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"Ois Anders": Regensburger Ausstellung: Großprojekte, die in Bayern für Unmut sorgten

"Ois Anders"

Regensburger Ausstellung: Großprojekte, die in Bayern für Unmut sorgten

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    Gruß aus Gundremmingen: Postkarte mit Kernkraftwerk, Neubaugebiet und Dorfansichten
    Gruß aus Gundremmingen: Postkarte mit Kernkraftwerk, Neubaugebiet und Dorfansichten Foto: Heimatverein Gundremmingen E.v.

    Heute undenkbar, in den 60er-Jahren aber offenbar noch möglich: Ein kerniger Bursch aus Aying in Lederhose und Haferlschuhen protestiert mitten in München mit einer doppelläufigen Schrotflinte auf der Schulter gegen einen Großflughafen im Hofoldinger Forst. Ein Foto, aufgenommen am 15. Juli 1967, beweist es. Nicht allein der „Girgl“ aus

    Damals Luxus, heute Standard: Grad mal 9600 Kühlschränke mussten 1959 im Gebiet der Lechwerke mit Strom versorgt werden, zehn Jahre später waren es bereits 105.900 – das entsprach damals 81 Prozent aller Haushalte. Wegen des rasant wachsenden Hungers nach elektrischer Energie in der Nachkriegszeit wurde der Lech vom wilden Fluss zur Kraftwerkstreppe umfunktioniert. Heute versucht man das zumindest zum Teil zu renaturieren, um der Ökologie des Flusses wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. 

    Was die Ausstellung "Ois Anders" im Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg zeigt

    Von der Prognose zur Realität: „Der Rhein-Main-Donau-Kanal“, so tönte 1986 der damalige Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU), „wird dieselbe Bedeutung haben wie der Panamakanal oder der Suez-Kanal.“ Er sollte sich täuschen. Gemessen an den Erwartungen der Staatsregierung wurde das grandiose Projekt für die Schifffahrt zu einem grandiosen wirtschaftlichen Reinfall. Statt – wie ursprünglich geplant – Kohle, Öl und andere schwere Ware zu befördern, werden auf der sündteuren Wasserstraße heute hauptsächlich Touristen durch die Landschaft gefahren.

    Baustelle der Reaktoren B und C am Kernkraftwerk in Gundremmingen, um 1980.
    Baustelle der Reaktoren B und C am Kernkraftwerk in Gundremmingen, um 1980. Foto: Richard Harlacher, Haus der Bayerischen Geschichte

    Schon diese drei Beispiele zeigen, warum der Titel der neuen Ausstellung im Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg „Ois anders“ lautet. Die jetzt eröffnete Schau dokumentiert auf etwa 500 Quadratmetern den gigantischen Modernisierungsprozess in Bayern seit dem Zweiten Weltkrieg – allerdings nicht in einer ermüdenden allgemeinen Darstellung, sondern ganz konkret und lebendig anhand von einst heftig umstrittenen Großprojekten. Dazu gehören auch der Bau des Kernkraftwerks Gundremmingen, die Schaffung des Nationalparks Bayerischer Wald, die bis heute nicht vollendete Autobahn A 94 zwischen München und Passau oder das rasante Wachstum der Städte am Beispiel Regensburg.

    Augsburger Museumspädagoge Andreas Kuhn ist für "Ois Anders" verantwortlich

    Für Richard Loibl, den Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte, kam es dabei vor allem auf eine Sache an. „Wir nehmen selber nicht Stellung. Die Besucherinnen und Besucher“, so betonte er beim Eröffnungsakt, „sollen sich ein eigenes Urteil bilden können.“ 

    Die Experten aus dem Haus der Bayerischen Geschichte unter Leitung des Augsburgers Andreas Kuhn hätten sich bei dem Projekt um strikte Neutralität bemüht. Die Meinungen über die Großprojekte seien schließlich schon damals hart aufeinandergeprallt. Daran habe sich bis heute nicht viel geändert, sagt Loibl.

    Ausstellung zu umstrittenen Großprojekten ist selbst als Baustelle inszeniert

    Präsentiert wird in Regensburg nicht nur das Für und Wider der Großprojekte; die Ausstellung ist selbst als Baustelle inszeniert. Wer will, kann sich für den Rundgang einen gelben Helm aufsetzen. Eine 50 Meter umspannende Projektionsfläche bietet in drei kurzen Episoden einen Crashkurs in bayerischer Nachkriegsgeschichte. Und an den einzelnen Stationen wird versucht, die Geschichte erlebbar zu machen. Wie hebe ich ein Schiff auf dem Rhein-Main-Donau-Kanal über die europäische Wasserscheide? Wie fühlt sich ein Brennstab für das Atomkraftwerk Gundremmingen an? (Keine Angst, er strahlt nicht radioaktiv). Wie viele Leitzordner füllen die Prozessakten zur A94? 

    Der Lech südlich von Augsburg.
    Der Lech südlich von Augsburg. Foto: Ulrich Wagner, Haus der Bayerischen Geschichte

    Wer tiefer einsteigen mag, kann sich in der Ausstellung zwei Stunden und mehr mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung Bayerns und ihren Verzweigungen beschäftigen. Nicht ganz aufgeklärt wird allerdings die Geschichte vom „Girgl“ und seinem Gewehr. Dazu muss man in Aying nachfragen. Und dort heißt es, dass der „Girgl“ nach dem Fotoshooting in einem Wirtshaussaal von der Polizei festgenommen und sein Gewehr konfisziert wurde. Er sei allerdings schnell wieder frei gelassen worden und habe später auch seine Schrotflinte wieder bekommen. Das wäre heutzutage vermutlich auch anders. 

    Info: Das Haus der Bayerischen Geschichte, Donaumarkt 1, in Regensburg, ist geöffnet von Dienstag bis Sonntag, 9 bis 18 Uhr. Die Ausstellung läuft bis zum 22. Dezember.

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