder gewaltbereite Rechtsextreme und Reichsbürger, die den Umsturz planten? Wie gefährlich ist diese "Gruppe S." wirklich?

    Seit Donnerstag gibt es eine Antwort der Justiz auf diese Frage. Nach einem Mammutprozess von zweieinhalb Jahren und 170 Verhandlungstagen hat das Oberlandesgericht Stuttgart zehn Männer zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Anführer Werner S. aus Mickhausen im Landkreis Augsburg muss für sechs Jahre ins Gefängnis. Er war nach Überzeugung des Gerichts der Gründer der Terrorgruppe. Ein Mann wurde freigesprochen. 

    Anschläge auf Moscheen sollten einen Bürgerkrieg auslösen

    Dem Gericht zufolge hätten Mitglieder der Gruppe die Übernahme der Bundesrepublik Deutschland durch Flüchtlinge gefürchtet und dagegen in den Kampf ziehen wollen. Sie wollten demnach mit Anschlägen gegen Moscheen einen Bürgerkrieg in Deutschland provozieren. Alle Männer seien insbesondere gegenüber dunkelhäutigen Menschen und Muslimen feindselig eingestellt gewesen. In Chats schrieben sie von "Dreckschweinen" und "Untermenschen". Die Verteidiger hatten bis auf eine Ausnahme Freisprüche gefordert. Einer der Anwälte nannte die Gruppe eine "Ansammlung Sprüche klopfender Wichtigtuer". 

    Der Generalbundesanwalt hatte dagegen von Anfang an eine klare Ansicht: Deutschlands oberster Ankläger hielt die "Gruppe S." seit Beginn der Ermittlungen für eine höchst gefährliche rechte Terrorzelle, die einen Umsturz in Deutschland geplant haben soll. Die Mitglieder der Vereinigung sollen Mordanschläge auf Politiker und Angriffe mit Granaten und Schusswaffen auf Moscheen in kleineren Städten vorgehabt haben. Das Ziel sei gewesen, Chaos zu verursachen. Die "Gruppe S." hoffte demnach darauf, dass die angegriffenen Muslime zum Gegenschlag ausholen, was wiederum eine Art Bürgerkrieg auslösen und die Gesellschaftsordnung in Deutschland zerstören sollte.

    Bei einer Razzia gegen die "Gruppe S." fanden Ermittler etliche Waffen

    Bei einer großen Razzia im Februar 2020 fanden die Ermittler Waffen – neben etlichen Schwertern, Äxten und Wurfsternen auch eine 9-Millimeter-Pistole der russischen Marke Tokarev. Und nach den Ermittlungen hätte die Gruppe offenbar genug Kapital in Höhe von 50.000 Euro für eine Anschlagserie sammeln können. Dazu kam, dass die meisten der Angeschuldigten Angehörige von rechtsextremen Bürgerwehren waren, vor deren Gefährdungspotenzial Experten schon länger warnen. 

    Offenbar wurden die Mitstreiter gezielt in der Neonazi-Szene rekrutiert. Sie hatten teilweise hochrangige Führungspositionen im "Freikorps", in der "Bruderschaft Deutschland", "Vikings Security" und "Wodans Erben Germania". Und es gab Verbindungen zu den "Soldiers of Odin", den "Soldaten Odins", einer rechtsextremen Bürgerwehr, die erstmals im Zusammenhang mit der Flüchtlingswelle in Finnland aufgetaucht war. Mehr als die Hälfte der Männer war schon zuvor auf dem Radar des Verfassungsschutzes.

    Werner S. chattete fleißig mit Neonazis und Bürgerwehren

    So auch der Rädelsführer Werner S., 57. Er war im Zuge der Razzia in Mickhausen, einer kleinen Gemeinde im Landkreis Augsburg, verhaftet worden. Nach Recherchen unserer Redaktion hatte er damals erst seit Kurzem zurückgezogen mit seinen Hunden in dem kleinen Ort gelebt, aber im Internet fleißig mit Neonazis, Bürgerwehren und "Heimatschutz"-Gruppen genetzwerkt. In diesen Kreisen nannte man ihn "Teutonico" und er genoss offenbar einen gewissen Respekt – auch wegen seiner militärischen Ausbildung. Er chattete zum Beispiel mit einem Gesinnungsgenossen mit der Bezeichnung "Matze Wodan". Der schrieb: "Die Zeit ist nahe an der die Geister der Ahnen sich erheben und mit und für Germaniens Freiheit zu streiten." Werner S. antwortete: "Bereit Kamerad!"

    Eine Schwäche in den Ermittlungen war, dass die wichtigsten Informationen von einem Mann stammten, der sich der Polizei als Spitzel angeboten hatte, aber nicht besonders vertrauenswürdig war. Das kritisierten die Verteidiger im Prozess vielfach. Von ihm kam auch der Hinweis, dass die "Gruppe S." bei einem weiteren Treffen im nordrhein-westfälischen Minden konkret über Anschläge auf Moscheen gesprochen habe.

    Dieses letzte Treffen Anfang Februar 2020 war dann für die Ermittler unter Federführung des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg der Auslöser, rasch zuzuschlagen, da die Umsturzpläne konkret zu werden schienen. Am frühen Morgen des 14. Februar 2020 rückten Spezialkräfte in sechs Bundesländern aus, um Mitglieder der "Gruppe S." festzunehmen.

    Das streng gesicherte Terrorverfahren fand im neuen Hochsicherheitsgebäude in Stuttgart-Stammheim statt. Dort war einst den Terroristen der Rote-Armee-Fraktion der Prozess gemacht worden. Der Prozess dauerte aufgrund des Umfangs und der Corona-Pandemie deutlich länger als ursprünglich geplant. Einer der Verdächtigen war bereits vor Anklageerhebung in Untersuchungshaft gestorben. Einer der Angeklagten aus Bayern war überraschend während des Prozesses gestorben. Der Mann war nach Angaben des Oberlandesgerichts auf der Heimfahrt von einer Verhandlung kurz vor seiner Wohnung tot zusammengebrochen. (mit dpa)

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden