Eine 57-jährige Heilpraktikerin aus dem oberbayerischen Schrobenhausen und ein 68-jähriger Unternehmer aus Ingolstadt sollen ein wirkungsloses Präparat namens BG-Mun als Heilmittel gegen Krebs und andere schwere Krankheiten an Patienten und Patientinnen verkauft haben. Wesentlich beteiligt am Prozess vor dem Ingolstädter Landgericht war das RTL-Magazin "Stern TV": Nachdem eine Patientin über möglichen Betrug berichtet hatte, fuhr eine Reporterin nach Schrobenhausen, gab vor, ihre Freundin sei an Brustkrebs erkrankt, – und hat das Gespräch mit der Heilpraktikerin mit versteckter Kamera aufgenommenen.
Nach über zwei Jahren und mehr als 60 Verhandlungstagen will die Strafkammer an diesem Freitag das Urteil verkünden. Das ist vor Gericht bisher passiert:
18. Juni 2021: Die Angeklagten selbst wollen sich beim Prozessauftakt zu den Vorwürfen nicht äußern. Dafür aber die Verteidiger der Heilpraktikerin: Dass ihre Mandantin auf der Anklagebank sitzt, liege daran, dass die Staatsanwaltschaft "einseitig und ohne Beachtung des Neutralitätsgrundsatzes" ermittelt habe – und vor allem an der "marktschreierischen Inszenierung" durch "Stern TV". Im Februar 2022 soll der Prozess zu Ende gehen – ein großer Irrtum.
3. August 2021: Der Ehemann der Patientin, die sich an "Stern TV" gewandt hat, ist aus Osnabrück angereist. Beide Angeklagten hätten seiner Frau eine "nahezu hundertprozentige Heilungschance" versprochen. Sie selbst kann nicht mehr aussagen: Zwei Jahre zuvor ist sie mit 52 Jahren an Speiseröhrenkrebs gestorben. Bis zu 590 Euro haben Patienten und Patientinnen für eine Ampulle BG-Mun bezahlt. Einkaufspreis des angeklagten Unternehmers: 45 Euro.
22. September 2021: "Stern TV" hat die in den Praxisräumen der Heilpraktikerin heimlich aufgenommenen Videos im Original zur Verfügung gestellt. Wenn Patient und Umfeld an die Wirkung glauben, könne BG-Mun Krebs besiegen, erklärt die Schrobenhausenerin und ergänzt: "Wir haben bis jetzt, toi toi toi, noch keinen verloren". Außerdem rät sie davon ab, schulmedizinische Therapien fortzuführen: "Zusammen können Sie das schon machen, aber Sie reduzieren die Wirkung." Ob Patientinnen und Patienten auf Anraten der Angeklagten Chemo- oder andere Therapien abgebrochen haben und dadurch früher gestorben sind, ist in dem Prozess nicht näher beleuchtet worden: Die Staatsanwaltschaft hat nämlich wegen Betrugs, nicht jedoch auch wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.
22. Dezember 2021: Die Strafkammer schlägt einen Deal vor: Gegen Geständnisse und Schadenswiedergutmachung erhält die Heilpraktikerin eine Haftstrafe zwischen zwei Jahren und zwei Monaten und zwei Jahren und zehn Monaten, der Unternehmer zwischen fünf Jahren und vier Monaten und sechs Jahren. Bewährungsstrafen schließt das Gericht aus: "Nach 27 Verhandlungstagen mit Ziel Freispruch" sei es dafür nun zu spät, erklärt der Vorsitzende Richter. Die Angeklagten lehnen den Vorschlag ab.
27. Oktober 2022: Ein Onkologe stellt fest: Es existiert "kein Nachweis für eine klinische Wirksamkeit" von BG-Mun. Als Schulmediziner sei der Sachverständige "persönlich wie fachlich nicht geeignet", naturheilkundliche Verfahren zu bewerten, beschweren sich die Verteidiger. Einen Befangenheitsantrag gegen den Onkologen weist das Gericht zurück. Ebenso wie Befangenheitsanträge gegen die Strafkammer selbst, Aussetzungsanträge sowie unzählige Beweis- und sonstige Anträge, die die Verteidiger über Monate hinweg gestellt haben. Höhepunkte sind der Antrag auf Vernehmung eines Toten und der Antrag auf schriftliche Ausfertigung des Beschlusses über die Zurückstellung des Antrags auf schriftliche Ausfertigung des Beschlusses, mit dem ein Befangenheitsantrag zurückgestellt worden ist. "Wollen Sie das Ganze hier komplett torpedieren?", fragt die Staatsanwältin.
22. November 2022: Das Gericht schlägt abermals einen Deal vor. Die Strafrahmen liegen unter denen des ersten Verständigungsvorschlags. Für die Heilpraktikerin ist nun sogar eine Bewährungsstrafe möglich. Voraussetzung ist, dass die Angeklagten gestehen. Beide lehnen abermals ab. "Ich kann den Vorschlag nicht annehmen; denn sonst müsste ich lügen", begründet die Schrobenhausenerin ihre Entscheidung.
29. März 2023: Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Heilpraktikerin zu drei Jahren und zehn Monaten und den Unternehmer als den "Erfinder der Betrugsmasche" zu acht Jahren Haft zu verurteilen.
16. Mai 2023: Die Verteidiger fordern Freisprüche. Ihre Mandanten hätten keine Heilung versprochen, argumentieren sie. Die Zeugen seien durch die Berichterstattung bei "Stern TV" manipuliert und beeinflusst worden. Sie hätten die Vorwürfe "so oft gehört, bis sie sie geglaubt haben". An diesem Freitag entscheidet sich, wie das Gericht es sieht.