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Foto: Fabian Huber
Foto: Fabian Huber

Brasilianische Pflegekräfte vor ihrem Abflug aus Sao Paolo nach Deutschland. Inzwischen arbeiten sie im Klinikum Ingolstadt.

Pflege
15.08.2022

Wie bayerische Kliniken um ausländisches Personal kämpfen

Von Fabian Huber

Flüge nach Rio, Castings in Rom, Werbung im Kosovo – bayerische Kliniken betreiben enormen Aufwand, um an ausländisches Pflegepersonal zu kommen. Lohnt sich das?

Das Ingolstädter Klinikum ist mit seiner verschachtelten Betonfassade vielleicht kein schönes, aber zweifelsohne ein großes Haus. 1000 Betten, etwa 1250 Pflegekräfte, 240 Azubis, soweit die Kennzahlen. Das Krankenhaus bildet seinen Nachwuchs selbst aus. Und doch reicht das alles nicht, weshalb seit gut zwei Wochen Hilfe vom anderen Ende der Welt eingeflogen ist: Fast ein Jahr lang haben elf Pflegekräfte aus Sao Paolo an einer brasilianischen Sprachschule Deutsch gelernt. Nun sind sie fester Bestandteil der Ingolstädter Belegschaft. Insgesamt gut 100 Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger rekrutierte das Klinikum in den vergangenen fünf Jahren aus dem Ausland.

Was die Corona-Pandemie schonungslos aufgedeckt hat, schwelt im Untergrund schon seit Jahren: Deutschlands Gesundheitssystem ist selbst ein Pflegefall. Die Bevölkerung altert, der Personalstand schrumpft, die Arbeitsbelastung explodiert. So in etwa geht der Dreiklang dieses Notstands. Allein im Freistaat werden nach Auskunft des bayerischen Gesundheitsministeriums bis 2030 gut 9600 zusätzliche Pflegefachkräfte und 9400 Hilfskräfte benötigt.

In einem römischen Hotelzimmer castete die Uniklinik Augsburg ihr neues Personal

Nur sind sie hierzulande kaum zu finden. Um irgendwie an Personal zu kommen, müssen die Einrichtungen ihren Blick weiten: auf den Balkan, in den Süden, nach Asien. Der Aufwand ist unvorstellbar groß. Chefetagen verzweifeln an der Bürokratie, organisieren Sprachkurse, suchen Wohnungen, fliegen um die Welt – auf der Suche nach Pflegekräften.

Helga Friedrich hat sich 2018 extra ein Hotelzimmer in Rom gemietet. Nach und nach kamen die Interessierten herein, aus Südtirol, aus Sizilien, 40 Bewerbungsgespräche im Akkord. „Es war wie beim Casting“, erzählt Friedrich vom Zentrumsmanagement der Uniklinik Augsburg. 18 italienische Fachkräfte hat sie in der Folge eingestellt, noch heute arbeiten zwölf im Haus. „Woher bekommen wir sonst Mitarbeiter? Es gibt niemanden!“, sagt Friedrich.

Schon in den 70er Jahren warb die Geschäftsleitung gezielt Menschen aus Südkorea und den Philippinen an. Seit zwei Jahren gib es in Augsburg nun eine eigene Stelle, die sich ausschließlich um die Akquise ausländischen Fachpersonals kümmert.

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Im Idealfall bewerben sich die Fachkräfte aktiv, weil sie Verwandtschaft oder Landsleute aus der Pflegebranche in Deutschland haben. Oft aber müssen deutsche Arbeitgeber auf Eigeninitiative suchen. Nur: Selbst dürfen sie das nicht tun. Für die Rekrutierung ausländischer Pflegefachkräfte besteht ein Werbeverbot. Wer etwa Zeitungsannoncen in Rio de Janeiro schalten will, muss eine Vermittlungsagentur engagieren. „Die sind mal mehr und mal weniger vertrauenswürdig“, sagt Helga Friedrich. Außerdem hat die Weltgesundheitsorganisation eine Liste an Ländern herausgegeben, aus denen wegen des Fachkräftemangels im eigenen Land überhaupt kein Personal rekrutiert werden soll: 47 Staaten umfasst sie, von Afghanistan bis Vanuatu.

Acht Monate paukten die brasilianischen Pflegekräfte Deutsch

Es sind hohe Hürden für die Gesundheitsbranche. Die Agentur für Arbeit versucht sie in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zu senken. Gut 3900 Fachkräfte haben die beiden Behörden mit ihrem Programm „Triple Win“ seit 2013 bereits nach Deutschland gebracht, hauptsächlich von den Philippinen, aus Bosnien-Herzegowina, Tunesien und Vietnam. Auch mit Mexiko und Brasilien hat die Arbeitsagentur Vermittlungsabkommen.

