Pünktlich zur Eröffnung des Festgeländes durchbrechen die Sonnenstrahlen die Wolkendecke über München. Kaum geben die Sicherheitsleute den Weg frei stürmen die Oktoberfestfans, die teilweise schon seit dem Morgengrauen in den Schlangen standen, die Theresienwiese, um einen der heiß begehrten Plätzen in den Festzelten zu ergattern. Teils haben sie Smartphones in der Hand, um diesen lang erwarteten Moment für die Nachwelt und Social Media festzuhalten: Das erste Oktoberfest seit Beginn der Corona-Pandemie.
Am Hauptbahnhof haben sich am Morgen schon einige Wiesnfans in Tracht unter die gewöhnlichen Reisenden, die ihre Koffer von einem Zug zum anderen rollen, gemischt. Ein paar haben sich schon die erste Halbe aufgemacht. Ein paar tragen zu ihrem traditionellen Gewand dicke Jacken. Der Tag soll kalt und regnerisch werden, heißt es vom Wetterbericht: Definitiv kein Dirndl-Wetter. Doch die kleinen Flecken blauer Himmel zwischen den Wolkenmassen über der bayerischen Hauptstadt geben noch ein wenig Hoffnung, dass die Meteorologen sich geirrt haben.
In der U-Bahn zur Theresienwiesen tragen nicht alle Passagiere Maske
Trotz Maskenpflicht in Nahverkehrsmitteln und der eindringlichen Bitte von Polizei und Kreisverwaltungsamt bei der gemeinsamen Pressekonferenz diese auch einzuhalten, fahren viele Trachtler maskenlos U-Bahn. Wie soll man den sonst das Bier oder den Starbucks-Kaffee trinken? Gesprochen wird Bayerisch, Deutsch, Italienisch, Englisch und noch einigen anderen Sprachen, alles durcheinander. Alle haben nur ein Ziel, die Theresienwiese.
Für die drei Freunde Josan Abrigo, Mark Marasigan und Anh Do ist es das erste Mal auf der Wiesn. Sie seien wegen des Bieres hier, sagt Abrigo. Sie und Marasigan kommen aus den Philippinen, Do aus Vietnam. "In unserem Land feiern wir auch Oktoberfest", erzählt Marasigan. Das in der philippinischen Hauptstadt Manila finde sogar im Oktober statt, meint er lachend. Zusammen mit den anderen Wiesnbesuchern reihen sie sich in die Warteschlange ein. Dort bereuen die Ersten bereits, nichts Wärmeres als eine Strickjacke eingepackt zu haben.
Das Hofbräufestzelt ist kurz nach Einlass schon zur Hälfte gefüllt
Als es dann losgeht, gibt es für viele kein Halten mehr. Manche stolpern auf dem Weg in die Zelte über die eigenen Füße. Aber Eile ist wirklich geboten, wenn man einen Platz bekommen will. Das Hofbräu-Festzelt ist etwa eine Viertelstunde nach der Eröffnung der Theresienwiese schon mehr als zur Hälfte gefüllt, obwohl es noch ungefähr drei Stunden dauert, bis der erste Tropfen Bier ausgeschenkt wird.
Während sich die Wiesnbesucher auf dem Festgelände verteilen, erledigen die Standbesitzer ihre letzten Vorbereitungen. Bei "Anettes Herzl" direkt beim Augustiner-Festzelt richtet Anette Achmüller noch die Lebkuchenherzen so hin, dass die Vorbeigehenden die Sprüche auf dem Süßgebäck lesen können. Sie ist seit 2000 mit einem eigenen Stand auf dem Oktoberfest, erzählt sie. Früher habe sie Tabakwaren verkauft, jetzt Herzen. Das jetzt wieder das Oktoberfest stattfinden kann, freue sie, es sei "aufregend" und "schön".
