Jens Lehmann kennt das. Die Kameraleute rücken ganz nah an ihn heran, versuchen, jede Regung in seinem Gesicht einzufangen. Der einstige Fußball-Nationaltorwart reagiert wie früher, als vor dem Anpfiff die Hymnen erklangen. Blick geradeaus in die Ferne, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Doch , heute 54, steht in keinem Fußballstadion mehr und trägt auch kein Torwart-Trikot. Im grauen Anzug mit dunkelblauem Schlips ist er an diesem Freitag in den Saal 125 des Amtsgerichts von Starnberg gekommen – als Angeklagter.
Dem 54-Jährigen, der in Berg am Starnberger See wohnt, wird von der Staatsanwaltschaft München II Sachbeschädigung, Beleidigung sowie Betrug in zwei Fällen vorgeworfen. Er soll seinem heute 92-jährigen Nachbarn einen Balken am Rohbau der Garage zersägt haben, über deren Lage es schon länger Streit gab. Auch eine Birke aus Nachbars Garten soll er bei der Gelegenheit zu Kleinholz verarbeitet haben.
Zudem klagt die Staatsanwaltschaft die Beleidigung zweier Polizisten sowie versuchten Betrug an. Zweimal soll Porsche-Fahrer Lehmann versucht haben, sich am Münchner Flughafen um die Bezahlung von Parktickets zu drücken, indem er sich knapp hinter der Stoßstange von vorausfahrenden Fahrzeugen hinaus mogelte. Die gut 300 Euro, um die es dabei geht, hat der frühere Weltklasse-Torwart inzwischen bezahlt. Dieses Verfahren wird ihn jedoch wesentlich mehr Geld kosten. Das ist jetzt schon klar.
Denkt Lehmann, sich aufgrund seines früheren Star-Status nicht an Regeln halten zu müssen?
Zwei Verhandlungstage sind angesetzt. Zwölf Zeugen sind geladen. Das Medieninteresse ist enorm. Schon mehr als eine Stunde vor Prozessbeginn sind die ersten Journalisten am Amtsgericht in Starnberg eingetroffen, am Ende dürften es mehr als 30 Berichterstattende und Kameraleute sein. Interessant machen diesen Fall nicht die Vorwürfe, sondern die Person Lehmann. Ist da jemand, der aufgrund seines früheren Star-Status glaubt, sich nicht an die Regeln halten zu müssen?
Genau diesen Verdacht äußerte Staatsanwalt Stefan Kreutzer. Man habe den Eindruck, „hier handelt es sich um eine Person, die sich über das Gesetz hinwegsetzen will.“ Lehmann, der seinen jetzigen Beruf mit „arbeitsloser Fußballtrainer“ angibt (seine letzte Verpflichtung war eine Assistentenstelle beim FC Augsburg), wies das zurück und ging schnell in die Offensive. Diese Sache werde nur wegen seines Prominenten-Status hochgezogen, schon bei früheren Verfahren sei er ungerecht behandelt worden. Der Staatsanwalt hielt dagegen. Hier gehe es nicht um Lehmann, sondern um die Durchsetzung des Gesetzes. „Wir erheben nicht blind Anklage, sondern wenn wir überzeugt sind, dass es zu einer Verurteilung kommt.“
Jens Lehmann weist Vorwürfe zurück und spricht von Erinnerungslücken
Die aktuellen Vorwürfe bestritt der Angeklagte weitgehend. So habe er Polizisten nicht als Lügner bezeichnet, sondern gesagt, „sie haben gelogen“. Lehmann: „Das war nicht nett von mir.“ Dafür entschuldige er sich. Auch weitere Vorwürfe bestritt Lehmann und machte auf Nachfragen der Vorsitzenden Richterin Tanja Walter und des Staatsanwaltes teilweise Erinnerungslücken geltend. Die Überwachungskamera habe er nicht zerstört; wie der Balken an der Garage kaputtging, sei ihm nicht erinnerlich. Ein Video zeigt aber, wie Lehmann den Garagen-Rohbau mit einer Säge betritt, wenig später hört man, wie diese angeworfen wird. Warum er die Säge an dem Holzbalken angelegt habe, wisse er nicht mehr, so Lehmann auf Nachfragen des Staatsanwaltes. Der eigentliche Sägevorgang ist nicht auf dem Video zu erkennen.
