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Medien: Skandale und Debatten: So geht es hinter den Türen beim Bayerischen Rundfunk zu

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Skandale und Debatten: So geht es hinter den Türen beim Bayerischen Rundfunk zu

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    Kürzlich traf sich das Kontrollgremium des Bayerischen Rundfunks im Münchner Funkhaus.
    Kürzlich traf sich das Kontrollgremium des Bayerischen Rundfunks im Münchner Funkhaus. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Um kurz vor 16 Uhr und nach mehr als zwei Stunden ist die Debatte im Großen, Ganzen, Grundsätzlichen, am Höhepunkt angekommen. Und wie stets bei dem Thema wird es emotional. Nicht aggressiv oder laut, man ist ja hier nicht in einem Telegram-Kanal oder einer Talkshow. Der AfD-Landtagsabgeordnete also schüttelt mit dem Kopf, während sein Nebensitzer, ein Musikpädagogik-Professor, zustimmend zu nicken scheint. Dann schaltet der Vertreter des Bundes der Vertriebenen sein Saalmikrofon ein und beginnt seine Erwiderung auf einen Einwurf der Vertreterin der Erwachsenenbildungs-Organisationen mit dem Satz: „Erst mal entschuldige ich mich, dass ich ein Mann bin.“ Ob er eine Pause beim Sprechen mache oder beim Schreiben ein Sternchen setze oder ein großes „i“, das seien doch „Plattitüden“, die nicht unbedingt etwas verändern würden. Die deutsche Sprache sei ein Kulturgut, und er wehre sich dagegen, dass sich eine Minderheit über die Majorität hinwegsetze, die nicht gendern wolle.

    Das Gendern ist ein großes Thema - auch beim Bayerischen Rundfunk

    Wieder und wieder geht es ums Gendern in der 646. Sitzung des BR-Rundfunkrats, einem Kontrollgremium des Bayerischen Rundfunks. Ein jedes Mal hat man den Eindruck, es lege sich ein Schatten über den „großen Sitzungssaal“ im Münchner Funkhaus. Einbildung, gewiss, zumal angesichts der heruntergezogenen Jalousien, die vor der aufs Schönste strahlenden, aber blendenden Wintersonne schützen. Ein jedes Mal könnte einem die Donauwelle im Hals stecken bleiben. Die Kuchenstücke sind, neben den Brezen, recht beliebt bei den an diesem Tag anwesenden 42 von 50 Rundfunkratsmitgliedern.

    Das Thema bewegt längst nicht bloß den BRallein. Das Springer-Blatt Bild hatte am Vortag über eine vom WDR in Auftrag gegebene Umfrage geschlagzeilt: „Erster ARD-Chef kündigt nach Umfrage an: Wir müssen das Gendern wieder ändern“. Auch das sollte zu einer Art Höhepunkt werden, und zwar in der Auseinandersetzung zwischen Springer und den beitragsfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen. Der WDR jedenfalls bezeichnete die Bild-Berichterstattung als „irreführend, falsch und in Teilen frei erfunden“. Besonders irritierend sei, dass man den Autor „mehrfach auf seine fehlerhafte Darstellung“ hingewiesen habe.

    ARD, ZDF und Deutschlandradio müssen sich massiver Kritik stellen

    ARD, ZDF und Deutschlandradio müssen sich seit Jahren massiver Kritik stellen, nochmals massiver nach den jüngsten Skandalen beim RBBum Vetternwirtschafts- und Verschwendungsvorwürfen (Massagesitze im Intendantinnen-Audi, italienisches Eichenparkett im Intendantinnen-Büro). Von Medien, von Politikerinnen und Politkern, aus der gesamten Gesellschaft kommt der Ruf nach Reformen und Einsparungen.

    Patricia Schlesinger wurde als Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) fristlos entlassen.
    Patricia Schlesinger wurde als Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) fristlos entlassen. Foto: Paul Zinken, dpa (Archivbild)

    Beides nimmt zunehmend Gestalt an. Ein Medienstaatsvertrag, der ab Sommer gelten soll, schreibt den Öffentlich-Rechtlichen mehr Digitalisierung und eine Fokussierung auf ein qualitätvolles Angebot vor. Bessere Kontrollmechanismen und stärkere Kontrollgremien, mehr Kooperation in Produktion, Verwaltung, Programm. Für das Programm werden „Kompetenzzentren“ erarbeitet in den Bereichen „Verbraucher“, „Klima“, „Gesundheit“ und „Hörspiel“. Sogar die Einstellung von klassisch analog verbreiteten Programmen wie ARD alpha unter Federführung desBR ist den Sendern künftig nicht nur möglich, sie wird erwartet. 

