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München: Boomtown München: Wie eine Stadt Opfer ihres eigenen Erfolgs wird

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Boomtown München: Wie eine Stadt Opfer ihres eigenen Erfolgs wird

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    In München herrscht seit Jahren Götterdämmerung bei den Wohnungs- und Mietpreisen.
    In München herrscht seit Jahren Götterdämmerung bei den Wohnungs- und Mietpreisen. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Die Szene ist legendär, sagt viel über München aus und hat über die Jahrzehnte hinweg auf erschreckende Weise an Aktualität gewonnen. Da steht der von Mario Adorf verkörperte Klebstofffabrikant Heinrich Haffenloher im weißen Bademantel und zurückgegeltem Haar am Pool und droht dem Klatschreporter Baby Schimmerlos im rheinisch anschwellenden Korruptions-Singsang: „Ich mach dich nieder, Schimmerlos. Ich kauf dich einfach. Ich scheiß dich so was von zu mit meinem Geld, dass du keine ruhige Minute mehr hast! Ich bin dir einfach über. Gegen meine Kohle hast du keine Chance.“

    München ist eine Spielwiese der Immobilien-Spekulanten

    Der Mann aus der Provinz will in München endlich mal die Sau rauslassen und so den Weg in die Zeitung finden. Helmut Dietls Beobachtungs- und Adorfs Schauspielkunst erreichen einen Höhepunkt. Der Münchner Regisseur Dietl schält in der Serie „Kir Royal“ aus dem Jahr 1986 einen Typus Mensch heraus, der in der Landeshauptstadt künftig immer häufiger auftauchen sollte, nicht zuletzt als Immobilien-Spekulant. Dank renditebewusster Anleger aus aller Welt, die Wohnhaus um Wohnhaus kaufen und – um es mit Dietl zu sagen – die Stadt mit ihrem Geld „zuscheißen“, haben längst auch Münchner aus der Mittelschicht, darunter immer mehr Rentner, keine ruhige Minute mehr.

    Dabei drängen die Investoren nicht wie Haffenloher in die Öffentlichkeit, im Gegenteil, wer über die Rendite-Maximierungspraktiken der Spekulanten schreibt, kann leicht Kontakt mit deren Anwälten bekommen. Um aber zu verstehen, in welch dramatischem Tempo sich München in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, ja sich weiter zum Nachteil vieler Bewohner entwickeln wird, ist es lehrreich, die Methoden zu studieren, wie die Immobilien-Haffenlohers arbeiten.

    Um die betroffene Dame in unserem Fall zu schützen, ihr weiteres Ungemach seitens der juristisch angriffslustigen Immobilien-Wirtschaft zu ersparen, nennen wir die gebürtige Münchnerin Martha Gschwandtner. Eigentlich will die 70-Jährige nicht mehr erinnert werden an die „schrecklichen Jahre“, als ihr und anderen Bewohnern eines schönen Altbaus im früheren Arbeiter- und immer trendigeren Stadtviertel Giesing so ein Haffenloher mit seinem Trupp auf den Leib gerückt ist, derart, dass sie ihre Heimatstadt genervt Richtung Niederbayern verließ. Dort sind Drei-Zimmer-Wohnungen noch von 360 bis zu 550 Euro Kaltmiete zu haben.

    Rentner und Geringverdiener werden aus der Stadt verdrängt

    Frau Gschwandtner, die früher als Sozialpädagogin gearbeitet hat, wohnte von 1973 bis 2016 in Giesing, ein halbes Leben lang. Das Sprichwort, alte Bäume verpflanze man nicht, mag für humane Mietpreis-Regionen wie Niederbayern oder Ostfriesland gelten. In München büßt der Grundsatz schon lange an Gültigkeit ein, gerade für Menschen, die keine Immobilie besitzen und auf die Gnade eines Vermieters angewiesen sind. Martha Gschwandtner gehört zu der Gruppe. Sie lebt allein und muss mit rund 1300 Euro Rente auskommen. Auf dem Münchner Mietmarkt geht ein Mensch mit einem solchen ordentlichen Einkommen, das im Alter eigentlich reichen sollte, jedoch unter.

