Die Nachricht klingt zunächst gut: Deutlich weniger Menschen als im Jahr 2021 warten derzeit in Bayern auf eine Organspende. Anfang des Jahres 2022 seien es 1060 betroffene Menschen im Freistaat gewesen. „Ein Jahr zuvor waren es mit 1298 noch fast 240 Menschen mehr“, sagt Christian Bredl, Leiter der Techniker Krankenkasse in Bayern. Er beruft sich auf aktuelle Daten der Stiftung Eurotransplant. Mit 784 warteten rund drei Viertel der betroffenen Schwerkranken auf eine neue Niere, 123 hoffen auf ein Spenderherz und 88 auf eine Leber. Heißt das im Umkehrschluss, dass es mehr Organspender gibt?
Um das Thema näher zu beleuchten, hatte die Techniker Krankenkasse eine Forsa-Umfrage in Auftrag gegeben. Das Ergebnis zeichnet ein klares Bild: 94 Prozent der Menschen in Bayern stehen dem Thema Organspende positiv gegenüber. Es handelt sich dabei um den höchsten Wert in Deutschland. Er liegt acht Prozent über dem Bundesschnitt. Dennoch hätten nur 51 Prozent der bayerischen Befragten ihren Willen zur Spende auf einem Organspendeausweis dokumentiert – wenngleich auch dieser Wert zehn Prozent höher liegt als der deutsche Schnitt.
Organspende: Lage alles andere als entspannt
Im Jahr 2021 wurden insgesamt 553 Organtransplantationen in Bayern registriert. Das sind 19 weniger als im Jahr 2020. Für Professor Matthias Anthuber, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie an der Uniklinik Augsburg, ist das ein klares Indiz dafür, dass sich die Lage alles andere als entspannt hat. „Die Zahl der Transplantationen hat sich verringert, gleichzeitig warten weniger Menschen auf ein Organ. Mir drängt sich hier als erster Gedanke auf: Corona“, sagt der Transplantationsexperte. „Die Menschen haben Angst, in die Kliniken oder in die Praxen zu gehen, wodurch der Zustrom auf die Wartelisten verringert wurde. Das scheint mir eher die Erklärung zu sein."
Manche Wartende seien in der Zwischenzeit wohl auch verstorben. „Andere wiederum warten bei der anhaltenden Corona-Pandemie weiter ab, halten sich von Arztpraxen und Kliniken fern.“ Auch weil Menschen, die ein Spenderorgan brauchen, oft einen angegriffenen Gesundheitszustand haben und erst recht kein Covid bekommen sollten.
„Jedenfalls kann ich aus meiner fachlichen Praxis sagen, dass die Zahl der Transplantationen nicht zugenommen hat und auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass die bayerische Bevölkerung plötzlich wesentlich gesünder geworden ist.“ Oder dass die Spendebereitschaft in hohem Maße gestiegen sei. Zumal Deutschland und damit auch der Freistaat an das Organspende-Verteilsystem Eurotransplant, das im niederländischen Leiden sitzt, angeschlossen ist.
Viele Menschen haben Angst Organe zu spenden
„Eine bayerische Organspende kommt nicht unbedingt einem bayerischen Bedürftigen zugute, sondern wird nach einem geprüften mathematischen Algorithmus verteilt, wobei es unter anderem darum geht, wie gut das Organ zum Patienten passt, also nicht abgestoßen wird – und wie lange die oder der Betreffende schon wartet.“ Es gehe immer darum, die besten Langzeitergebnisse zu erzielen. Und das könne die computer-unterstützte Zuteilung ermöglichen.
„Schlussendlich werden immer noch viel zu wenige Organe gespendet.“ Es gebe bei manchen Menschen tief sitzende Ängste, etwa dass man nicht mehr voll umfänglich behandelt würde, damit man die Organe entnehmen könne. Was Unsinn sei, sagt Anthuber. Er als Transplantationschirurg habe durch das Eurotransplantsystem keinerlei Einfluss darauf, wer ein Organ erhalte.
Nicht zu verwechseln mit einer Lebendspende
Diese sogenannte postmortale Organspende sei nicht mit der Lebendspende zu verwechseln. „Dabei spendet eine emotional nahestehende Person dem kranken Empfänger eine Niere, das Organ wird in einem OP-Saal entnommen und fast parallel dem Angehörigen eingesetzt“, erklärt Anthuber. Wie beispielsweise im Fall des heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD), der seiner Frau 2010 eine Niere spendete.
Anthuber bedauert es sehr, dass die seinerzeit diskutierte Widerspruchslösung sich politisch bisher nicht durchgesetzt hat, wonach jeder Bundesbürger automatisch Organspender sei. Es sei denn, er widerspreche ausdrücklich. Er hofft, dass sich vielleicht in sechs bis acht Jahren eine erneute Debatte dazu ergeben könnte. Zuletzt habe auch die Schweiz den Weg zur Widerspruchslösung gewählt – neben 22 anderen europäischen Staaten. „Doch bis bei uns eine gesetzliche Neuregelung kommt, müssen wohl weiterhin viele Menschen sterben, die eigentlich leben könnten.“
Auch das Ministerium betont: Es gibt zu wenig Organspenden
Das bayerische Gesundheitsministerium stellt hinsichtlich des Themas Organspende grundsätzlich fest, „dass sich das Spenderaufkommen in ganz Deutschland auf relativ niedrigem Niveau bewegt“. Es wäre sinnvoll, dass jeder Bürger und jede Bürgerin zu Lebzeiten eine Entscheidung zur Frage der Organspende selbstbestimmt trifft und dies auch dokumentiert, auch um die Angehörigen zu entlasten. Aus diesem Grund sei es dem Ministerium ein großes Anliegen, die Bürgerinnen und Bürger Bayerns umfangreich zum Thema Organspende aufzuklären. Deshalb werde es in diesem Jahr zum Beispiel die Social-Media Kampagne „Du entscheidest! Organspende? Deine Wahl.“ geben.