Hundertausende Menschen in ganz Deutschland haben in den vergangenen Tagen gegen Rechtsextremismus demonstriert. In Hamburg und München mussten die Proteste gar abgebrochen werden, weil zu viele Menschen in die Innenstädte strömten. Nur wie viele es genau waren, das scheint unklar zu sein.
Beispiel: München. In Medienberichten und Social-Media-Beiträgen finden sich unterschiedliche Zahlen. Die zitierten Schätzungen der Polizei reichen von 60.000 bis über 100.000 Menschen. Die Veranstalter sprachen von mehr als 250.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Wie entstehen so unterschiedliche Zahlen?
So schätzt die Polizei die Zahl der Teilnehmer von Demonstrationen
"Klar ist: diese Werte sind in der Regel nur Schätzungen", sagt ein Sprecher der Polizei Schwaben-Nord. "Es kommt auch vor, dass die Polizei die Teilnehmenden tatsächlich zählt, aber das ist nur für sehr kleine Veranstaltungen möglich."
Bei großen Veranstaltungen greift die Polizei stattdessen auf die sogenannte "Cluster-Methode" zurück, um die Zahl der Anwesenden zu überschlagen. Die Beamtinnen und Beamten zählen die Teilnehmenden auf einer bestimmten Fläche – beispielsweise auf einem Quadratmeter. Diese Zahl wird dann mit der Gesamtfläche der Demonstration multipliziert.
Schwierig wird es, wenn die Demonstration in Bewegung ist. "Dann schätzen wir die Zahl der Menschen in einer Reihe des Demonstrationszugs und multiplizieren das mit der Anzahl der Reihen, die an uns vorbeiziehen."
Dass die Polizei mitunter unterschiedliche Schätzwerte nennt, kann daran liegen, dass sich die tatsächliche Zahl der Teilnehmenden verändert. "Eine Demonstration ist ja nicht statisch. Kommen beispielsweise über die Dauer der Veranstaltung Menschen hinzu, dann korrigieren wir unsere Schätzung nach oben", sagt der Polizei-Sprecher. Eine abschließende Zahl können die Beamten erst nach Ende der Demonstration nennen. "Häufig findet man im Netz aber noch veraltete Zahlen, die zu Beginn der Veranstaltung geschätzt wurden. Das sorgt dann für Verwirrung."
Die Zahlen der Veranstalter sind oft höher als die der Polizei
Auffällig ist auch: Die Schätzung der Veranstalterinnen und Veranstalter unterscheidet sich häufig von den Werten der Polizei. "Aus der Forschung über Proteste kennen wir dieses Phänomen", sagt Sebastian Haunss. Er ist Professor für Politikwissenschaft und forscht an der Universität Bremen unter anderem zu sozialen Bewegungen. "In der Regel wird die Größe von Protesten von der Polizei unterschätzt und von den Veranstalterinnen und Veranstalter meistens überschätzt", sagt er. "In der Protestereignisforschung nehmen wir daher in der Regel den Mittelwert zwischen beiden Zahlen, es sei denn wir haben im konkreten Fall Grund zur Annahme – beispielsweise durch eigene Zählungen – dass einer der beiden Werte näher an der Wahrheit liegt."