Laut Bundespolizei ist der Andrang nicht so groß wie 2019
Darüber wie das Besucheraufkommen im Vergleich zu 2019 ist, hört man ganz unterschiedliche Meinungen. Ein Kellner in der Fischer-Vroni ist der Meinung, dass viel mehr los sei als gewöhnlich. Anette Achmüller schätzt, dass der Menschenauflauf etwa so ähnlich ist, wie bei der letzten Wiesn. Ein Pressefotograf meint, es sei wesentlich weniger los als bei den letzten Oktoberfesteröffnungen. "Man findet in den Zelten noch Platz", sagt er. Das liege wahrscheinlich am kalten Wetter. Auch die Bundespolizei teilt mit, dass der Andrang dieses Jahr bisher etwas geringer sei als beim Wiesnauftakt 2019.
Die wärmenden Strahlen der Sonne sind inzwischen verschwunden. Zum Einzug der Wiesnwirte hat die Wolkendecke zugezogen. "Es ist ein wenig kalt", sagt Bchara Salameh auf Englisch. Für den Roboteringenieur aus dem Libanon ist der Umzug das Highlight der Wiesn. Zum ersten Mal habe er ihn 2019 gesehen, als er für ein Praktikum in der Stadt war. Inzwischen lebt er in München. Während die Wirte einfahren, gibt es den ersten kurzen Schauer, der nicht der letzte bleiben wird. Kaum sind sie in ihren Zelten, fängt es auch schon an zu regnen.
Oberbürgermeister Reiter braucht drei Schläge für den Anstich
Während die zwölf Böllerschüsse, die den Fassanstich verkünden, über die Theresienwiese hallen, packen alle Besucher, die keinen Platz im Bierzelt bekommen haben, die Schirme aus oder müssen sich unter den Markisen der Stände unterstellen. Der eigentlich im Anzapfen recht erfahrene Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter scheint über die zwei Jahre ohne Oktoberfest etwas eingerostet zu sein. Statt zwei Schlägen wie bei früheren Wiesnanstichen braucht er dieses Jahr im Schottenhamel-Festzelt drei. Für ihn ist es das siebte "Ozapft is!"
Am Nachmittag kommt noch mal die Sonne heraus und lässt den nassen Asphalt glitzern. Die Besucherströme haben immer noch nicht abgerissen. Die Wege zwischen den Buden ist trotz gelegentlicher kurze Schauer voller Menschen. Von den Fahrgeschäften ist freudiges Geschrei zu hören, es riecht nach gebrannten Mandeln und gebratenem Fleisch. Vor dem Herzkasperlzelt auf der Oide Wiesn versuchen die Bedienungen so schnell wie möglich die Bierbänke trocken zubekommen. Wenn kein Wind weht und gerade keine Wolke vor der Sonne steht, ist es sogar angenehm draußen zu sitzen. In den Zelten ist es jetzt noch schwieriger, einen Platz zu bekommen. Vor den meisten Eingängen haben sich lange Schlangen gebildet. Am Armbrustschützenzelt hängt einen Schild "Wegen Überfüllung kein Einlass!"
Für manche Wiesnbesucher ist der Tag auch schon wieder vor bei. Unweit der Theresienwiese sitzt ein Mann in Tracht an einen Zaun gelehnt und schläft seinen Rausch aus. Die erste sogenannte "Bierleiche", also jemand, der sich bewusstlos getrunken hat, gab es dieses Jahr etwa zwei Stunden nach dem Anstich, teilt Markus Strobl, Sprecher der Sanitätsstation Aicher Ambulanz, mit. Eine "volltrunkene" junge Frau sei kurz nach zwei Uhr von den Helfern aufgenommen worden. Beim Oktoberfest 2019 hatte es die erste "Bierleiche" schon etwa eine Stunde vor dem Anstich gegeben. Auch der neue Computertomograf sei bereits am ersten Tag zum Einsatz gekommen, so Strobel. Ein Franzose sei nicht-betrunken vor einem Bierzelt gestürzt und habe sich am Kopf verletzt. (mit dpa)