Die Stimme des älteren Mannes am Telefon ist brüchig, er atmet schwer. „Oh, oh, scheiße“, stammelt er und findet kaum einen Anfang. Was er dann am Abend des 28. Juli 2023 am Notruf der Polizei sagt, lässt halbwegs erahnen, was er gerade durchmacht. „Meine Frau ist erschossen worden, durch die Tür“, schildert er aufgelöst. „Schicken sie jemanden, schnell, schnell…“, ruft er. „Sie stirbt mir unter der Hand weg“.
Dreifachmord von Langweid: Prozess ist gestartet
Der Start in den zweiten Tag des Prozesses gegen den mutmaßlichen Dreifachmörder von Langweid ist an Dramatik nicht zu überbieten. Der Notruf, der im großen Schwurgerichtsaal des Landgerichts Augsburg laut abgespielt wird, lässt die Zuhörer live miterleben, wie Horst N.s Ehefrau nach dem Schuss durch die Wohnungstür in den Kopf stirbt. Verzweifelt versucht der Mann unter Anleitung der Notrufbeamtin, seine 72 Jahre alte Frau wiederzubeleben.
Doch er hat keine Chance. „Ich sehe ja nicht einmal, wo der Einschuss ist“, berichtet N. und „sie röchelt noch“. Und immer wieder: „Bitte schnell, schnell.“ Auch die Frau des mutmaßlichen Dreifachmörders ist zu hören, sie versucht, dem Nachbarn zu helfen. Wie sie in die Wohnung gekommen ist, bleibt unklar. Wahrscheinlich wurde sie durch die Schüsse im Treppenhaus darauf aufmerksam, dass etwas Schreckliches im Haus passiert sein muss.
Die Zuhörer im Prozess sind geschockt, manche schlagen die Hände vors Gesicht und beginnen zu weinen. Der Notruf dauert fast 20 Minuten. Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Höchstwahrscheinlich waren Polizei und Rettungskräfte schon früher da, doch sie konnten nicht einfach ins Haus gehen – der bewaffnete Täter war ja noch unterwegs. Wie muss sich der Mann der sterbenden Frau gefühlt haben, während er panisch auf Hilfe wartet?
Der Angeklagte Gerhard B.schüttelt immer wieder den Kopf und verfolgt die Aufzeichnung sichtlich emotional berührt. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Michael Eberle, ob er die Stimme seiner Frau erkenne, bricht B. in Tränen aus und antwortet mit „ja“.
„Traudl, Traudl“, versucht Horst N. seine Frau anzusprechen, während der Notruf läuft. Doch die reagiert nicht mehr. „Ich glaub, meine Frau ist tot“, sagt er dann. Gerhard B. hat die Nachbarin mit einem Schuss durch die Wohnungstür getötet.
„Der ist eine tickende Zeitbombe, ich hab‘s immer wieder gesagt“
Wenige Sekunden zuvor hatte der Sportschütze bereits das Ehepaar Wolfgang und Claudia H. im Treppenhaus des Mehrfamilienhauses in Langweid mit Kopfschüssen aus nächster Nähe getötet. Danach fuhr er zum Sohn des Ehepaars N. Auch dort spielten sich dramatische Szenen ab. Der 44-Jährige konnte gerade noch seine Wohnungstür schließen, bevor B. losfeuerte. Viermal schoss er durch die Tür und verletzte den Mann und seine Freundin beide schwer am Arm. Während der gesamten Tat trug der Sportschütze B. professionelle Ohrenschützer, wie sie Schützen beim Ausüben ihres Sports aufsetzen.
„Der ist eine tickende Zeitbombe, ich hab‘s immer wieder gesagt“, klagt der Mann der sterbenden Frau am Notruf. Die Ehefrau von Gerhard B. ist wieder zu hören, sie wimmert und weint. N. herrscht sie an: „Was macht ihr Mann bloß für einen Scheiß?“, fragt er verzweifelt. Die Aufnahme ist kaum zu ertragen.
Doch dass sich der Dreifachmord von Langweid Ende Juli vergangenen Jahres genau so abgespielt hat, daran gibt es keinen Zweifel. Ebensowenig ist strittig, dass der angeklagte Sportschütze Gerhard B. der Täter ist. Zu eindeutig sind die Ermittlungsergebnisse der Augsburger Kripo.
Gerhard B. macht eine lange Gedächtnislücke geltend
Doch B. will sich an nichts erinnern. Sein Verteidiger Walter Rubach gibt am Mittwochvormittag eine nüchterne Erklärung ab. Gerhard B. habe bis auf einige wenige Einzelheiten keinerlei exakte Erinnerung an den Ablauf der Ereignisse am 28. Juli 2023, nachdem er nach 19 Uhr vor der Garageneinfahrt auf seinen Nachbarn Wolfgang H. getroffen sei, sagt Rubach. Er könne deshalb zur Aufklärung des Sachverhalts nichts Wesentliches beitragen. Er bedauere zutiefst, was geschehen sei und könne sich sein Handeln nur als Folge einer vollständigen psychischen Entgleisung vorstellen. Weitere Angaben, auch zu seinen persönlichen Verhältnissen, werde der Angeklagte derzeit nicht machen. Das ist alles.
Mit anderen Worten heißt das, Gerhard B. wird trotz erdrückender Beweise kein Geständnis ablegen und macht eine lange Gedächtnislücke geltend. Das Ziel ist klar: Mit dem Hinweis auf einen psychischen Ausnahmezustand hofft B., dass er möglicherweise als schuldunfähig eingestuft wird.
Die Nebenklage-Anwältinnen Isabel Kratzer-Ceylan und Daniela Rose sind empört über das Verhalten des Angeklagten. Sie nennen es „absurd und nicht nachvollziehbar“, dass B. sich auf einen Filmriss und eine Affekttat herausreden will. „Das passt nicht zum Tatablauf und zu den Ermittlungsergebnissen“, sagt Rose. Kratzer-Ceylan kritisiert scharf, dass B. schweigt und damit für die Hinterbliebenen die Aufarbeitung dieses grausamen Verbrechens noch schwieriger mache.
Mordprozess von Langweid: Erste Zeugenaussagen am Mittwoch
Am Mittwochnachmittag sagen die ersten Zeugen in dem spektakulären Mordprozess aus. Polizeibeamte berichten von der unübersichtlichen Lage am Tatort, der spektakulären Flucht B.s mit seinem Auto und der Festnahme auf einem Firmenparkplatz. Weniger als 45 Minuten nach den tödlichen Schüssen ist der Täter gefasst. Ein Beamte schildert, wie er sich nach dem ersten Alarm sofort in Zivil auf den Weg machte und zunächst völlig allein in dem Haus in der Langweider Schubertstraße war.
Der Prozess wird am 22. April mit weiteren Aussagen von Polizistinnen und Polizisten fortgesetzt. Insgesamt sind 15 Verhandlungstage geplant. Ein Urteil könnte am 25. Juli gesprochen werden.
Anmerkung der Redaktion: Der Angeklagte legt keinen Wert darauf, auf Foto- und Videomaterial unkenntlich gemacht zu werden. Daher zeigen wir Gerhard B. in unserer Berichterstattung unverpixelt.