Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Oberbayern: Wer steckt hinter der dubiosen "Querdenker"-Schule?

Oberbayern

Wer steckt hinter der dubiosen "Querdenker"-Schule?

    • |
    Im oberbayerischen Landkreis Rosenheim wollten Eltern ihre Kinder nicht mehr in staatliche Schulen schicken.
    Im oberbayerischen Landkreis Rosenheim wollten Eltern ihre Kinder nicht mehr in staatliche Schulen schicken. Foto: Symbolfoto: Annette Riedl, dpa

    Auf den ersten Blick ist es ein ganz gewöhnliches Bauernhaus. Eines, das im idyllischen Oberbayern nicht weiter auffällt. Auf dem Gelände steht noch ein Holzstadel, gleich nebenan beginnt ein kleiner Wald, an einem Baum auf einer sattgrünen Wiese baumelt eine Schaukel. Bilderbuch-Bayern. Nur: Dieser erste Eindruck täuscht gewaltig. Gewöhnlich ist hier, in Schechen im Landkreis Rosenheim, nichts. Wie berichtet, haben Vertreter der sogenannten „Querdenker“- und „Reichsbürger“-Szene dort offenbar eine eigene Schule aufgebaut. Nun gibt es neue Details, wer hinter dem ominösen Projekt steckt.

    Als Betreiber fungiert offenbar eine Stiftung namens „Freiheit braucht Mut“ – und die gibt den Behörden einige Rätsel auf. „Wir wissen nicht, wer sich hinter dieser Stiftung verbirgt“, sagt Wolfgang Rupp, Sprecher der Regierung von Oberbayern. „Sie sagen, sie seien nach russischem Recht anerkannt“, fährt er fort. Im deutschen Stiftungsverzeichnis sei „Freiheit braucht Mut“ indes nicht registriert. „Wir haben auch Zweifel daran, dass die Stiftung in Russland anerkannt ist. Und selbst wenn: Wer in Deutschland eine Schule einrichten will, muss sich an deutsches Recht halten“, macht der Regierungssprecher deutlich. Die Behörde hatte die nicht genehmigte Bildungseinrichtung am vergangenen Mittwoch nach Hinweisen aus der Bevölkerung geschlossen.

    Der Sprachgebrauch ist typisch für die "Reichsbürger"

    Mittlerweile liegen der Regierung von Oberbayern einige Schriftstücke der undurchsichtigen Stiftung vor, wie Rupp im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt. Darauf gebe es Hinweise, die mehr über die ideologische Ausrichtung verrieten. So gebe es etwa einen Sprachgebrauch, der typisch sei für die Bewegung der „Reichsbürger“. „Der Staat sei nur ein Privatunternehmen, heißt es da etwa“, sagt Rupp. Genau diese Delegitimierung des Staates, also die Nichtanerkennung der Bundesrepublik Deutschland als legitimer und souveräner Staat, ist einer der Kernpunkte der „Reichsbürger“, die in Deutschland immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Die Bewegung wird vom Verfassungsschutz beobachtet.

    Reichsbürger, Germaniten, Identitäre - Die Szene der Staatsverweigerer

    Die Bewegung der Staatsverweigerer ist sehr heterogen. Sie umfasst mehrere sektenartige Gruppen von Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen, die seit den 1980er-Jahren entstanden und untereinander zerstritten sind.

    Nur in einem sind sie sich einig: Deutschland sei kein echter Staat, das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 bestehe fort.

    Die Gruppen haben keine feste Organisationsstruktur.

    Die erste bekannte Organisation von „Reichsbürgern“ wurde 1985 als „Kommissarische Regierung des Deutschen Reiches“ gebildet. Gründer war Wolfgang Gerhard Günter Ebel, ein Westberliner Eisenbahner, der sich fortan „Reichskanzler“ nannte.

    Die Anhänger sprechen dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab.

    Ein Schwerpunkt in der Region ist das Allgäu. Doch bayernweit nehmen die Zahlen der "Reichsbürger" zu. Derzeit sind knapp über 300 Personen im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West als „Reichsbürger“ eingestuft.

