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Nachruf: Zum Tod von Amalie Speidel: Für immer eine geborene Lossa

Nachruf

Zum Tod von Amalie Speidel: Für immer eine geborene Lossa

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    Amalie Speidels Bruder wurde als Kind getötet. Heute sind Straßen in Augsburg und Kaufbeuren nach ihm benannt.
    Amalie Speidels Bruder wurde als Kind getötet. Heute sind Straßen in Augsburg und Kaufbeuren nach ihm benannt. Foto: Silvio Wyszengrad (Archiv)

    In ihrem letzten großen Interview Anfang 2021 sagte Amalie Speidel: "Ich bin stolz, dass die Wahrheit ans Licht gekommen ist. Mir wurde leichter ums Herz, als alles aufgeführt wurde." In diesen Sätzen steckt eine Lebensaufgabe. Die Auseinandersetzung mit einer traurigen Wahrheit und die Befreiung von dem Stigma, das die Nazis der Familie aufgedrückt haben.

    Geboren wurde sie 1931 als Amalie Lossa in Augsburg. Sie war das zweite von vier Kindern. Ihre Eltern gehörten zu der Volksgruppe der Jenischen, einem fahrenden Volk, das seit Jahrhunderten in ganz Europa lebt. Unter dem Hitler-Regime wurde die Familie Lossa ebenso wie viele Jenischen diffamiert und verfolgt. Die Nazi-Behörden bezeichneten die Lossas als "asozial" und als "Zigeuner". 1933 nahm die Augsburger Jugendfürsorge die vier Lossa-Kinder den Eltern weg und brachte sie in Heimen unter. Kurz darauf starb die Mutter, der Vater wurde zunächst im KZ Dachau interniert, später im KZ Flossenbürg, wo er 1942 ums Leben kam.

    Mit neun Jahren sieht Amalie ihren Bruder Ernst Lossa zum letzten Mal

    Der jüngste Sohn der Lossas starb als Kleinkind. Die anderen drei Geschwister Ernst, Amalie und Anna lebten im katholischen Waisenhaus in Augsburg-Hochzoll. Bald wurde Ernst als schwer erziehbar eingestuft und 1940 aus dem Waisenhaus fortgebracht. Die damals neunjährige Amalie erinnerte sich zeitlebens an den traurigen Abschied. Danach sah sie ihren Bruder nie wieder – und erfuhr auch nicht, was mit ihm geschah. Ernst wurde zunächst in eine Erziehungsanstalt gebracht und später in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee im Allgäu. Dort wurde er mit 14 Jahren ermordet.

    Nach dem Krieg wurde über die Verbrechen geschwiegen. Sie waren in Politik und Gesellschaft kein Thema, auch in den Familien nicht. Amalie, die zusammen mit ihrer Schwester Anna den Krieg im Waisenhaus überlebte, heiratete in den 60er Jahren und führte ein bürgerliches Leben in Backnang. "Ich kann mich nicht erinnern, dass in der Verwandtschaft über Ernst oder meinen Vater gesprochen wurde. Es war, als ob nichts gewesen wäre", erzählte sie später.

    Erst in den 1980ern erfährt Amalie Speidel, was mit ihrem Bruder passiert ist

    In den 80er Jahren begann im Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren unter der Leitung des damaligen Direktors Dr. Michael von Cranach die Aufarbeitung der NS-Krankenmorde. Dabei stieß Cranach auch auf die Akte von Ernst Lossa. Eine erste tiefere Recherche der Geschichte ist Gernot Römer zu verdanken, der damals Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen war. Er besuchte Amalie Speidel und erzählte ihr die traurige Wahrheit. Ernst wurde 1944 mit einer Überdosis Beruhigungsmittel ermordet. Erst 40 Jahre nach dem Verbrechen hatte sie Gewissheit, was mit ihrem Bruder passiert war. Damit hätte die Aufarbeitung zu Ende sein können.

    Doch sie fing erst an: 2008 erschien der Tatsachenroman "Nebel im August" des Autors Robert Domes, der die Lebensgeschichte ihres Bruders erzählt. 2016 wurde das Buch verfilmt und kam in die Kinos. Damit wurde Ernst Lossa zur Symbolfigur der im Rahmen des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms ermordeten Kinder. An Schulen in ganz Deutschland wird die Geschichte von Ernst und seiner Familie gelesen und besprochen. In Augsburg und in Kaufbeuren sind Straßen nach ihm benannt. Stolpersteine liegen an der letzten Wohnadresse in Augsburg, Wertachstraße 1, und am Kloster Irsee.

    Bis zum Schluss behält die gebürtige Augsburgerin ihren Humor

    Amalie Speidel, die sich früher schämte, über die Demütigungen zu sprechen, trat nun bei Veranstaltungen auf und erzählte stolz von ihrer Familie. Sie bekannte sich zu ihrer jenischen Herkunft und fand klare Worte zu den Verbrechen: "Es war teuflisch, was man meinem Bruder und meinem Vater angetan hat." Sie befreite sich von dem entwürdigenden Stigma der Nazis. Immer unterschrieb sie ihre Briefe mit "Amalie Speidel, geborene Lossa".

    Bei all dem hat sie sich ihre gesellige, warmherzige und oft verschmitzte Art bewahrt, blieb bis zuletzt eine Frau, die gerne lachte und sang. Es ist ein kleines Wunder, wie sehr sie ihren Humor und Lebensmut behalten hat. Am 3. Juni starb Amalie Speidel, geborene Lossa, mit 91 Jahren in Winnenden.

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