    Eine Wohnung, wie sie Frau Gschwandtner einst gemietet und geliebt hatte, kostet heute in Giesing 1500 Euro kalt. Wer ein solch gut 70 Quadratmeter großes 2,5-Zimmer-Objekt ergattert, ist auch noch stolz darauf. „Wie habt ihr das geschafft, die hohen Räume und das schöne, alte Eichenparkett? Erzählt!“, fragen Freunde neidisch.

    Martha Gschwandtner war jedenfalls lange eine privilegierte Münchnerin. Mit einem Alt-Mietvertrag hat sie einst nur rund 520 Euro kalt für ein ähnliches Wohnidyll aufbringen müssen. Dafür war die Wohnung unrenoviert und hatte eine Gas-Etagenheizung. Wäre die Dame nicht weggezogen, hätte sie mit einer ernüchternden Ein-Zimmer-Wohnung in Giesing vorliebnehmen müssen. Da können Suchende froh sein, wenn sie elf Quadratmeter für unglaubliche, aber auf traurige Weise wahre 550 Euro kalt ergattern. Derlei Objekte – Spötter sagen Wohnklos – stammen dann oft aus den 60er Jahren. Vielleicht wäre die Münchnerin hier auch gar nicht zum Zuge gekommen. Die Konkurrenz aus in die Stadt drängenden jungen und gut verdienenden Unternehmensberatern oder Computerspezialisten ist immens.

    Wenn es dumm gelaufen wäre, hätte sich Frau Gschwandtner mit einem 15-Quadratmeter-Zimmer in Untergiesing für 750 Euro kalt anfreunden müssen. Immerhin handelt es sich bei dem Angebot nur um eine Zweier-WG. Doch so ist das halt mit einem alten Baum. Hat er allein gelebt, will er das weiter tun. München ist nichts mehr für alte Bäume. Frau Gschwandtner wohnt jetzt jedenfalls für 500 Euro warm in Niederbayern. Ihr neues Domizil ist sogar etwas größer als das alte in Giesing. „Aber nicht so schön“, sagt sie dann doch. Selbst durchs Telefon ist ihre Wehmut zu spüren.

    Gentrifizierung verläuft nur selten ohne Schaden

    Im alten Münchner Haus der aus Giesing geflohenen Frau sind nach der Renovierung fast alle alten Bewohner ausgezogen. Frau Gschwandtner hat immerhin noch eine Abfindung von „einem guten Stück mehr als 10000 Euro bekommen“. Die genaue Summe will sie nicht nennen. Ihr rascher Auszug war dem neuen Eigentümer auf alle Fälle einiges wert. „Heute leben andere Menschen im Haus, Anwälte und so Computertypen“, sagt sie.

    Wenn die Alten aus den Altbauten vertrieben sind, verschwinden Namen wie Martha und Joseph von den Namensschildern. Dort wohnen jetzt die Ingos und Clarissas, die es auch nicht einfach haben im Leben. Wohin mit dem weißen Porsche Cayenne, wenn alles vollgeparkt ist? Münchens Job-Maschinen, wuchernde Unternehmensberatungen und Computerfirmen spülen gut ausgebildete Menschen in die Stadt. Sie müssen viel arbeiten, oft zehn, elf Stunden am Tag. Da lassen sich die teuren Wohnungen vor allem schlafend genießen.

    Was immerhin schön ist, Martha Gschwandtner fühlt sich wohl in Niederbayern. Sie hat dort Freunde. Da gibt es noch Herthas und Josephs. An den Mann und seinen Helfern, denen sie ihre München-Flucht zu verdanken hat, denkt sie ungern zurück. „Dauernd haben sie geläutet und wollten was von mir. Die sind mir auf die Pelle gerückt“, erinnert sich die Frau. Ihre Stimme ächzt jetzt. Sie habe dann Angst bekommen und sei nicht mehr ans Telefon gegangen. Ja, und die vielen Wohnungsbegehungen, klagt die Dame. Zum Glück habe ihr der Mieterverein zur Seite gestanden.

    Einmal konnte die Mieterin nicht mehr auf den Dachboden, obwohl sie dort Dinge gelagert hatte. Das Schloss wurde vom neuen Eigentümer ausgetauscht. „Die wollten das Dach ausbauen.“ Am Ende setzte sich Martha Gschwandtner durch. Sie konnte wieder auf den Speicher.

    Immobilienspekulanten sind mit allen Wassern gewaschen

    Eine Altbau-Veredelung folgt einem Muster: Erst kommt das Schreiben vom neuen Eigentümer. Es werden Modernisierungen und happige Mietpreiserhöhungen avisiert. Dann steht schnell ein Baugerüst. Es wird laut und schmutzig. Mal geht das Wasser nicht. Oft stehen Arbeiter in der Wohnung. Die Miet-Haffenlohers gehen psychologisch vor. Als ihre Trumpfkarte gilt die Abfindung. Was auch beliebt ist, sind Wohngemeinschaften auf Zeit. In Häuser, in denen überwiegend ältere Leute leben, ziehen vier junge Studenten in eine Wohnung. Wenn sie wilde Partys feiern, ist das im Sinne des neuen Hauseigentümers.

    Lärm hebt schließlich die Ausziehlaune der Marthas und Josephs. Die Studenten spielen unbewusst ihren Teil im Münchner Gentrifizierungsspiel, bis die Ingos und Clarissas ihre seit Studientagen herbeigesehnte Altbauwohnung in der Traumstadt München ergattern. Sie trifft keine Schuld an dem Prozess.

    Am Ende ist es der Umstand, dass München, was Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität betrifft, in Deutschland, wie das Handelsblatt hymnisch textet, „eine Liga für sich ist, sich mit San Francisco misst“. Die Region München (und dazu wird auch immer mehr der Großraum Augsburg gehören) wird zum Kalifornien, einer Art Silicon Valley Deutschlands. Nicht umsonst lieben US-Firmen wie Microsoft, Google, Amazon, General Electric oder IBM die Landeshauptstadt.

    Mitarbeiter der Giganten sind bereit, beim neuesten Münchner Miet-Irrsinn mitzuspielen. Denn immer mehr Wohnungen werden möbliert zu aberwitzigen Preisen offeriert. Mit dem legalen Trick umgehen Eigentümer die Mietpreisbremse, deren Umsetzung nach dem Urteil eines Münchner Amtsgerichts jetzt nachgebessert werden muss. Ob das gelingt, ist fraglich.

    Bisher greift die Bremse in München jedenfalls kaum. Das Instrument gilt als gescheitert. Dabei sollten doch bei neuen Verträgen die Mieten höchstens um zehn Prozent über der der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Doch dank dem Möblierungs-Trick sieht die Realität anders aus, wie die erstaunlichen Angebote einer Firma in München offenbaren. Wenn Bewohner der Stadt sich über Miet-Exzesse unterhalten, werden gerne solche Fälle durchdiskutiert, etwa das Beispiel der „hochwertig eingerichteten“ Souterrain-Wohnung in München Obersendling, einem Teil Sendlings, der gerade von den Immo-Haffenlohers „entwickelt“ wird. Früher zog kaum einer freiwillig dorthin, nun sollen verzweifelt Wohnungssuchende mit „Premiumwohnen im Sternenhimmel“ und „Bergsicht im zwölften Stock“ an den Rand Münchens gelockt werden. Auch im Obersendlinger Souterrain – einer etwas höher gelegenen Kellerbleibe, geht es reichlich absurd zu.

    Nicht nur, dass der Anbieter auf einer Internetseite sprachlich falsch von einer „Soutarrainwohnung“ schreibt, er fordert für den Einzimmerkeller auch noch 1150 Euro kalt für 36 möblierte Quadratmeter. Ein Videofilmchen auf der Internetseite zeigt, dass der künftige Mieter des Wohn-, Koch-, Schlafzimmers durch ein vergittertes Fenster auf eine Mauer schaut. Für freiheitsliebende Menschen gibt es immerhin ein „Special“. Sie dürfen den Garten mitbenutzen.

