Die Datenlage ist alarmierend: Die Zahl der Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren in Bayern, die wegen Angststörungen und anderer psychischer Erkrankungen in einer Klinik behandelt werden müssen, erreicht einen neuen Höchstwert. Das geht aus einer Studie der Krankenkasse DAK hervor. Sie zeigt auf, dass im Jahr 2022 39 Prozent mehr jugendliche Mädchen aufgrund einer Angststörung stationär behandelt werden mussten als noch 2019. Bei weiteren psychischen Störungen sieht es ähnlich aus. Die stationären Aufenthalte stiegen bei Depressionen um 37 Prozent und bei Essstörungen um 49 Prozent.
Dass diese Entwicklung auch in Schwaben auftritt, bestätigt Tomasz Antoni Jarczok, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie der KJF Klinik Josefinum Augsburg. "Die aktuelle deutliche Zunahme von Depression und Angststörungen konnten wir über die letzten Jahre auch an unserer Klinik beobachten", sagt er. Jugendliche kämen zuletzt vor allem wegen depressiver Episoden in die Klinik. Laut Jarczok steht die Zunahme auch im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, da diese in verschiedenen Lebensbereichen der Jugendlichen Stress verursacht hat. Zunächst hatten etwa viele die Angst, sich oder andere anzustecken. Als die Schulen geschlossen wurden, brachen für viele der Alltag und das Sozialleben weg. Monatelang konnten die Kinder und Jugendlichen nur noch im Internet mit Gleichaltrigen kommunizieren. In dieser Zeit hatten viele Probleme mit ihrer Familie, häusliche und sexuelle Gewalt gegen Heranwachsende nahmen während der Pandemie zu.
Mädchen sind anfälliger für Angststörungen und Depressionen als Jungen
Warum die Zahl vor allem bei Mädchen so stark steigt, kann sich Jarczok nicht genau erklären. Grundsätzlich seien Mädchen anfälliger für stressassoziierte Störungen wie etwa Angststörungen oder Depressionen. Jugendliche Mädchen erkranken etwa doppelt so häufig an Depressionen wie gleichaltrige Jungen. Woran das liegt, sei bisher noch nicht geklärt, sagt Jarczok. Es gibt aber verschiedene Dinge, die einen Einfluss darauf haben können, ob eine Person an einer Depression oder Angststörung erkrankt. Zum einen gibt es genetische Einflüsse, zum anderen spielen auch Dinge wie das soziale Umfeld, die Wohnsituation oder der tägliche Konsum sozialer Medien – in der Fachsprache Umwelteinflüsse genannt – eine Rolle. "Es ist davon auszugehen, dass ein komplexes Wechselspiel biologischer und psychischer Faktoren zur Entstehung vieler psychischer Störungen, so auch von Depressionen, führt", sagt der Chefarzt.
Doch nicht nur in den Kliniken häufen sich die Anfragen von Mädchen in psychischen Ausnahmesituationen. Die Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene der Diakonie Augsburg spürt ebenfalls einen Zuwachs, genaue Zahlen hat sie noch nicht. Bereichsleiter Denis Zanda ist überzeugt, dass die Pandemie bei den Heranwachsenden tiefe Spuren hinterlassen habe. "Die Pandemie hat auf jeden Fall Schaden und Veränderung verursacht. Das hat jetzt Folgen", sagt er. Die Kinder und Jugendlichen hätten sich während der Pandemie nicht wie gewöhnlich entwickeln können, da vor allem ihr Sozialleben unter den Ausgangsbeschränkungen gelitten habe. Die Heranwachsenden verbrachten und verbringen sehr viel Zeit im Internet und in sozialen Netzwerken, die zum einen Mobbing erleichtern und zum anderen unrealistische Körperbilder vermitteln. Besonders letzteres ist seiner Erfahrung nach für viele Mädchen ein Anlass, ihr Gewicht zu reduzieren, was letztendlich auch in einer Magersucht enden kann.
Die Beratungsstelle der Diakonie Augsburg bietet niederschwellige Hilfe an
Seelsorge-Angebote und Beratungsstellen sind häufig die erste Anlaufstelle auf der Suche nach psychologischer Betreuung. Doch bei schweren Fällen, die eine intensive Betreuung benötigen, ist laut Jarczok ein Klinikaufenthalt sinnvoll. Oder auch wenn ambulante Behandlungsversuche keinen Erfolg hatten. Notwendig wird ein Klinikaufenthalt, wenn eine Gefährdung besteht, wie etwa Suizidgedanken bei schwerwiegenden Depressionen oder kritisches Untergewicht bei einer Anorexie.
Um möglichst zu verhindern, dass die psychischen Erkrankungen so schlimm werden, macht die Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene der Diakonie Augsburg verschiedene Angebote. Zanda und sein Team wollen es den Kindern und Jugendlichen so leicht wie möglich machen, sich über Hilfsangebote informieren zu können. Ihr Ziel ist es, die Heranwachsenden frühzeitig abzufangen, um somit früher in die Beratung zu gehen. So bietet die Diakonie ihre Hilfe direkt in den Schulen an, um die bestehende psychologische Betreuung in den Schulen zu unterstützen. Das Online-Beratungsangebot werde von den Kindern und Jugendlichen gut angenommen. So soll es den Jungen und Mädchen möglichst leicht fallen, Beratung zu suchen. Zanda berichtet, dass sich mehr Mädchen als Jungs bei Ihnen meldeten. Es sei ein Phänomen der Psychotherapie, dass grundsätzlich mehr Frauen als Männer Hilfe aufsuchen.
Wie können Eltern psychische Störungen bei ihren Kindern erkennen?
Zwar sind die Eltern nicht immer die ersten Ansprechpartner, wenn Kinder psychische Störungen entwickeln. Doch es gibt Anzeichen, auf die Eltern achten können. Dazu hat Jarczok Ratschläge: Eltern sollten das Verhalten ihrer Kinder im Blick behalten. Es sei wichtig, ein vertrauensvolles Verhältnis zu pflegen und mit den Heranwachsenden zu sprechen, wenn sie beunruhigende Veränderungen im Verhalten des Kindes bemerken. Die Eltern sollen dabei den Kindern keine Vorwürfe machen und möglichst verständnisvoll damit umgehen. "Wenn die Kinder in der Bewältigung des Alltags Schwierigkeiten haben, beispielsweise weil sie sich stark zurückziehen oder der Schulbesuch Schwierigkeiten bereitet, kann das auf eine relevante psychische Störung hinweisen. Dann sollte man professionelle Hilfe suchen", erklärt Jarczok.