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Politik: Bundesparteitag der Linken: In Anwesenheit einer Abwesenden

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Bundesparteitag der Linken: In Anwesenheit einer Abwesenden

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    In Augsburg hat der erste Bundesparteitag der Linken stattgefunden, nachdem Sahra Wagenknecht und ihre Mitstreitenden ausgetreten sind.
    In Augsburg hat der erste Bundesparteitag der Linken stattgefunden, nachdem Sahra Wagenknecht und ihre Mitstreitenden ausgetreten sind. Foto: Peter Fastl

    Martin Schirdewan sagt, was ein Vorsitzender der Linken sagen muss. Dass die Welt aus den Fugen zu sein scheint, dass sich viele Menschen im Land von der Bundesregierung, "dieser Trümmertruppe", im Stich gelassen fühlen, dass die Sorgen sehr vieler Menschen wachsen angesichts von Kriegen und Klimakatastrophe, dass diese Sorgen genauso schnell wachsen, wie die soziale Ungleichheit in Deutschland und in Europa. Dass die fünf reichsten Familien in Die Linke: Partei "der sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität".

    Das will sie sein, hierfür ist sie in der zugigen Halle zusammengekommen: "Zeit für Gerechtigkeit. Zeit für Haltung." Das ist das Motto. Schirdewan, seit Juni 2022 Co-Vorsitzender von Janine Wissler, will seine Partei stark reden. Er muss es, denn es droht ihr nichts weniger als die Bedeutungslosigkeit. Wenn man so will, redet er hier an gegen die Frau, die durch ihre Abwesenheit die inoffizielle Agenda diktiert. Sahra Wagenknecht will mit der Linken nichts mehr zu tun haben, aber die hat noch immer mit ihr zu tun. Es soll das letzte Mal sein. Dieser Parteitag soll nach jahrelangem Streit für einen neuen Anfang stehen. Vielleicht ist er aber auch nur der Anfang vom Ende?

    Linke-Parteitag: Die roten Fahnen sind die einzigen Farbtupfer im großen Grau

    Das Augsburger Messezentrum ist rein äußerlich jedenfalls nicht der Aufbruchsort schlechthin. Man muss es mit dem Asche-zu-Asche-Vokabular in der tiefen Krise der Linken nicht übertreiben, aber hier an einem Novembertag so etwas wie Parteifrühling zu fühlen, ist für die ab Mittag ankommenden Delegierten und Besucher schon herausfordernd. Parkplatzasphalt, Halle und Himmel ergänzen sich, fast Ton in Ton. Immerhin flattern draußen die großen roten Fahnen im Wind, ein paar Farbtupfer im großen Grau dieser Tage.

    Denn seit Wagenknecht, früher mal Fraktionschefin, samt neun weiteren Bundestagsabgeordneten am 23. Oktober ihren Partei-Austritt erklärt hatte, um im Januar die Konkurrenzpartei, das "Bündnis Sahra Wagenknecht" zu gründen, ging und geht es zunächst abwärts. Die Bundestagsfraktion hat ihre Mindestgröße verloren, sie wird zum 6. Dezember aufgelöst, liquidiert, so der unschöne Begriff. An einer Fraktion hängen auch viele Arbeitsplätze. Es gab im Reichstag zuletzt Tränen. Im Parlament bleibt eine Gruppe mit den verbliebenen 28 Linken-Abgeordneten. Mehr – und vor allem bessere – Wahrnehmung bekommt man so nicht.

    Der Name Sahra Wagenknecht fällt nicht einmal in Schirdewans Rede

    Aber die will Schirdewan mit aller Kraft erreichen. Doch auch sein Neuanfang kommt nicht ohne den kurzen Blick zurück aus. Er nennt es "Zäsur". Den Namen Wagenknecht nennt er in seiner ganzen Rede nicht einmal. Und er übt Selbstkritik: "Wir haben über Jahre strategische und inhaltliche Konflikte in der Öffentlichkeit ausgetragen. Das hat unserer Glaubwürdigkeit geschadet, das hat auch das Vertrauen unserer Wählerinnen und Wähler beschädigt." 

    Dass sich die Fraktion im Bundestag auflösen musste, nennt er einen "bitteren Verlust". Er sei enttäuscht über das Verhalten "von Einigen". Das sei ok, Wut auch, aber – und dann schließt er die Retrospektive mit Bert Brecht: "Wenn ein Freund weggeht, muss man die Tür schließen, sonst wird es kalt." Und: "Dieses Kapitel ist jetzt beendet. Gemeinsam schlagen wir ein neues Kapitel für die Partei auf." Es folgt der eindringliche Vorwärts-Appell: "Geschlossenheit, gegenseitiger Respekt und innerparteiliche Solidarität werden uns zurück auf die Erfolgsspur führen." 

    Die Erfolgsspur muss die Partei aber erst mal wieder finden, will sie nicht nur mit Streit, Spaltung und der von den Wählern stets ungeliebten Selbstbeschäftigung in die Schlagzeilen kommen. Die Wahlergebnisse waren zuletzt nicht sehr verheißungsvoll. Schon bei der Bundestagswahl 2021 war die Linke nur über den Gewinn dreier Direktmandate in den Bundestag gekommen. Es griff deshalb eine Sonderregelung, die sogenannte Grundmandatsklausel. Seither scheiterte die Partei – sieht man von Berlin und Bremen ab – bei allen Landtagswahlen. Zuletzt in Bayern und Hessen. 