    Futter für Kabarettisten, Ebbe bei den Maklern

    Wenn in München selbst aufgehübschte Keller vermietet werden, müssen das doch paradiesische Zeiten für Makler sein? Anke Dietz, bekannt aus der Vox-Fernsehsendung „Mieten, Kaufen, Wohnen“, vermietet schon eine Weile keine Wohnungen mehr: „Letztes Jahr waren es nur noch fünf, früher aber 120 im Jahr.“ Die Maklerin verkauft nur noch Immobilien. Seit das Bestellerprinzip eingeführt wurde, also in der Folge meist der Vermieter und nicht mehr wie früher der Mieter die Provision an den Makler zahlt, herrscht bei vielen Maklern Miet-Ebbe. Aus Sicht manch Münchner Vermieter, die sich für einen Wohnungskauf hoch verschuldet haben, ist das verständlich. Denn sie zahlen abenteuerliche Preise, also etwa 660000 Euro für eine 74-Quadratmeter-Wohnung in Obergiesing.

    Da heißt es an allem sparen, auch an der Maklergebühr. Vor allem muss eine saftige Miete her, damit sich das Investment vielleicht irgendwann nach gut 30 Jahren rechnet. Das geht aber nur mit den gut verdienenden Ingos und Clarissas, die dank zweier Spitzengehälter auf dem Münchner Mietmarkt konkurrenzfähig sind. Wehe aber, wenn sich Ingo und Clarissa trennen!

    Alleine wird die Wohnungssuche selbst für Besserverdiener schwer. Bei alledem müssen die Ingos und Clarissas auch noch den Spott des aus Regensburg stammenden Münchner Kabarettisten Harry G ertragen, der sie als „Isarpreißn“ schmäht: „Da wohnans in einer Legebatterie in Schwabing oder Bogenhausen und hakeln de ganze Woch. Und dann am Samstag um elfe, wenn’s endlich g’spannt hab’n, dass Wetter schee ist, fallt eana ei, sie könnten an Tegernsee fahr’n.“

    Der in München unübersehbare Rudel-Ausflugdrang hat für den Satiriker fatale verkehrspolitische Konsequenzen: Denn dann stünden sie mit ihren geleasten Porsche-Cabriolets von Holzkirchen bis Rottach im Stau. Und das mit den anderen Isarpreißn. Nach dem Bergausflug geht es, wie nicht nur Harry G beobachtet, ins Bräustüberl, auf einen „Obatzda“ und eine „Halbe“. Dann rufe mancher Isarpreiß euphorisch aus: „Da is ja so urig hier!“

    Die Preis- und Bevölkerungsentwicklung wird sich nicht aufhalten lassen

    Wenn sich ähnliche Szenen in Münchner Lokalen der 70er Jahre zugetragen haben, konnte es schon mal sein, dass sich ein Münchner mit Lederhose und Trachtenhut erhob und zum Neubürger, der den Krustenbraten ach so lecker fand, sagte: „Hoits Mei, Saupreiß, greislicher!“ Dann grinste der Münchner und die Zugezogenen sprachen leiser.

    Harry G, der Markus Stoll heißt, lässt den Münchner Grant auferstehen. Er rächt die Marthas der Stadt, die Reißaus vor dem Wahnsinn nehmen. In seiner Nummer „Gentrifizierung“ lässt der 38-Jährige nichts aus: „Da bauens dann einen Luxusbunker nach dem anderen oder sogenannte Wohnquartiere. Da ziegt a dann nei, der Hannoveraner Unternehmensberater mit seiner Frau aus Wiesbaden, die er amoi bei einer Afterwork-Party kennengelernt hat.“

    Satiriker verändern nicht die Welt. Sie machen eine Stadt wie München, die Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden ist, aber etwas erträglicher. Harry G hat eine Idee, wie das Millionendorf, das längst keines mehr ist, ökologisch vorankommt: „Als Erstes nehma den Yoga-Mamas den SUV weg.“ Dann müssten sie mit dem Rad zum Bio-Metzger fahren.“ Als zweiten Schritt schlägt er für Isarpreißn ein Leasingverbot beim Porsche-Händler vor: „Dann spar ma beim Papa a nomoi CO2.“ Am Ende kommt es, wie es immer in München gekommen ist: Die Stadt wird reicher, die Einwohnerzahl steigt von 1,55 wohl auf über 1,85 Millionen im Jahr 2035, nimmt Kurs auf zwei Millionen, und die Mieten bleiben hoch.

    Harry Gs Träume werden nicht wahr. Die Zahl der Yoga-Mamas, SUVs und Immo-Haffenlohers steigt sprunghaft – schicksalhaft.

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