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Missbrauch: "Halbherziges Einlenken": Reaktionen auf Anlaufstelle für Missbrauchsopfer

Missbrauch

"Halbherziges Einlenken": Reaktionen auf Anlaufstelle für Missbrauchsopfer

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    Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) kündigte an, dass eine "neue Anlauf- und Lotsenstelle für alle Opfer von Missbrauch und Gewalt" kommen werde.
    Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) kündigte an, dass eine "neue Anlauf- und Lotsenstelle für alle Opfer von Missbrauch und Gewalt" kommen werde. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Richard Kick und andere Betroffene haben lange für eine unabhängige staatliche Anlaufstelle für Missbrauchsopfer aus allen gesellschaftlichen Bereichen gekämpft. Weil sie dem Staat mehr trauen als den Institutionen, in ihrem Fall der katholischen Kirche. Teils frustriert, teils wütend reagierten sie daher auf Äußerungen von Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU). Die sperrte sich gegen eine neue Anlaufstelle, wie sie auch von der Opposition oder den Autoren der Missbrauchsstudie für das Erzbistum München und Freising gefordert worden war: Es gebe ja bereits 35 Fachberatungsstellen, eine weitere sei nicht zielführend.

    Bislang ist offen, wie die neue Anlaufstelle für Betroffene von Missbrauch konkret ausgestaltet werden soll

    Am Dienstagabend dann die überraschende Kehrtwende, verkündet via Pressemitteilung. Scharf plant nun doch eine "neue Anlauf- und Lotsenstelle für alle Opfer von Missbrauch und Gewalt". Kick erfährt von unserer Redaktion davon und beruft umgehend eine Videokonferenz mit fast allen weiteren Sprecherinnen und Sprechern der sieben unabhängigen Betroffenenbeiräte der bayerischen katholischen Bistümer ein. "Ich freue mich ungemein. Das ist ein wichtiger Schritt", sagt der Sprecher des Münchner Betroffenenbeirats am späten Abend. Am Mittwoch bekräftigt er, dass man bei der Ausgestaltung der Stelle mithelfen und die eigene Expertise einbringen wolle. Dies wolle man möglichst bald mit der Ministerin besprechen.

    Betroffene und Oppositionspolitiker hatten Scharf mehrfach kritisiert. Auf eine Anfrage von Gabriele Triebel, religionspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen aus Kaufering, musste das Sozialministerium ihre Kritikpunkte bestätigen: Die Fachberatungsstellen "stehen grundsätzlich allen betroffenen Frauen zur Verfügung, richten sich jedoch nicht explizit an erwachsene Betroffene sexualisierter Gewalt im kirchlichen Kontext und auch nicht an deren Angehörige. Juristische Beratung wird in der Regel nicht angeboten", erklärte das Ministerium.

    Wie lässt sich die Kehrtwende der CSU-Ministerin Ulrike Scharf erklären?

    Wie die neue "Lotsenstelle" konkret ausgestaltet werden soll, ist offen. Der Mitteilung von Scharf zufolge soll sie beim Zentrum Bayern Familie und Soziales, einer Landesbehörde, angesiedelt werden, "um die bestehenden Hilfsangebote zielgerichtet zu vermitteln". Ein Ministeriumssprecher sagt: "Die genauen Details zur Anlauf- und Lotsenstelle werden gerade erarbeitet." Auf die Frage, was die Kehrtwende der Ministerin bewirkt habe, geht er nicht ein. Gemutmaßt wird, dass das Thema vor der Landtagswahl im Oktober abgeräumt werden sollte. Zudem hatte es innerhalb der Staatsregierung und innerhalb der CSU unterschiedliche Ansichten gegeben. Erst Anfang März sagte Scharf, ihr Parteifreund, Justizminister Georg Eisenreich, vertrete eine Einzelmeinung im Kabinett. Er hatte Sympathie für eine unabhängige staatliche Anlaufstelle bekundet und auf die Zuständigkeit des Sozialministeriums verwiesen.

    An diesem Donnerstag jedenfalls findet auf Initiative der Landtags-Grünen eine Anhörung von Sachverständigen im Verfassungsausschuss statt. Ziel sei es, so Triebel, Rolle und Gestaltungsmöglichkeiten des Freistaates bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt im kirchlichen Kontext zu beleuchten. Eingeladen sind hochkarätige Gäste aus Kirchen, Generalstaatsanwaltschaft und Wissenschaft, darunter der Kölner Staatsrechtler Stephan Rixen. Die Anhörung setzten Grüne, SPD und FDP per Minderheitsvotum durch. Triebel betont, die Lotsenstelle dürfe keine "Alibiveranstaltung" sein. Sie müsse mit ausreichend Fachleuten – Psychologen, Psychotherapeuten, Juristen, Sozialpädagogen – ausgestattet werden. "Scharf muss bald ein Konzept vorlegen", fordert Triebel.

    Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx. Seine Pressestelle erklärte, man begrüße die Überlegungen der Staatsregierung.
    Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx. Seine Pressestelle erklärte, man begrüße die Überlegungen der Staatsregierung. Foto: Robert Michael, dpa (Archivbild)

    Richard Kick sagt: "Ich erwarte jetzt auch von Kardinal Marx eine Erklärung." Der Münchner Erzbischof hatte beteuert, nichts gegen eine unabhängige Anlaufstelle für Betroffene aus allen gesellschaftlichen Bereichen und ein verstärktes staatliches Engagement zu haben, im Gegenteil. Zur neuen Lotsenstelle und zur parteiübergreifenden Forderung vonseiten der Politik, die Kirche solle sich an deren Finanzierung beteiligen, will er sich am Mittwoch auf Anfrage nicht äußern. Seine Pressestelle erklärt, die Erzdiözese München und Freising begrüße die Überlegungen der Staatsregierung zur Einrichtung einer unabhängigen staatlichen Stelle.

    Neben Erleichterung über die geplante Einrichtung der Stelle gibt es auch bereits Kritik

    Kritik übt dagegen Matthias Fischbach, religionspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag. "Scharfs halbherziges Einlenken kurz vor der Anhörung zum kirchlichen Missbrauch im Landtag kommt spät – zu spät", sagt er. Es sei wertvolle Zeit verstrichen und viel Vertrauen verspielt worden. Und: Die Lotsenstelle sei nicht unabhängig, weil sie bei der Behörde angesiedelt werden solle, die auch die Anträge auf Opferentschädigung bearbeite. "Davon können wir nur entschieden abraten."

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