    Die Germaniten wurde im Dezember 2010 von einer gewissen Ulrike Kuklinski auf der Schwäbischen Alb gegründet.

    Sie sieht sich als Opfer der deutschen Justiz und bildete mit Gleichgesinnten die Behindertenfürsorge „Deutsche Ringvorsorge“, die Keimzelle des „Staates Germanitien“.

    Die Bewohner verstehen sich allen Ernstes als souveränes Staatsvolk mit einem eigenen Staatsgebiet in den Grenzen von 1937.

    Der Ursprung der Identitären Bewegung liegt in Frankreich, wo sie zu Beginn des Jahrhunderts im Dunstkreis des Front National entstand. Sehr aktiv ist die IB in Österreich, neuerdings auch in Bayern.

    Sie ist ethnopluralistisch – jede Ethnie soll ihren eigenen Raum haben – und geht von einer geschlossenen „europäischen Kultur“ aus, die vor allem vom Islam bedroht sei. Für Experten ist die IB eine neue Form des Rechtsextremismus. (hogs, sohu)

    Das Kuriose an der Stiftung „Freiheit braucht Mut“ ist, dass wenig über sie zu finden ist. Selbst im Internet nicht, eine deutschsprachige Homepage scheint es nicht zu geben. Befürworter indes gibt es im Netz genügend, wie Recherchen unserer Redaktion zeigen. In einem einschlägigen Telegram-Kanal mit mehr als 55.000 Abonnenten, der der „Querdenker“-Szene zuzuordnen ist, wurde vor wenigen Tagen ein Video veröffentlicht, das das Schechener Schulkonzept verteidigt. „Für alle Eltern, die auf Maskenpflicht und Testzwang bei ihren Kindern verzichten möchten“, heißt es da. Und: „Ein Modell, was Schule machen sollte.“ Die Kommentare der Nutzer gehen in die gleiche Richtung: „Bildung jetzt selbst organisieren ist enorm wichtig – das russische Modell ist sehr interessant“, schreibt ein User. Und eine weitere Nutzerin, die scheinbar in das Projekt involviert ist, schreibt am 23. September: „Wir haben heute und morgen den Schulbetrieb dort eingestellt, da wir vermuten mussten, dass die Polizei dort erscheint. Das wollten wir den Kids ersparen.“ Nun seien „Schreiben aus Russland unterwegs an sämtliche bayerische und deutsche Ministerien.“

    Die Leiterin der illegalen Schule ist eine verbeamtete Lehrerin

    Direkten Kontakt zu den Drahtziehern des illegalen Schulbetriebs zu bekommen, sei schwer, sagt Rupp von der Regierung von Oberbayern. „Die einzige Person, die man greifbar machen kann, ist die Schulleiterin.“ Nach aktuellen Informationen ist sie eine verbeamtete Lehrerin einer Grund- und Mittelschule im Raum Oberbayern und war über Wochen im Krankenstand. Ob die Frau immer noch krank ist, wie es mit ihr weitergeht, ob und welche dienstrechtlichen Maßnahmen eingeleitet werden, dazu könne er aus Datenschutzgründen nichts sagen, erklärt Rupp. „Aber Sie können sich sicher denken, dass wir nicht untätig sind.“

    Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass eine solche Schule in den Fokus tritt. Erst im vergangenen Sommer wollte ein Verein aus dem Milieu der Corona-Leugner eine neue Schule in Hamburg gründen – auch ohne Masken und ohne Tests. Es gab sogar einen offiziellen Antrag, einem Bericht der taz zufolge wurde der dann aber wieder zurückgezogen.

    Die Initiatoren des illegalen Schulbetriebs in Schechen halten sich bisher an das behördliche Verbot, sagt Regierungssprecher Rupp gegenüber unserer Redaktion. Es seien keine Kinder oder Eltern mehr zu dem alten Hof gekommen, der so unscheinbar in der oberbayerischen Idylle liegt. Ein ganz gewöhnliches Bauernhaus eben. Zumindest auf den ersten Blick.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden