Wladimir Klitschko, ehemaliger Profiboxer und Bruder von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko, sagt: "Es ist ein kompletter Terror." Und dann erzählt er vom Kriegsalltag in der Ukraine und deren Hauptstadt Kiew, in der er am Montag noch war. "Uns geht es nicht gut", sagt er. Der Winter komme, die Preise stiegen, Kiew werde mit Raketen beschossen. "Wir wissen nicht genau, ob wir den nächsten Tag erleben." Im Programm der 36. Medientage München wird Klitschko als "Stimme" vorgestellt, die "die Welt immer wieder dazu aufruft, Haltung zu zeigen gegen das Unrecht dieses Krieges und die Ukraine zu unterstützen“.
Das tut er auch am Dienstag vor hunderten Vertreterinnen und Vertretern der Medienbranche im Internationalen Congress Center München der Messe München. Nicht ohne Kritik zu üben: Mit Blick auf die Annexion der Krim 2014 attestiert er den Medien in Deutschland, die Situation komplett unterschätzt zu haben - und dass die Berichterstattung aus Moskau erfolgt sei, nicht aus der Ukraine. Und so lautet sein Wunsch für den Moment: mehr Medien der freien Welt in der Ukraine.
Klitschko: "Ihr habt wahnsinnig viele Flüchtlinge aufgenommen"
Er verlässt aber nicht die Bühne, ohne sich zu bedanken: bei dem im Publikum sitzenden Paul Ronzheimer von der Bild, der unermüdlich als Kriegsreporter aus der Ukraine berichtet. Sowie bei "Deutschland und Bayern", Ministerpräsident Markus Söder sitzt vor ihm in der ersten Reihe: "Ihr habt wahnsinnig viele Flüchtlinge aufgenommen", sagt Klitschko und ergänzt, dass diese alle auch wieder zurück in die Ukraine gehen würden, eines Tages, nach Kriegsende. Schließlich sagt er: "Ich bitte euch um Ausdauer bei der Unterstützung." Seinen emotionalen Worten folgt langer Applaus.
Wladimir Klitschko hatte sich am Vorabend bereits mit Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder zu einem Abendessen getroffen. Daraus resultierte die Nachricht: „Wladimir Klitschko setzt auf Hilfe Bayerns für Ukraine.“ Die Frage, ob er zufrieden mit Deutschlands Hilfe sei, beantwortete er mit einem „Jein“. Söder hatte Haiku-artig getwittert: „Der furchtbare Krieg in der Ukraine zeigt, wie unverzichtbar freie Medien für stabile Demokratien sind. Journalismus gibt Orientierung, Medien sind systemrelevant. Bayern steht zur Medienvielfalt.“
Zum Auftakt der Medientage, dieses führenden Branchentreffs in Europa, spricht Söder dann am Dienstag über Verschwörungserzählungen und Propaganda im Netz, darüber, wie sie auch den Ukraine-Krieg begleiten. "Aus bösen Worten können böse Taten werden", sagt er.
Das diesjährige Motto der Großveranstaltung mit mehr als 7000 Teilnehmenden aus dem In- und Ausland behauptet, Medien seien relevanter denn je. Mit Blick auf die Unterdrückung von Presse- und Meinungsfreiheit in Russland und vielen anderen Ländern oder mit Blick auf die massive Verbreitung von Fake News in sozialen Medien ist das sicher keine allzu große Übertreibung.
Markus Söder wendet sich gegen ein "General-Bashing" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Andererseits ist die Relevanzfrage zum Beispiel mit Blick auf den skandalgebeutelten öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland und dessen Auftrag schon eine, die diskutiert werden kann und muss. Das wird sie auch auf den Medientagen - laut Programm nimmt an dieser Grundsatzdebatte allerdings kein Intendant, keine Intendantin von ARD, ZDF oder Deutschlandradio als "Speaker" teil. Eine vertane Chance.
Markus Söder warnt vor einem "General-Bashing" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dies finde er nicht angemessen. Zugleich fordert er mehr Transparenz ein - bei Gehältern wie bei Nebentätigkeiten. Als Beispiel, dem es hier zu folgen lohne, nennt er die Regeln, die für Abgeordnete gelten. In seiner Rede scheint allerlei auf, das bereits nach Wahlkampf klingt, einschließlich seiner Skepsis vor dem Gendern. Und sein "Klassiker": Bayern als Medien- und Hightech-Standort sei das Kalifornien Deutschlands. Andererseits zeigt sich ein ernsthafter, besorgter Söder. Er schließt mit den Worten: "Wir haben nur eine Freiheit - geht die verloren, ist alles weg."