    Heike Raab, Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder und SPD-Medienstaatssekretärin in Rheinland-Pfalz, sagt, die Länder hätten deutlich gemacht, dass ARD und ZDF die neuen Möglichkeiten zur Flexibilisierung tatsächlich nutzen sollen.

    Es kommt viel zusammen, zugleich werden die Spielräume für die Sender kleiner: weitere Personalreduzierungen, hohe Inflationsraten, die Aussicht auf einen Rundfunkbeitrag, der kaum steigen dürfte ab 2025. 18,36 Euro pro Monat und Haushalt sind es momentan, über acht Milliarden Euro jährlich. Eine stolze Summe. Für eine Erhöhung besteht in großen Teilen der Gesellschaft kein Verständnis. Ein Abbild zumindest der bayerischen Gesellschaft soll der BR-Rundfunkrat sein, an dessen Sitzung an diesem Tag auch BR-Intendantin Katja Wildermuth und wichtige BR-Direktoren teilnehmen. Was Wunder, ginge es nicht um das Große, Ganze, Grundsätzliche. In Sitzung Nummer 646 geht es zunächst um die hunderten von Schreiben, die 2022 bei BR-Beschwerdemanager Ulli Wenger aufliefen.

    BR-Beschwerdemanager Ulli Wenger sagt: Die gendergerechte Sprache sei ein Aufreger

    Wenger firmiert als Radio-Legende, er war der Mister „One-Hit-Wonder“ von Bayern 3 und ist es nach wie vor auf Twitter, wo er unablässig an musikalische Eintagsfliegen erinnert. An „Eins, zwei, Polizei“ von Fabio Fritellis Eurodance-Projekt Mo-Do zum Beispiel, dessen Text ein dadaistisches Kunstwerk ist: „Drei, vier, Grenadier/ Fünf, sechs, alte Gags/ Sieben, acht, gute Nacht/ Ja, ja, ja, was ist los, was ist das?“ Was los war? Wenger trägt mit seiner Radiostimme vor: 2022 sei Corona nicht mehr im Vordergrund gestanden, und die Berichterstattung über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine habe nicht zu Kritik über ein normales Maß hinaus Anlass gegeben. Aber die gendergerechte Sprache sei ein Aufreger. Es klingt absurd: Wenn ZDF-„heute“-Moderatorin Jana Pareigis den Glottisschlag, diese winzige Pause bei der „Aussprache“ eines schriftlichen Gendersterns, verwende, führe das sogar beim BR zu Beschwerden.

    Zweites großes Thema: die Krise in der ARD, ausgelöst durch die inzwischen fristlos entlasseneRBB-Intendantin Patricia Schlesinger und ihren verschwenderischen Umgang mit Beitragsgeld. „Woche für Woche kamen da neue Details über Gehaltszahlungen und Boni ans Licht, die man nicht für möglich gehalten hatte“, sagt Wenger. Er spart das „Kreuzfeuer“ der Kritik nicht aus, in das der BR selbst geriet, unter anderem wegen des „Dienstwagenprivilegs“ seiner Produktions- und Technikdirektorin. Bild-Schlagzeile: „Nächster Luxus-Fall in der ARD: Zwei Fahrer und zwei Wagen für BR-Direktorin!“

    Skandalöses System? Seit ihrer Reform im Jahr 2013 wird die Rundfunkgebühr Rundfunkbeitrag genannt. Die verhasste Gebühreneinzugszentrale (GEZ) heißt seitdem Beitragsservice. Gleich geblieben ist, dass Gegner der "Zwangsabgabe" gegen den Rundfunkbeitrag und die Sender mobil machen.
    Skandalöses System? Seit ihrer Reform im Jahr 2013 wird die Rundfunkgebühr Rundfunkbeitrag genannt. Die verhasste Gebühreneinzugszentrale (GEZ) heißt seitdem Beitragsservice. Gleich geblieben ist, dass Gegner der "Zwangsabgabe" gegen den Rundfunkbeitrag und die Sender mobil machen. Foto: Rolf Vennenbernd, dpa (Archivbild)