Steven Theilig vertraute auf diese Hilfe. Er rekrutiert für die bayerischen Reha-Kliniken der Krankenhausgruppe Vamed in Kipfenberg und Berching. Allein im ersten Haus sind nach seinen Angaben 50 Pflegestellen unbesetzt. 2019 flog er also mit Angestellten der Arbeitsagentur nach Rio. 450 Menschen hatten sich auf seine Stellenanzeige gemeldet, 18 davon unterschrieben noch in Brasilien ihre Arbeitspapiere, von der Berufseinsteigerin bis zur langjährigen Pflegekraft. Achteinhalb Monate lang büffelten sie Deutsch am Goethe-Institut, 2020 kamen sie dann nach Bayern. Doch viel länger war der Weg danach: die Anerkennung ihrer Berufsqualifikation.

Die Bezirksregierungen in Bayern messen mit zweierlei Maß

„Die Ausländerbehörden arbeiten an ihren Kapazitätsgrenzen. Bei den Mitarbeitern sorgt das für große Verunsicherung. Ich würde mir wünschen, dass diese Prozesse schneller und vor allem digitaler gehen“, klagt Theilig. Auch im Klinikum Ingolstadt dauere die Anerkennung im Schnitt zwölf bis 13 Monate, sagt Pflegedirektor Rainer Knöferl. Fast 18.500 solcher Anträge sind laut bayerischem Gesundheitsministerium seit 2015 bei den bayerischen Bezirksregierungen eingegangen. Doch die messen wohl oft mit zweierlei Maß: „Die unterschiedlichen Anforderungen der Regierungsbezirke bereiten Schwierigkeiten bei den erforderlichen Nachqualifikationen“, teilt die Bayerische Krankenhausgesellschaft (BKG) mit.

Ein weiteres Problem: die Wohnungssuche. Die brasilianischen Pflegekräfte in Ingolstadt wohnen inzwischen in Dreier-WGs zusammen. Selbstverständlich ist das nicht. „Es ist hier wie in vielen anderen Städten schwierig, Wohnungen zu bekommen. Wir haben einen unglaublichen Aufwand betreiben müssen“, sagt Nicolai Kranz, Geschäftsführer Personal und Organisation. Seine Kollegin Friedrich aus Augsburg pflichtet ihm bei: „Wenn wir mehr Wohnungen und Kita-Plätze anbieten könnten, könnten wir viel mehr Leute einstellen. Das ist ein riesiger Hemmschuh.“

Und auch die Sprache kann zum Hindernis werden. In Ingolstadt gebe es da diesen brasilianischen Kollegen, erzählt Knöferl: Sehr gutes Deutsch, aber klar, mit dem Begriff „Nachtkästchen“ konnte er erst mal nichts anfangen. „Für viele ist auch der Dialekt ein Problem“, sagt er. Aus Augsburg und Kipfenberg ist Ähnliches zu hören. Von der BKG heißt es, oft würden angebotene Sprachkurse der Krankenhäuser von ausländischen Beschäftigten auch nicht angenommen.

Die nächsten ausländischen Pflegekräfte sind schon im Anflug

Viele Stolperfallen also bei der Auslandsakquise. Zumal der Fachkräftemangel so allein nicht behoben werden kann. Das sagen alle Beteiligten. Das sagt auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek: „Die Rekrutierung, Anerkennung und nachhaltige Integration ausländischer Pflegefachkräfte ist ein wichtiger Baustein zur Sicherung des Fachkräftebedarfs in der Pflege. Klar ist aber auch: Es kann nur ein Baustein sein.“

Währenddessen sind schon die nächsten Pflegekräfte im Anflug. Die Bundesagentur für Arbeit wird ab dem kommenden Jahr auch aus Indonesien und dem indischen Bundesstaat Kerala vermitteln. Die Uniklinik Augsburg hat nach ihrem Casting in Rom 40 weitere Auslandskräfte geholt, von den Philippinen, aus dem Iran und der Türkei. Steven Theilig von Vamed plant, junge Studierende aus dem Kosovo nun schon in ihrem letzten Studienjahr für ein halbjähriges Praktikum nach Deutschland zu holen. Und auch das Pflegeteam in Ingolstadt bekommt zum Jahreswechsel nochmals Zuwachs: sechs weitere Pflegekräfte aus Brasilien. Und zehn von den Philippinen.

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