Sie sehen sich als Bewahrer einer überlegenen nordisch-germanischen Rasse, verbreiten rechtsextreme Verschwörungstheorien und pflegen enge Kontakte zu gewaltbereiten Neonazis. Die sektenähnliche Gruppierung "Artgemeinschaft" gilt seit Jahrzehnten als Kaderschmiede der rechtsextremen Szene in Deutschland. Nun hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Verein verboten. Zeitgleich gab es am Mittwochmorgen Razzien in zwölf Bundesländern, darunter fünf Durchsuchungen in Bayern.
Der Freistaat spielt in der Gruppierung eine entscheidende Rolle: Die Anführerin Sabrina S., 43, wohnt im Landkreis Rhön-Grabfeld. Sie ist im Vereinsregister als "Leiterin" des Vereins eingetragen. Die Schriftführerin der "Artgemeinschaft" stammt demnach ebenfalls aus Bayern, nämlich aus dem Landkreis Ansbach.
Die "Artgemeinschaft" ist eine zentrale Schnittstelle der Neonazi-Szene
In Bayern wurden laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU) fünf Wohnungen durchsucht, und zwar in Mittelfranken, Unterfranken und Oberbayern. Auch Grundstücke und Autos hatten die Ermittler im Visier. Herrmann erklärte: "Erklärter Wille der Artgemeinschaft ist es, die Ideologie des Nationalsozialismus im Kampf für die eigene Sache zu verbreiten und sie insbesondere bei ihren minderjährigen Mitgliedern zu verankern." Es sei "erschütternd", dass eine solche Ideologie im Deutschland des 21. Jahrhunderts immer noch Anhänger finde.
Bei der "Artgemeinschaft" – mit voller Bezeichnung heißt sie "Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung" – handelt es sich laut Herrmann um eine bundesweit aktive neonazistische, neuheidnische und religiös-völkische Organisation. Sie bilde eine zentrale Schnittstelle für die gesamtdeutsche Neonazi-Szene. Die Ideologie der Organisation gehe von der Überlegenheit der nordisch-germanischen "Menschenart" aus. Neben dieser rassistischen Grundannahme umfasse die Ideologie auch völkische, sozialdarwinistische und antisemitische Elemente.
Bei den Razzien der "Artgemeinschaft-Mitglieder" wurden Waffen gefunden
Bei den Razzien seien unter anderem Schusswaffen, ABC-Schutzanzüge, Gold, Bargeld und extremistische Schriften sichergestellt worden, sagte Faeser. Bundesweit waren laut Bundesinnenministerium 26 Wohnungen von 39 Mitgliedern sowie Räume des Vereins durchsucht worden. Innenministerin Faeser begründete ihre Entscheidung auch mit dem Kindeswohl. Sie sagte: "Diese rechtsextremistische Gruppierung hat versucht, durch eine widerwärtige Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen neue Verfassungsfeinde heranzuziehen." Das Verbot gegen die Vereinigung, die sich häufig in einem Hotel in Thüringen traf, wurde nach Angaben des Ministeriums seit mehr als einem Jahr vorbereitet. Maßgeblich seien hierbei Erkenntnisse des Verfassungsschutzes gewesen, hieß es. Die Vereinigung, die nach Ministeriums-Schätzungen rund 150 Mitglieder hat, richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung. Erst vergangene Woche war die Neonazi-Truppe "Hammerskins" verboten worden.
Rund 150 Mitglieder soll die Neonazi-Sekte "Artgemeinschaft" haben. Gegründet wurde sie in den Fünfzigerjahren, seit 1957 ist sie ein "eingetragener Verein" mit Sitz in Berlin. Erster Leiter war der rechte Esoteriker Wilhelm Kusserow, ein Studienrat. Ende der Achtzigerjahre übernahm dann der Neonazi und spätere NPD-Vize Jürgen Rieger das Ruder in der "Artgemeinschaft".
Es gibt Verbindungen zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)
In dem Verein treffen und organisieren sich seit Jahrzehnten bekannte Rechtsextremisten. Auf einer Mitgliederliste tauchte etwa der Neonazi Stephan Ernst auf, der Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Auch der NSU-Unterstützer André E. findet sich auf einer Teilnehmerliste eines Treffens der "Artgemeinschaft" zur Sonnenwendfeier.
Öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen des Vereins gibt es nach Erkenntnissen der Bundeszentrale für politische Bildung kaum. Die Gruppe feiert demzufolge vor allem im geschlossenen Rahmen germanisch-heidnische Feste und veranstaltet regelmäßig sogenannte "Gemeinschaftstage" mit bis zu 250 Teilnehmern. Vierteljährlich wird das Mitgliederblatt Nordische Zeitung herausgegeben, das sich mit heidnisch-religiösen Themen und germanischem Brauchtum beschäftigt.
Die Gruppe hat ein militantes Selbstverständnis und gute Kontakte zur gewaltbereiten Neonazi-Szene. In ihrer Eigendarstellung bezeichnet sie sich als "Kampfverband", der "um die Möglichkeiten einer artgemäßen Lebensführung kämpfen muss". Auf seiner Homepage verbreitete der Verein offen seine völkisch-rassistische Ideologie und gab sich kämpferisch.""Das Sittengesetz in uns", so hieß es dort etwa, gebiete "Wehrhaftigkeit bis zur Todesverachtung gegen jeden Feind von Familie, Sippe, Land, Volk, germanischer Art und germanischem Glauben".
Erinnerungen an den "Arier-Wahn" im Dritten Reich
Im sogenannten "Artbekenntnis" der Truppe hieß es: "Kampf ist Teil des Lebens. Er ist notwendig für alles Werden, Sein und Vergehen." Mit ihrer Ideologie knüpfe die Gruppe "unmittelbar an die Rassenlehre des Dritten Reiches an", schreibt der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen. Auch der bayerische Verfassungsschutz hat sich mit der Gruppierung bereits befasst. Um die germanische "Menschenart" vor der Vermischung mit anderen "Menschenarten" zu schützen, legte die Gruppe ihren Anhängern Regeln auf, die an den "Arier"-Wahn der Nazis im "Dritten Reich" erinnern. So forderte der Verein die Einhaltung des "Sittengesetzes" der "Ahnen", das eine "gleichgeartete Gattenwahl" als "Gewähr für gleichgeartete Kinder" gebiete.
Laut Verfassungsschutz umfasst die Ideologie der "Artgemeinschaft" neben rassistischen auch völkische, sozialdarwinistische und antisemitische Elemente. Im vergangenen Jahr etwa habe sie über ihren Telegram-Kanal eine Karikatur verbreitet, in der Juden als "Söhne des Teufels" verunglimpft wurden.
In Videos auf YouTube kann man verstörende Szenen sehen, wie Mitglieder der Sekte heidnische Rituale ausüben. Die Homepage der "Artgemeinschaft" ist mittlerweile gesperrt. Dort wurden in einem Shop antisemitisch eingefärbte Kinderbücher angeboten und Accessoires wie etwa einer Art völkischer Adventskalender für 9,95 Euro.