    Die Folgen bekommen BR-Mitarbeitende wöchentlich seit vergangenem August zu spüren – wenn die Aktivistinnen und Aktivisten von „Leuchtturm ARD“ um einen Starnberger Filmproduzenten sich vor dem Funkhaus-Eingang aufbauen zu einer ihrer bundesweiten „Mahnwachen“. Häufig sind es um die 15 Personen. Auf ihren Schildern steht „Schluss mit einseitiger Berichterstattung“ oder „Keine Kriegstreiberei mehr bei ARD/ZDF“. Auf der „Leuchtturm ARD“-Internetseite wird der „sofortige legale Zahlungsstopp des Rundfunkbeitrags“ („Dauerauftrag löschen – Ruf einfach deine Bank an ...“) propagiert, „für unsere historische Forderung nach einem wirklich UNABHÄNGIGEM Journalismus“. Darunter werden Medien oder Blogs verstanden, die der Querdenker-, Coronaleugner-, Verschwörungsgläubigen- und neurechten Szene zuzurechnen sind. „Spricht man sie an, was ihnen an unseren Sendungen nicht gefällt, kommt nie etwas Konkretes“, berichtet Wenger, „weil sie die BR-Programme meist gar nicht kennen.“

    Beim Bayerischen Rundfunks kommen zahlreiche Beschwerden an

    Harte Kost für die Rundfunkratsmitglieder, die erleichtert auflachen, als der Beschwerdemanager erzählt, dass zudem bemängelt worden sei: zu wenig Franken! Zu wenig Franken in den Panoramabildern im BR Fernsehen! Nur ein Franken-„Tatort“ pro Jahr! Zu wenig fränkische Volksmusik auf BR Heimat! Das schreit nach einem Schluck Kaffee, schon sagt Wenger, dass der Zuschauerservice am Silvesterabend von Beschwerden „quasi überrollt“ worden sei. Das BR Fernsehen wolle dem Publikum wohl die Freude an Silvester und Neujahr verderben! Statt Unterhaltungssendungen stundenlange Nachrufe und ein Brennpunkt im Ersten! Am 31. Dezember war der „bayerische Papst“ Benedikt XVI. gestorben.

    Wenger schließt mit Josef D., jenem Rentner aus Passau, der sich seit 13 Jahren darüber aufregt, dass beim Wetterbericht im BR-Radio von „Passauer Land“ gesprochen wird. Josef D. tippt in seine Schreibmaschine einen Brief nach dem anderen, im vergangenen Jahr waren es 20, insgesamt 105. „Dass Sie bei den Beschwerden immer noch einen so frohen Lebenseindruck machen, finde ich ganz erstaunlich“, sagt der Rundfunkratsvorsitzende zum Beschwerdemanager, und der AfD-Mann fragt, ob man sich denn mal mit den „Leuchtturm“-Leuten zusammengesetzt habe. Haben BR-Verantwortliche, erst kürzlich eine Wissenschaftsredakteurin. Der von den "Leuchtturm"-Leuten eingeforderte Dialog sei einfach nicht möglich, antwortet Wenger.

    Medienethiker: Eine "hart geführte Kampagne gegen die öffentlich-rechtlichen Sender" durch Bild und Welt

    Christian Schicha, Professor für Medienethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, beschreibt in einem Telefongespräch derartiges als höchst problematisch, letztlich demokratiegefährdend. „Bei aller berechtigten Kritik an den öffentlich-rechtlichen Sendern, die auch ich habe: ARD, ZDF und Deutschlandradio liefern gemäß ihrem Auftrag der Grundversorgung durchaus qualitätvollen, unabhängigen und staatsfernen Journalismus“, sagt er. „Sie sind akzeptierter, als es das Geschrei um sie wirken lässt. Von einer ernst zu nehmenden Gefährdung ihrer Existenz sind wir weit entfernt.“ 

    Scharf kritisiert Schicha Bild und Welt: „Aus meiner Sicht fahren Springer-Medien ganz klar eine hart geführte Kampagne gegen die öffentlich-rechtlichen Sender. Die meisten Kritikpunkte, die von ihnen gegen sie vorgebracht werden, halte ich für polemisch und substanzlos.“ Sie täten dies aus wirtschaftlichen Gründen, hinzu kämen politisch-ideologische Motive. Man werfe der ARD vor, „linksgrün“ zu sein, was eine lange Vorgeschichte habe. Bereits in den 70er und 80er Jahren sei der Begriff „Rotfunk“ gebräuchlich gewesen. Der BR war eher nicht gemeint.

