Was hatte Beate Zschäpe mit den Verbrechen des NSU zu tun? Nichts, behauptete sie letzten Dezember nach jahrelangem Schweigen in ihrer schriftlichen, von ihrem Anwalt Mathias Grasel verlesenen Aussage im NSU-Prozess. Neun rassistisch motivierte Morde an türkisch- und griechischstämmigen Gewerbetreibenden, ein Mord an einer Polizistin, zwei Sprengstoffanschläge - das will sie alles erst später erfahren haben und entsetzt gewesen sein. Stimmt das? Oder lügt sie?
Das Gericht lässt Zschäpes Aussage seitdem Punkt für Punkt überprüfen. Dabei stellt sich heraus: Manches, was viele ihr nicht abnehmen wollten, könnte tatsächlich wahr sein. Und noch etwas zeigt sich: Das Bundeskriminalamt (BKA), das im Auftrag des Gerichts ermittelt, hat manche Schlussfolgerung wohl voreilig gezogen.
Das zynische "Paulchen-Panther"-Selbstbekennervideo
Etwa zu Zschäpes mutmaßlicher Mitarbeit an dem zynischen "Paulchen-Panther"-Selbstbekennervideo. Hätte Zschäpe daran mitgewirkt, wäre das ein Anzeichen dafür, dass sie eben doch Bescheid wusste und die Morde billigte. Die Ermittler hielten das bisher für plausibel - wegen einer Wette Zschäpes mit den mutmaßlichen Terrormördern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Das ist Beate Zschäpe
Beate Zschäpe wurde am 2. Januar 1975 in Jena geboren. Dem Hauptschulabschluss folgte eine Ausbildung als Gärtnerin.
Von Mitte 1992 bis Herbst 1997 ging Beate Zschäpe einer Arbeit nach, zweimal unterbrochen von Arbeitslosigkeit. So steht es in einem Bericht des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer für die Thüringer Landesregierung. «Ihre Hauptbezugsperson in der Familie war die Großmutter», heißt es weiter.
Mit dem Gesetz kam Zschäpe erstmals als 17-Jährige in Konflikt. Der Schäfer-Bericht vermerkt 1992 mehrere Ladendiebstähle. 1995 wurde sie vom Amtsgericht Jena wegen «Diebstahls geringwertiger Sachen» zu einer Geldstrafe verurteilt.
Zu der Zeit war sie aber häufiger Gast im Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla, bald an der Seite des Rechtsextremen Mundlos. Über das ungewöhnliche Dreiecksverhältnis zwischen ihr, Mundlos und Böhnhardt ist viel spekuliert worden.
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beteiligten sich zu der Zeit an Neonazi-Aufmärschen im ganzen Land.
Im Alter von 23 Jahren verschwand die junge Frau mit den beiden Männern aus Jena von der Bildfläche. Zuvor hatte die Polizei ihre Bombenbauerwerkstatt in der Thüringer Universitätsstadt entdeckt.
Danach agierte Zschäpe mit einer Handvoll Aliasnamen: Sie nannte sich unter anderem Silvia, Lisa Pohl, Mandy S. oder Susann D. Zeugen beschrieben sie als freundlich, kontaktfreudig und kinderlieb. Bei Diskussionen in der Szene soll sie jedoch die radikaleren Positionen ihrer beiden Kumpane unterstützt haben.
Nach der Explosion in Zwickau am 4. November 2011 war Zschäpe mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland unterwegs. Sie verschickte auch die NSU-Videos mit dem menschenverachtenden Paulchen-Panther-Bildern. Am 8. November stellte sie sich der Polizei in Jena.
Im Prozess schwieg Zschäpe lange Zeit. An Verhandlungstag 211, im Juni 2015, antwortete sie dem Richter ein erstes Mal, und zwar auf die Frage, ob sie überhaupt bei der Sache sei.
