Es ist kaum acht Uhr am Dienstag, als vor Sitzungssaal 169 im Kemptener Landgericht die ersten Zuschauer warten. Die Stimmung ist gelöst, man kennt sich. Auch mehrere Journalisten sind da, Fotografen, zwei Kamerateams.
Es ist ein durchaus Aufsehen erregender Prozess - mit einer zentralen Frage: War alles ein großes Missverständnis, was da im Herbst 2022 im Naturschutzgebiet Rappenalptal südlich von Oberstdorf passierte? Oder haben sich zwei Männer bewusst und gewollt über Absprachen und Gesetze hinweg gesetzt und damit ein geschütztes Idyll zerstört?
Prozess um Rappenalptal im Allgäu hat begonnen
Auf der Anklagebank im Landgericht Kempten sitzen die ehrenamtlichen Alpmeister von zwei Allgäuer Alpgenossenschaften. Dem 59-Jährigen, vertreten von Robert Chasklowicz und Tim-Felix Heinze, und dem 64-Jährigen (Verteidiger: Timm Nissen und Jasmin Haider) werden besonders schwere Umweltstraftaten vorgeworfen, „vorsätzliche Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete in Tateinheit mit vorsätzlicher Gewässerverunreinigung“, heißt das in Juristendeutsch
Konkret sollen die Männer nach einem Unwetter Ende August 2022, bei dem der Rappenalpbach die Alpweiden überspülte und Geröll und Steine darauf verteilte, umfangreiche Baggerarbeiten an dem Gewässer veranlasst haben. Auf einer Länge von 1,6 Kilometern wurde der einstige Wildbach anschließend begradigt und kanalisiert - ein wertvolles Biotop im Naturschutzgebiet damit massiv beschädigt. Dass Bäche wie dieser ab und zu über die Ufer treten, sei in einem solchen Biotop eigentlich normal, sagt der Sitzungsstaatsanwalt bei Verlesung der Anklageschrift.
Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklage davon aus, dass die Arbeiten damals ohne Genehmigung und entgegen einer Absprache mit dem Landratsamt Oberallgäu erfolgten. Die Behörde nämlich habe nur punktuelle Eingriffe am Bach genehmigt. Das sei auch in einem Aktenvermerk mit Datum vom 30. August 2022 festgehalten worden. Stattdessen hätten die Männer sich „bewusst über den mit dem Landratsamt besprochenen Umfang zulässiger Erhaltungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen“ hinweggesetzt und die Zerstörung des Biotops vorsätzlich, zumindest aber billigend in Kauf genommen. Der Grund: Sie hätten verhindern wollen, dass die wertvollen Weideflächen ein weiteres Mal vom Rappenalpbach überschwemmt werden.
Obwohl das Landratsamt Oberallgäu nach einiger Zeit eingriff und einen Baustopp verhängte, seien die Arbeiten weitergegangen, die Angeklagten hätten diese Anweisung nicht an die Bauarbeiter weitergegeben, so der Vorwurf der Ermittler. Erst nach einem zweiten verhängten Baustopp seien die Arbeiten schließlich am 25. Oktober eingestellt worden.
Rappenalptal: Verwaltungsrichter sahen Versäumnisse auf beiden Seiten
So startet also die Beweisaufnahme, in der beide Angeklagte die Aussage zunächst verweigern. Umso mehr konzentrieren sich Richter und Verteidiger auf den ersten Zeugen - den Mitarbeiter des Landratsamtes, der mit dem Sohn eines der Angeklagten am 30. August 2022 besprochen hatte, welche Arbeiten am Bach vorgenommen würden dürfen.
In dem Gespräch sei vereinbart worden, dass der Bach an vier Stellen wieder in den ursprünglichen Zustand vor dem Hochwasser gebracht werden könne, sagt der Zeuge. Anschließend habe er einen Aktenvermerk geschrieben und herausgeschickt. Darin sei „grob festgehalten“ gewesen, was vereinbart wurde. „Wenn man den Aktenvermerk so liest, könnte man durchaus den Eindruck gewinnen, dass man die Arbeiten über die ganze Länge machen kann“, meint Richter Schwiebacher dazu. Was ja auch dann geschehen sei. „Das war aber ganz anders besprochen“, betont der Zeuge. „Warum haben sie nicht einfach die Stellen markiert, an denen die Arbeiten gemacht werden können?“, fragt der Richter weiter. „Das war nur als Gedächtnisstütze gedacht“, sagt der Zeuge und räumt ein: „Er war nicht besonders eindeutig formuliert.“
Landgericht regte Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen an
Angesichts der vorhergegangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts hatte das Gericht schon vor dem Prozess angeregt, das Verfahren nach §153a StPO wegen geringer Schuld gegen Auflagen einzustellen, berichtete der Vorsitzende Richter Christoph Schwiebacher am ersten Prozesstag. Dies habe die Staatsanwaltschaft aber zum damaligen Zeitpunkt abgelehnt und auf eine Beweisaufnahme bestanden.
Auch die Verteidiger schießen sich auf diesen Punkt ein. Und auch ihnen gegenüber sagt der Mann vom Amt: Sein Aktenvermerk sei missverständlich gewesen. Richter Schwiebacher schlägt schließlich noch einmal vor, das Verfahren gegen Geldauflagen von 3000 und 10.000 Euro einzustellen. Die Entscheidung fällt am Donnerstag.
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