    Katja Wildermuth, Intendantin des Bayerischen Rundfunks, sagt: "Sparen ist keine Strategie. Was wir brauchen, ist ein Zielbild, wo wir sein wollen in zehn Jahren!"
    Katja Wildermuth, Intendantin des Bayerischen Rundfunks, sagt: "Sparen ist keine Strategie. Was wir brauchen, ist ein Zielbild, wo wir sein wollen in zehn Jahren!" Foto: Sven Hoppe, dpa (Archivbild)

    Was zurück führt ins Münchner Funkhaus, großer Sitzungssaal, in dem selbst BR-Intendantin Wildermuth nicht um das Gender-Thema und die WDR-Studie herumkommt. Die hatte ergeben, dass für 62 Prozent der Befragten gendergerechte Sprache weniger oder gar nicht wichtig ist. Und 69 Prozent die Glottisschlag oder „Gender-Gap“ genannte Sprechpause weniger gut oder gar nicht gut finden. 

    Beim WDR fühlt man sich bestätigt, weil man im Programm ohnehin weitgehend auf diese verzichte. Einzelne Redaktionen – gerade die, die ein jüngeres Publikum erreichen wollten – könnten sich dafür entscheiden. BeimBRist es nicht anders. Wildermuth sagt, man stehe zu geschlechtergerechter Sprache, dabei gelte das Primat der Verständlichkeit und das der Publikumsorientierung. „Im Ergebnis benutzen im Moment weniger als zehn Prozent der Redaktionen und Angebote des Bayerischen Rundfunksdie Gender-Pause.“ Selbst der AfD-Mann scheint damit leben zu können, auch der Rest des Rundfunkrats unterstützt den Kurs.

    Was Wildermuth stärker umtreibt, ist etwas anderes: Die Vertrauenswerte seien gesunken, sagt sie. Was sie noch stärker beschäftigt: Reformen und Einsparungen. Sie sagt: „Sparen ist keine Strategie. Was wir brauchen, ist ein Zielbild, wo wir sein wollen in zehn Jahren!“ So wird es 17.49 Uhr, und nach mehr als vier kleinteiligen Stunden über das Große und Ganze endet die Sitzung des BR-Rundfunkrats. Fortsetzung folgt, gleiche Stelle, gleiche Welle.

    Der Bayerische Rundfunk: Sender, Kontrolle, Strategie

    Bayerischer Rundfunk Der BR ist eine von neun Landesrundfunkanstalten der 1950 gegründeten Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland, kurz ARD. Hinzu kommt der Auslandsrundfunk Deutsche Welle. Der BR beschäftigt etwa 5200 Mitarbeitende. Zu ihm gehören unter anderem zwei TV-Programme (BR Fernsehen, ARD alpha), fünf Hörfunkwellen, mehrere digitale Radiostationen, zwei Orchester und ein Chor. Im Wirtschaftsplan 2023 stehen Erträgen von 1134,9 Millionen Euro Aufwendungen von 1175,3 Millionen Euro gegenüber. Dies ergibt einen Fehlbetrag von 40,4 Millionen.

    Rundfunkrat Er ist neben dem Verwaltungsrat das maßgebliche Kontrollgremium des BR und wacht über die Erfüllung des Programmauftrags. Seine 50 Mitglieder vertreten relevante politische, weltanschauliche und gesellschaftliche Gruppen im Freistaat und werden von diesen für je fünf Jahre entsandt. Sein Vorsitzender ist der frühere Präsident der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Prof. Dr. Dr. Godehard Ruppert.

    Programmstrategie Laut Björn Wilhelm, Programmdirektor Kultur, setzt der BR eine „umfassende Programmstrategie“ um, die in beiden Programmdirektionen, Kultur und Information, gemeinsam mit den Redaktionen erarbeitet wurde. „Wir haben uns dabei vier Ziele gesetzt, um zukunftssicher zu sein: Der BR soll erkennbarer werden, generationengerecht, einzigartig und hintergründig.“

    ARD alpha Zur Zukunft von ARD alpha unter Federführung des BR erklärte Wilhelm im Gespräch, dass aktuell „konzeptionelle Überlegungen“ liefen, denen er nicht vorgreifen wolle. Eine Entwicklung hin „zur besseren Nutzungsmöglichkeit unserer Inhalte, orts- und zeitunabhängig“, stehe längst auf der Tagesordnung. Zugleich betonte Wilhelm: „Alle Menschen bezahlen uns, also sollte es auch für alle ein wertvolles Angebot geben, auf möglichst vielen Nutzungswegen.“ Rundfunkratsvorsitzender Ruppert sagte unserer Redaktion: „ARD alpha ersatzlos zu streichen, träfe sicher auf Widerstand im BR-Rundfunkrat. Das wird derzeit aber nicht diskutiert. Vielmehr geht es um die digitale Transformation des Angebots. ARD alpha als die Wissensplattform der ARD zu etablieren, würde sicher die breite Unterstützung des Gremiums finden.“ (wida)

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