Zu den Vorwürfen äußerte sich Zschäpe erstmal im September 2015. Ihr Verteidiger las das 53-seitige Dokument vor, in dem Zschäpe ihre Beteiligung an den Morden und ihre Mitgliedschaft im NSU bestritt. Lediglich die Brandstiftung in der letzten Fluchtwohnung des Trios gestand sie.
Ein psychologisches Gutachten aus dem Januar 2017 beschreibt Zschäpe als "voll schuldfähig".
In der ging es darum, ob sie ein paar Kilo abspecken könne. Falls nicht, wäre ihr Einsatz "200x Videoclips schneiden", so festgehalten in einer Datei, die sich in den Hinterlassenschaften des NSU fand. Ein BKA-Ermittler schloss daraus, dass "sowohl Uwe Böhnhardt als auch Beate Zschäpe" über das "Paulchen-Panther"-Video Bescheid wussten und "die Videodateien sowohl kannten als auch bearbeitet" hätten.
Zschäpe stellte das anders dar: Sie habe Werbeblöcke aus aufgezeichneten Fernsehserien herausgeschnitten und nicht etwa Clips für das Bekennervideo. Das BKA sah die Asservate noch einmal durch, und tatsächlich: Es seien DVDs mit TV-Serien gefunden worden, heißt es in einem neuen Vermerk - mit herausgeschnittenen Werbeblöcken. Das, so folgern die BKA-Ermittler jetzt, erscheine als "realistische Wetteinlage". Aus Kreisen der Bundesanwaltschaft heißt es, die Ankläger sähen das inzwischen auch so.
Auch zu einem anderen Detail korrigiert sich das BKA. Dabei geht es um die Frage, ob Beate Zschäpe wirklich aus dem Radio vom Tod ihrer Freunde nach einem missglückten Banküberfall in Eisenach erfahren haben kann. Das behauptet sie und sagt, die Radionachricht habe sie veranlasst, die Zwickauer Fluchtwohnung anzuzünden und - als Vermächtnis ihrer beiden Freunde - von diesen vorbereitete Briefkuverts mit Bekenner-DVDs in den Briefkasten zu werfen.
Beate Zschäpe: Auch hier korrigiert sich das BKA
Stimmen kann das aber nur, wenn eine solche Nachricht rechtzeitig vor 15 Uhr in einem Radiosender ausgestrahlt worden wäre. Eine BKA-Ermittlerin sagte im NSU-Prozess, sie habe beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) nachgefragt und könne nicht ausschließen, das Zschäpes Version stimme, jedoch: "Für den relevanten Zeitraum gab's da eigentlich keine Nachrichten".
"Ich hatte Zweifel, dass das stimmt", sagte dazu der MDR-Redakteur Matthias Reiche - und meint die Aussage der Ermittlerin. Reiche recherchierte in seinem Sender und fand eine Meldung, die bereits um 14 Uhr gesendet wurde - und in der vom Überfall und dem Fund zweier Leichen in einem Wohnmobil die Rede ist.
Reiche fragte außerdem bei der privaten Konkurrenz nach, bei "Antenne Thüringen". Dessen stellvertretender Programmchef Peer Lück habe ihm mitgeteilt, dass auch dort bereits um 14 Uhr aus Eisenach berichtet wurde. Lück sagte auf Nachfrage, die BKA-Ermittlerin habe sich dann auch bei ihm gemeldet - aber erst am Tag nach ihrer Aussage im Gericht.
Inzwischen hat sich die Ermittlerin in einem neuen Vermerk korrigiert und muss erneut als Zeugin aussagen. Zschäpes Verteidiger werden wohl kritisch nachfragen. "Es ist auffällig, dass zulasten Frau Zschäpes ermittelt wurde und Fakten, die nicht zur Ermittlungshypothese passen, ausgeblendet wurden", sagte Anwalt Grasel. Das sehen die Kreise um die Bundesanwaltschaft jedenfalls in diesem Punkt nicht ganz so: Dass Zschäpe die Nachricht aus Eisenach im Radio gehört habe, passe sehr wohl zur Anklage, heißt es. Christoph Lemmer, dpa