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München: "Ich bin kein jüdischer Mitbürger": Charlotte Knobloch wird 90

München

"Ich bin kein jüdischer Mitbürger": Charlotte Knobloch wird 90

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    Wird 90 Jahre alt und kein bisschen leise: Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.
    Wird 90 Jahre alt und kein bisschen leise: Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Foto: Ulrich Wagner (Archivbild)

    Diese Frau ist in München gefühlt immer schon da und sie scheint sich auch nicht zu verändern: wache Augen, ein freundliches Lächeln, heller Verstand. Einzig der etwas wackeliger gewordene Gang deutet darauf hin, dass sie nicht mehr die Jüngste ist. Aber 90? Es ist, wie so vieles im bewegten Leben von Charlotte Knobloch, höchst erstaunlich.

    An diesem Samstag wird Charlotte Knobloch, seit Mitte der 80er Jahre Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München (IKG) und einige Jahre auch Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, ihren Geburtstag im Kreis ihrer Familie feiern. Am Sonntag wird dann aus einem Festakt in der Synagoge am Jakobsplatz quasi ein Staatsakt. An der Spitze der Gratulanten werden erwartet: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Ministerpräsident Markus Söder und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter.

    Charlotte Knobloch wird am Samstag 90 Jahre alt.
    Charlotte Knobloch wird am Samstag 90 Jahre alt. Foto: Frank Hörmann/Sven Simon, dpa

    Charlotte Knobloch hat viel zu erzählen und es ist auch schon viel über sie erzählt worden: Wie sie als Kind dem Holocaust entkam, weil eine ehemalige Hausangestellte ihres Onkels sie zu sich auf den elterlichen Hof nahm und sie als ihr uneheliches Kind ausgab. Wie ihr Vater, der Münchner Rechtsanwalt Fritz Neuland, als Zwangsarbeiter überlebte und sich nach dem Krieg für den Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde in der Stadt einsetzte.

    Mit ihrem Mann entschied sich Knobloch, in Deutschland zu bleiben

    Und wie es dazu kam, dass sie nach dem Krieg mit ihrem Mann Samuel Knobloch und den drei Kindern schließlich doch in München, der „Hauptstadt der Bewegung“ der Nationalsozialisten, blieb und nicht, wie sie jahrelang geplant hatte, in die USA auswanderte.

    Aber wie wurde daraus ein derart wirkungsvolles politisches Leben? Woher stammt die Energie, nahezu ein halbes Jahrhundert an exponierter Stelle in der Gesellschaft Gesicht zu zeigen und – allen Anfeindungen zum Trotz – präsent zu sein?

    Für Knobloch war ihr Anfang unspektakulär. Als die Kinder, die sie intensiv umsorgt hatte, erwachsen waren, begann sie sich um Juden in München zu kümmern. „Ich bin gerne mit Menschen zusammen, das ist für mich das Wichtigste“, sagt sie. Erst über dieses soziale Engagement kam sie zur Politik. Anfang der 80er Jahre standen Vorstandswahlen in der Israelitischen Kultusgemeinde an. „Ich habe nie gedacht, dass ich für den Vorstand infrage kommen könnte“, erinnert sie sich. Doch sie wurde gewählt. „Da war ich damals die Jüngste, heute bin ich die Älteste.“

    Die Israelitische Kultusgemeinde machte Knobloch zu ihrer Chefin

    Wenige Jahre später ging es dann um den Vorsitz. Knobloch wurde vorgeschlagen, wollte aber nicht. Sie habe, wie sie berichtet, darauf gehofft, dass die Rabbiner ein Veto gegen sie einlegen würden. Aber sie täuschte sich. „Ich hatte zu hundert Prozent damit gerechnet, dass sie sagen, die Zeit ist noch nicht gekommen. Doch sie haben sich für mich entschiedenen. Da war ich sehr überrascht.“

    Es war eine Lebensentscheidung. Knobloch wurde immer wieder in dem Amt bestätigt, bis heute. Und sie ist in der Münchner Stadtpolitik, in Bayern und in Deutschland zu einer festen Größe, einer Instanz geworden. Heute nennt sie sich eine „jüdisch deutsche Patriotin“. Ihre Entscheidung, nicht doch noch auszuwandern, begründet sie zum einen grundsätzlich: „Man muss den Menschen immer eine Chance geben, sich zu verändern.“ Zum anderen verweist sie auf die konkreten Erfahrungen in der Stadt, die ihre Heimat war und viel später wieder zu ihrer Heimat geworden ist: „Die Münchner haben sich das nach 1945 sehr zu Herzen genommen, was in ihrer Stadt passiert war.“

    Charlotte Knobloch hofft weiter auf Normalität

    Den größten sichtbaren Erfolg ihrer Arbeit hat sie jeden Tag im Büro vor Augen: die Synagoge und das jüdische Gemeindezentrum auf dem Jakobsplatz im Herzen der Landeshauptstadt. Doch sie räumt offen ein, dass ihr großer Traum ohne Unterstützung des früheren Oberbürgermeisters Christian Ude und den Zuspruch von Mitstreitern nie Realität geworden wäre. Heute ist der Jakobsplatz eine feste Station bei den Münchner Stadtrundfahrten für Touristen. „Es ist eine Freude zu hören, wenn der Busfahrer über Mikrofon zu seinen Passagieren sagt: Und das da hinten ist unsere Synagoge“, sagt Knobloch.

    Doch es gibt mehr als 75 Jahre nach dem nationalsozialistischen Völkermord immer noch eine Kehrseite. Ein geplanter Sprengstoffanschlag von Neonazis auf die Feier der Grundsteinlegung konnte 2003 gerade noch verhindert werden. Knobloch erlebt bis heute Schmähungen und Judenhass. Sowohl die Synagoge als auch sie selbst müssen von der Polizei geschützt werden. Der neue Antisemitismus belastet sie. „Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal darüber reden und mich beschimpfen lassen muss.“ Und auch so manch eine unbedachte Redeweise mancher Politiker stört sie: „Ich bin kein jüdischer Mitbürger. Ich bin Bürger.“

    Ein Wunsch, so sagt sie, wird noch lange Zeit offenbleiben: „Was ich nicht erreicht habe und was ich auch nicht erreichen werde, das ist Normalität. Vielleicht haben meine Enkel oder Urenkel das Glück, Normalität zu erleben.“

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