Und so sind diese Medientage anders als die vorangegangenen. Es sind Medientage im Zeichen vielfältiger Krisen - und eines Krieges mitten in Europa. Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, erzählt davon, wie sich das Bild des brennenden Fernsehturms von Kiew zu Kriegsbeginn regelrecht in sein Gehirn eingebrannt habe. "Dieser Angriff ist ein Angriff auf die Medien", sagt er. Und ist dabei, als Gastgeber, wieder beim Motto, dass Medien relevanter denn je seien. Umso wichtiger sei es, dass Journalismus glaubwürdig sei und bleibe, sagt Schmiege.
Über was noch gesprochen wird am ersten von drei "Medientagen"? Natürlich über das Buch des Publizisten Richard David Precht und des Sozialpsychologen Harald Welzer. In „Die vierte Gewalt“ bieten sie publikumswirksam und massentauglich eine Art medienkritisches Best-of der vergangenen Jahre. Davon hat manches seine Berechtigung, einiges ist aber reichlich schief. Wie schon diese These in der Einleitung: „Nichtgewählte Journalisten wollen der Politik nicht nur auf die Finger schauen, sondern sie wollen sie machen.“
Medienwissenschaftler Pörksen: „ein weitgehend sinnloses Überhitzungsspiel“
Zu all dem wurde viel gesagt und geschrieben, und eigentlich hätte man meinen können, dass Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, die passenden Schlussworte für die aufgeregte Debatte über das 288-Seiten-Werk („ein weitgehend sinnloses Überhitzungsspiel“) gefunden hätte. Pörksen ist dafür prädestiniert als Autor von Büchern wie „Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung“ oder „Die Kunst des Miteinander-Redens“ (mit Friedemann Schulz von Thun).
In einem Gastbeitrag für das österreichische Nachrichtenmagazin profil schrieb er jedenfalls kürzlich: „Es ist, denke ich, ein Jammer, dass dieses so zupackend geschriebene Buch offenbar so hastig entstanden und damit so leicht angreifbar ist, weil es den Moment hätte markieren können, in dem eine fundierte, nicht auf Vernichtung, sondern auf Verbesserung zielende Medienkritik den Mainstream der Großöffentlichkeit erreicht.“
Das ist nicht geschehen, und letzte Worte sind ebenfalls längst nicht gesprochen. Erst recht nicht auf den Medientagen München, bei denen Stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz Precht am Abend interviewt - und mit diversen Kritikpunkten an ihm konfrontiert. Von Precht kommen Sätze wie der: "Nicht jeder, der sich in einen Diskurs einmischt, muss ein Experte sein." Oder der: "Ich habe bestimmt in meinem Leben eine Menge Unsinn geredet." Oder der, dass Welzer und er durchaus zu Selbstkritik fähig seien.
Seine Kritik am politischen Journalismus und dessen Berichterstattung über Krisen trägt er dennoch in großer Selbstgewissheit vor. So habe er sein aktuelles Buch - ein Bestseller - nicht geschrieben, um damit viel Geld zu verdienen; da hätte er einen Glücksratgeber schreiben müssen. Er habe vielmehr aus "staatsbürgerlicher Sorge heraus" gehandelt, einer Sorge um den Journalismus und letztlich um die Demokratie.
Precht: Medien sollten "möglichst viele Meinungen abbilden"
Medien, so Precht, hätten die Aufgabe, "möglichst integrativ, inklusiv und deliberativ", also beratschlagend, zu sein - und dies möglichst objektiv. Es sei ihre Aufgabe, "möglichst viele Meinungen abzubilden", sonst führe das zu einer Diskursverengung und dazu, dass sich manche Menschen nicht mehr trauten, ihre Meinung zu äußern. Immer wieder kommt Precht auf den Ukraine-Krieg zurück, und man hat das Gefühl, dass er sich hier ungerecht behandelt fühlt: er als jemand, der eine "andere Meinung" vertrete.
Und so sagt er auch mit großer Überzeugung den Satz: "Wir kennen nach wie vor das Kriegsziel (Russlands, die Red.) nicht." Er lehne es ab, in Leitartikeln über den Ukraine-Krieg oder über die Beweggründe des russischen Präsidenten Wladimir Putin "mit holzhackerischer Sicherheit" zu urteilen.
Wladimir Klitschko ist da schon längst wieder gegangen. Es ist anzunehmen, dass er Richard David Precht bei einigen Aussagen vehement widersprochen hätte.