Ähnlich die Defensivstrategie des Torwartes in der Sache mit den Parkgebühren. Er habe diese nie prellen wollen; wie er das Parkhaus in zwei Fällen verlassen habe, wisse er nicht mehr.
Lehmann bot der Polizei 5000 Euro für guten Zweck
Mit viel Geld versuchte Lehmann zuletzt, die Vorwürfe aus der Welt zu schaffen. Der Polizei bot er 5000 Euro für einen guten Zweck sowie eine von ihm geleitete Sportveranstaltung für die "Polizei-Jugend" an, wenn sie den Strafantrag wegen Beleidigung zurücknehme. Das Polizeipräsidium Oberbayern lehnte dankend ab. Man wolle jeden Anschein von Käuflichkeit vermeiden.
Die Polizistin und der Polizist, die bei Lehmann dessen Führerschein sicherstellen sollten, erinnerten sich als Zeugen noch genau an die Beleidigung „durchtriebene Lügner“. Lehmann sei von Anfang an aufgebracht gewesen und habe sie herablassend behandelt. Die Polizistin schildert, Lehmann habe auch seine Frau zurück ins Haus gescheucht und sei auf Socken um sein Auto herum gesprungen. Was den Mann so aufbrachte? Heute noch ist er überzeugt, dass die beiden Polizeibeamten in einem früheren Verfahren nicht Wahrheit gesagt hatten. Die beiden Beamten hatten den Ex-Profi in Starnberg gesehen, wie er mit seinem Handy am Steuer des Autos saß. Vier Wochen musste Lehmann den Führerschein abgeben. Sein Einspruch dagegen verpuffte, weil er die Gerichtsverhandlung verpasste.
Auch dieses Detail kommt am ersten Verhandlungstag zur Sprache, in dem sich der frühere Torwart sehr selbstbewusst und redefreudig zeigt. Mehrfach bringt er zum Ausdruck, dass er sich ungerecht behandelt fühlt. Immer wieder befragt Jens Lehmann die Zeugen selbst und diskutiert mit Richterin Tanja Walter und Staatsanwalt Kreutzer. Wie unnachgiebig Lehmann offenbar sein kann, zeigt auch der Vorfall mit den beiden Polizeibeamten im März 2022. Am Ende verließen die Beamten das Grundstück am Starnberger See ohne Führerschein, aber mit genügend Material für eine Anzeige im Gepäck.
Das Urteil gegen Jens Lehmann soll kurz vor Weihnachten fallen
Mehr Glück hatte Lehmann bei seinem Nachbarn. Mit dem 92-Jährigen hat Lehmann sich kurz vor dem Prozess verglichen. Kostenpunkt für den Ex-Profi: 60.000 Euro. Damit sollen Mehrkosten ausgeglichen werden, die dem 92-Jährigen beim Bau seiner Garage entstanden sind. Zuvor hatten beide Seiten sich über Jahre nicht über die Lage des Gebäudes verständigen können. Teil der Absprache: Der Senior hat seinen Strafantrag zurückgenommen und war am Freitag sichtlich friedlich gestimmt. Ihm sei schließlich kein großer Schaden entstanden, Lehmann habe sich beim Sägen auch nicht sonderlich geschickt angestellt.
Mehrfach bezeichnete der 92-Jährige Lehmann als „meinen lieben Nachbarn“, dabei schien Ironie mitzuschwingen. Lehmanns Verteidiger Christoph Rückel wies in dem Prozess auf die gütliche Beilegung des Nachbarschaftsstreits hin. Damit bestehe kein öffentliches Interesse an einem Strafverfahren mehr, so der Anwalt.
Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Der Prozess wird kurz vor Weihnachten fortgesetzt. Dann soll das Urteil fallen.