Festgeklebt ist Leo Elgas noch nicht. Er sitzt am Montagmorgen mit oranger Warnweste auf einem Fußgängerüberweg am Münchner Karlsplatz. „Ziviler Ungehorsam ist häufig die letzte Möglichkeit, ein bestehendes Unrecht, wie die aktuelle Erstarrtheit der Klimapolitik, noch auszugleichen. In einer drei Grad wärmeren Welt werden Hunger und Wasserknappheiten zum Alltag gehören“, ruft der Aktivist. Seine Stimme wird leiser, als ein Polizist ihn hochnimmt und wegträgt.
Elgas und seine vier Mitstreiterinnen und Mitstreiter am Stachus gehören zur Klima-Protestgruppe „Letzte Generation“. Zuletzt war sie in die Schlagzeilen geraten – wegen beschmierter Parteizentralen, Kartoffelbrei-Attacken auf Kunstwerke oder die angebliche Behinderung eines Rettungseinsatzes. Auch am Karlsplatz führt die Aktion zu Diskussionen unter Passanten: Ein 70-jähriger Münchner sagt: „Was soll das denn bringen? Das kostet bloß Geld, der Steuerzahler muss diesen Mist zahlen.“ Eine 49 Jahre alte Frau hält die Protestform hingegen für gerechtfertigt: „Sie machen es aus schierer Verzweiflung. Ich kann das total nachvollziehen, fühle mich sogar schlecht, nicht da zu sitzen, weil ich der Meinung bin, wir müssten alle da sitzen“.
Deshalb können Aktivistinnen und Aktivisten bis zu 30 Tage in Gewahrsam kommen
Auf richterliche Anordnung waren in der vergangenen Woche zwölf Klima-Aktivisten nach einer praktisch identischen Aktion am Stachus für bis zu 30 Tage in Polizeigewahrsam geschickt worden. Nach dem bayerischen Polizeiaufgabengesetz können Bürger auf Grundlage einer richterlichen Entscheidung bis zu einen Monat lang festgehalten werden, um die Begehung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder eine Straftat zu verhindern. Dieser Zeitraum kann um maximal einen weiteren Monat verlängert werden. „Die Zielrichtung ist, weitere solche Aktionen zu verhindern“, erklärt Jakob Siebentritt vom Polizeipräsidium München.
In der Politik wird derweil darüber gestritten, ob die Strafen gegen derartige Aktionen von Klima-Aktivisten nicht viel härter ausfallen müssten. Nach Angaben von CDU-Generalsekretär Mario Czaja will die Unionsfraktion noch diese Woche einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen. Alexander Dobrindt (CSU) hatte zuvor von einer „Klima-RAF“ gesprochen und härtere Strafen gefordert.
Darauf angesprochen, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU): „Ich habe kein Verständnis, wenn Menschenleben gefährdet werden. Ich habe kein Verständnis, wenn Sachbeschädigung stattfindet.“ Der Staat müsse hier klare Kante zeigen. Er fuhr fort: „Deswegen müsste das am Ende auch Strafen geben, und zwar Strafen, die wirksam sind. Nicht leichte Geldstrafen, sondern auch mal tatsächlich beispielsweise ein Arrest oder eine entsprechende Haftstrafe, wenn es dann um besonders schwere Fälle geht.“
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich sagte in Bayern 2: „Aus meiner Sicht reichen die aktuellen Strafrahmen, also die Möglichkeiten der Gerichte, entweder eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe zu verhängen, aus.“ Sich für den Klimaschutz einzusetzen, sei ein wichtiges Ziel – Möglichkeiten gebe es genug, ohne die Gesetze zu verletzen. „Jeder, der demonstriert, muss wissen, er darf das – aber die Grenze ist das Strafrecht.“
Was treibt die Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation" an, solche Strafen zu riskieren?
Was treibt die Aktivistinnen und Aktivisten an, solche Strafen zu riskieren? „Ich werde mich auch von der Möglichkeit von 30 Tagen Gefängnis nicht einschüchtern lassen. Mein Leben und das Leben meiner ganzen Generation steht auf dem Spiel“, sagt die 18 Jahre alte Aktivistin Maria Braun. Sollte sie nun eingesperrt werden, müssten andere Menschen, die genauso wie sie denken, „meinen Platz auf der Straße einnehmen“, fordert die Abiturientin aus der Nähe von Stuttgart. Leo Elgas, 23-jähriger Mathematikstudent aus Heidelberg, findet: „Sachen wie Fridays vor Future waren wahnsinnig wichtig, um die Mehrheiten für Klimaschutz zu schaffen.“ Dafür seien sie auch dankbar. „Aber die große Veränderung blieb aus.“ Braun erklärt, solche weitgehend harmlosen Demonstrationen und Mehrheiten seien ignorierbarer von der Politik – anders als Aktionen wie von der „Letzten Generation“.
Warum nicht in die Politik gehen, die Dinge selbst anpacken und Konstruktives beitragen? Das sei eine gute Idee – aber dafür reiche die Zeit nicht, meint Braun: „Wir haben ein Zeitfenster von zwei bis drei Jahren, in denen wir noch handeln können. Bevor gewisse Kipppunkte, die den Klimawandel noch verstärken, ausgelöst werden.“ Deshalb müssten sie sehr dramatisch und provokant auftreten. „Es geht darum, eine konstruktive Spannung zu erzeugen“, sagt Elgas. Die sei für Veränderung nötig. „Festkleben tun wir uns grundsätzlich immer nur, wenn die Polizei kommt“, erklärt Braun. „Damit wir zuvorkommen, dass man abgerissen wird von Passanten oder Gewalt extra noch provoziert wird.“
Elgas meint, ihnen sei ganz wichtig, keine Gewalt anzuwenden. „Wir bleiben absolut gewaltfrei in unserem Handeln“, sagt Braun. Eine der Sprecherinnen der "Letzten Generation", Lilly Schubert, betont: Die „Letzte Generation“ fordere eine CO2-einsparende Klimapolitik. Sie wolle, dass die Politik ihre eigene Verfassung und den klaren Auftrag, die Lebensgrundlagen der Menschen zu schützen, endlich wahrnehme. Ihre konkreten Forderungen: ein Tempolimit von 100 auf Autobahnen und die Fortführung des Neun-Euro-Tickets als erste Maßnahmen.
Am Abend teilt Schubert mit, sowohl Maria Braun als auch Leo Elgas seien in Gewahrsam genommen worden und befänden sich bis 14. November in „Unterlassungshaft“.