    Der Kampf gegen das Bündnis von Sahra Wagenknecht hat begonnen

    Die bundesweiten Umfragewerte schwanken schon länger zwischen vier und fünf Prozent. Die "Wagenknechte" oder "Sahra-Jünger", wie die neue noch nicht mal offiziell gegründete Konkurrenz zwischen den Sitzreihen in der Halle auch genannt wird, kann Werte von zwölf bis 14 Prozent vorzeigen. Allerdings, darauf weist man in der Linken mit beharrlicher Regelmäßigkeit hin, sei die bekundete Absicht, jemanden zu wählen, noch lange keine zählbare, tatsächlich abgegebene Stimme.

    Darum geht es also, in Augsburg beginnt der Kampf darum. Im nächsten Jahr stehen die Europawahl und drei Landtagswahlen an. In Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Als Spitzenkandidat für die

    Die Bundesvorsitzenden der Linken schlagen Carola Rackete als Kandidatin für die Europawahl 2024 vor.
    Die Bundesvorsitzenden der Linken schlagen Carola Rackete als Kandidatin für die Europawahl 2024 vor. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Für die zwei weiteren Top-Plätze sind die Gewerkschafterin Özlem Demirel, die neben Schirdewan 2019 Spitzenkandidatin war, und der "Arzt der Armen" Gerhart Trabert vorgesehen. Er hatte 2022 auch für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert. Sie sollen es richten, damit die Linke – nun eben ohne die so überaus bekannte Wagenknecht, Mandate erringt.

    Der Linken soll ein neues Parteilogo helfen

    Helfen soll dabei das neue Parteilogo. Wie sehr so eine Label-Renovierung schief gehen kann, hatte zuletzt die CDU vorgemacht. Die Linken haben allerdings keine neuen Farbkreationen, kein cadenabbia-türkis und rhöndorf-blau, in Auftrag gegeben, sondern auf weißem Grund zeigt der rote Schriftzug "Die Linke" von unten nach oben. Das neue Signet, mit dem Keil anstelle des Punktes über dem "i" soll Aufbruch verheißen. Henning Walther, Director Design der mit dem Entwurf beauftragten Agentur Brueder Creative Cooperative, erklärt es so: "Das neue Erscheinungsbild lenkt den Blick nach vorn – in eine erstrebenswerte, linke Zukunft." 

    Das Logo bekomme indes eine neue Schärfe: "Der Keil darin zeigt nach vorn, die dynamische Schräge ist fester Bestandteil der Wortmarke. Der rote Kasten macht den Schriftzug zum wehenden Banner." Und der "rote Keil" als universelles Zeichen der politischen Linken solle wieder erkennbar ausgerichtet sein, "als gelerntes Zeichen für eine streitbare Linke, die mit der Zeit geht". Dieses neue Linken-Label, daraus wurde im Vorfeld des Parteitages kein Hehl gemacht, wird jedenfalls nicht ganz zufällig jetzt, beim ersten Parteitag nach Wagenknecht, präsentiert.

    Die Linke will sich selbst Mut machen – was bleibt ihr auch anderes übrig?

    Ein neues Erkennungszeichen kann eine feine Sache sein, allerdings werden sich die Linken anstrengen müssen, damit die Partei – dem Schriftzug entgegen – nicht nach links und ganz unten kippt. Die Aufgabe ist jedenfalls gewaltig. Der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Benjamin Höhne antwortet im Gespräch mit unserer Redaktion auf die Frage, ob die Linke vor dem Ende oder mit dem Augsburger Parteitag vor einem neuen Anfang steht: "Sie will sich selbst Mut machen, wenn sie von einem Neuanfang spricht. Was bleibt ihr auch anderes übrig? Ob ein Neuanfang gelingen kann, ist ungewiss." Ob der Wiedereinzug in den Bundestag ohne den Wagenknecht-Flügel gelingt, hält er für "eher unwahrscheinlich", zumal er bei der letzten Bundestagswahl eben nur mit Mühe gelungen sei.

    Und wie müsste sich die Linke denn programmatisch ändern, damit sie in der zunehmend fragmentierenden Parteienlandschaft koalitionsfähiger wird als sie es bis jetzt ist? Wenn die AfD-Brandmauer in der Union dauerhaft Bestand haben soll, wird die Partei vielleicht noch sehr gebraucht werden. Höhne sagt: "Eine Neuaufstellung als links-progressive Partei ist insofern schwierig, dass sich auf diesem Parteienwettbewerbsfeld schon die Bündnisgrünen und teils auch die SPD befinden. Es wird abzuwarten sein, ob die Linke im Osten ihren Status als regionale Interessenvertretungspartei verteidigen kann. Allerdings finden dort progressive Ideen weniger Resonanz als in Westdeutschland."

    Seit Sahra Wagenknecht und ihre Mitstreitenden die Partei verlassen haben, zählte die Linke 600 Neueintritte bei 200 Austritten. Bei diesem Verhältnis könne es bleiben, hieß es kurz bevor der Parteitag begann. Das möglicherweise passendere Motto der Versammlung in Augsburg steht auf einem Mülleimer irgendwo am Rande. Darauf ist zu lesen: "Manchmal ist Trennung die beste Lösung". 

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