Mit viel Glück hätte er am Freitag selbst auf dem Rasen stehen können, sicher aber auf der Ehrentribüne sitzen. Doch der Auftakt der Fußball-Europameisterschaft am Freitag wird wohl ohne Jérôme Boateng stattfinden. Denn für ihn beginnt an diesem Tag in München, einige Kilometer vom Stadion entfernt, sein ganz persönliches Endspiel im Strafjustizzentrum an der Nymphenburger Straße. Boateng ist dort Angeklagter.
Boateng soll seine frühere Lebensgefährtin geschlagen haben
Der frühere Nationalspieler und Bayern-Star muss sich wegen Körperverletzung und Beleidigung seiner früheren Lebensgefährtin verantworten, die er im Karibik-Urlaub attackiert haben soll. Dafür ist er bereits zweimal verurteilt worden. Das Amtsgericht München hatte Boateng im September 2021 zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30.000 Euro, also insgesamt 1,8 Millionen Euro, verurteilt. Eine Berufungskammer des Landgerichts hob dieses Urteil auf und verhängte wegen zwei Fällen der Körperverletzung und der Beleidigung eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10.000 Euro, also insgesamt 1,2 Millionen Euro.
So hoch war die Geldstrafe für Boateng
Doch dabei machte der Vorsitzende Richter einen entscheidenden Fehler, wie das Bayerische Oberste Landesgericht im vergangenen Jahr feststellte. Denn nachdem die Verteidigung einen Antrag auf Befangenheit gegen ihn gestellt hatte, war er selbst an der Entscheidung beteiligt, diesen abzulehnen. Ein Rechtsverstoß, der nun die neue Verhandlung nötig macht. Vor der 23. Strafkammer am Landgericht München eins sind nach dem Auftakt fünf Verhandlungstage angesetzt. Am 19. Juli soll das Urteil fallen. Mindestens bis dahin gilt für den prominenten Sportler die Unschuldsvermutung. Seine Verteidiger hatten vorgetragen, die Vorwürfe seien erfunden und im Streit um die Kinder instrumentalisiert worden.
Nach aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamtes wurden im vergangenen Jahr knapp 170.000 Menschen Opfer von Partnergewalt. Die Dunkelziffer – das wurde bei der Vorstellung der Studie betont – dürfte deutlich höher sein. Fast 80 Prozent der Opfer sind weiblich. Bei einer schon älteren repräsentativen Umfrage des Bundesfamilienministeriums kam heraus, dass bis zu 20 Prozent der Frauen in Deutschland schon körperliche oder sexuelle Übergriffe durch ihren Partner erlebt haben. Gewalt in der Partnerschaft ist trauriger Alltag in Deutschland – ungewöhnlich ist hier nur die Prominenz des Angeklagten. Für den Prozessauftakt hat das Gericht wegen des zu erwartenden öffentlichen Interesses den großen Sitzungssaal A 101 im Strafjustizzentrum ausgewählt.
Gericht hebt Urteil gegen Boateng auf
Weltklasse-Verteidiger, Weltmeister, Vorzeige-Sportler und Werbe-Star: Der heute 35-jährige Boateng war vor einigen Jahren ganz oben und sogar als Kapitän für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im Gespräch. Als vor knapp zehn Jahren der AfD-Politiker Alexander Gauland den Sportler beleidigte ("Die Leute wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben"), solidarisierten sich viele mit dem Sohn einer deutschen Mutter und eines Vaters aus Ghana. Der damalige DFB-Präsident Reinhard Grindel würdigte den Kicker als "wunderbarer Mensch, der sich übrigens auch gesellschaftlich stark engagiert und für viele Jugendliche ein Vorbild ist." Als vor wenigen Tagen der österreichische Fußballverein Linzer AK die Verpflichtung Boatengs bekannt gab, protestierten Fans.
Denn Boateng ist in der Öffentlichkeit nicht nur durch die Vorwürfe belastet, um die es ab Freitag vor Gericht geht. Der Freitod seiner früheren Freundin Kasia Lenhardt bewegt nach wie vor viele Menschen. Die Staatsanwaltschaft hatte schon einmal gegen Boateng zu ermitteln begonnen, weil er die Frau geschlagen haben soll, was dieser bestreitet. Als der prominente Sportler in Boulevardmedien schwere Vorwürfe gegen die Frau erhob, nahm sich diese wenig später das Leben. Recherchen von Medien förderten zutage, dass Lenhardt eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet hatte und deswegen allem Anschein nach glaubte, sich in der öffentlichen Schlammschlacht nicht wehren zu dürfen.
Für Boateng gilt die Unschuldsvermutung
In einem mehrteiligen Podcast erhebt das Hamburger Nachrichtenmagazin Spiegel Gewaltvorwürfe gegen den Profisportler, die dieser über seine Anwältin zurückweisen lässt. Vieles habe sich gänzlich anders zugetragen. Nach Angaben des Magazins hat Boateng Interview-Anfragen abgelehnt. Ab Freitag hätte er ausführlich Gelegenheit, seine Sicht der Dinge darzustellen. Ob er sie nutzt?