Die vergangenen Monate waren eine harte Zeit für die beiden langjährigen CSU-Abgeordneten Alfred Sauter und Georg Nüßlein. Ermittler durchsuchten ihre Büros und Privathäuser, Vermögen in beträchtlicher Höhe wurde sichergestellt und eine Anklage wegen Bestechlichkeit stand ins Haus. Die politischen Karrieren beider Männer sind dahin. Doch nun gibt es zumindest juristisch eine spektakuläre Wende in der Maskenaffäre.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichts (OLG) München erfüllt das Verhalten der Politiker nicht den Straftatbestand der Bestechlichkeit von Mandatsträgern. Die Entscheidungen dreier OLG-Senate kommen überraschend. Das selbe Gericht hatte schließlich im Frühjahr die Razzien genehmigt, den Vermögensarrest durchgewunken und sogar einen Haftbefehl erlassen.
Generalstaatsanwaltschaft München ermittelte mehrere Monate lang in der Maskenaffäre
Nun stellen sich einige Fragen. Wie kommt es zu der geänderten Meinung? Wie geht es in dem Strafverfahren weiter? Kommen Sauter und Nüßlein am Ende komplett straffrei davon? Und muss der Bundestag den Gesetzesparagrafen zur Bestechung von Abgeordneten nicht komplett überarbeiten?
Seit mehr als neun Monaten ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft München in der Maskenaffäre. Die damaligen CSU-Abgeordneten Georg Nüßlein und Alfred Sauter sollen geholfen haben, für die hessische Textilfirma Lomotex Verträge mit Gesundheitsministerien in Bayern und im Bund sowie weiteren Behörden zu vermitteln. Insgesamt ging es um ein Geschäft von rund 60 Millionen Euro. Der langjährige Landtagsabgeordnete und Anwalt Alfred Sauter engagierte sich in Bayern, der langjährige Bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein auf Bundesebene. Zu der Gruppe von Vermittlern gehörte zudem ein Geschäftsmann und früherer Konzernmanager aus dem Raum München. Mehr als elf Millionen Euro aus dem Geschäft sollte laut Ermittlungen an die Vermittler fließen.
Nüßlein erhielt über seine Firma Tectum 660.000 Euro und sollte weitere 540.000 Euro bekommen. Sauter kassierte über die Firma Pecom 1,2 Millionen Euro. Die Beträge stellte die Justiz sicher. Doch Sauter, Nüßlein und der Geschäftsmann sagten von Beginn an, dass die Deals nichts mit der Abgeordnetentätigkeit zu tun gehabt hätten. Und nach einer gewissen Zeit des Sich-Sortierens schlugen die Verteidiger der Beschuldigten zurück: Sie legten im Juni Beschwerde gegen das Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft ein. Um die Durchsuchungs- und Arrestbeschlüsse ging es dabei nur im Vordergrund. Ziel der Beschwerden war, das Strafverfahren grundsätzlich in Frage zu stellen. Und weil es um Grundsatzfragen ging, hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts bis Donnerstag gedauert.
Gericht: Tatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern nicht erfüllt
Umso deutlicher ist sie nun ausgefallen. Das Gericht hat den Beschwerden von Sauter, Nüßlein und dem Geschäftsmann weitgehend stattgegeben. Die Richter erklären, der Tatbestand wäre nur erfüllt, wenn einem Abgeordneten Schmiergeld für eine Gegenleistung „bei der Wahrnehmung seines Mandats“ bezahlt oder versprochen würde. Der Gesetzgeber habe den Paragrafen 108e ausschließlich zum Schutz der Arbeit von Parlaments- und Fraktionsgremien geschaffen, so die Richter. Die Vorschrift gelte daher nur für Tätigkeiten im Rahmen der parlamentarischen Arbeit.
Wenn ein Abgeordneter „lediglich die Autorität seines Mandates oder seine Kontakte nutzt“, um Entscheidungen zum Beispiel von Behörden und Ministerien zu beeinflussen, mache er sich durch die Annahme von Vermögensvorteilen nicht strafbar im Sinne der Abgeordnetenbestechung. Dies sei bei Sauter und Nüßlein der Fall.
Das Oberlandesgericht hob im Zuge seiner Entscheidung verschiedene frühere Beschlüsse auf: So wurde in allen drei Fällen der Vermögensarrest aufgehoben, ebenso wie der außer Vollzug gesetzte Haftbefehl gegen den Lobbyisten und Geschäftsmann. Die Beschuldigten können nun wieder frei auf das festgesetzte Geld zugreifen. Im Fall des früheren bayerischen Justizministers Sauter hob das Gericht sogar den Durchsuchungsbeschluss aus dem Frühjahr als rechtswidrig auf. Begründung: In seinem Fall habe schon bei Erlass der Durchsuchungsbeschlüsse kein ausreichender Verdacht dafür bestanden, dass „die ihm zugesagte Gewinnbeteiligung auch parlamentarische Tätigkeiten einschließen sollte“. Sauter sagte in einer ersten Reaktion gegenüber unserer Redaktion nur: „Der Beschluss spricht für sich.“
Müssen die Korruptionsvorschriften für Abgeordnete neu regelt werden?
Die Entscheidung hat weitreichende Folgen für die weitere juristische Aufarbeitung der Maskenaffäre. Zu einer Anklage, die praktisch fertig bei der Generalstaatsanwaltschaft in der Schublade liegt, könnte es gar nicht mehr kommen. Nüßlein und Sauter kommen wahrscheinlich ohne Strafe davon. Für die Generalstaatsanwaltschaft München sind die Entscheidungen des Oberlandesgerichts eine herbe Niederlage. Die Behörde wollte unbedingt einen Musterprozess zum Paragrafen 108e und der Frage der Abgeordnetenbestechung führen. Und die Ankläger geben sich auch noch nicht geschlagen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat umgehend angekündigt, Beschwerde beim Bundesgerichtshof gegen die Münchner Beschlüsse einzulegen. Die Begründung des Oberlandesgerichts überzeuge nach vorläufiger Beurteilung nicht. So wird sich das höchste deutsche Strafgericht mit der Maskenaffäre und auch mit dem Paragrafen 108e befassen müssen.
Politisch könnte die Entscheidung des OLG ebenfalls Folgen haben. Denn der neue Bundestag dürfte sich fragen, ob die Korruptionsvorschriften für Abgeordnete nicht neu geregelt werden müssen. Die Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland forderte schon am Donnerstag, den Strafrechtsparagrafen zu verschärfen. „Dass Nüßlein und Sauter nun ihre Honorare zurückerhalten sollen und vermutlich straffrei ausgehen, werden daher viele Bürgerinnen und Bürger als einen Schlag ins Gesicht empfinden“, sagte der Transparency-Vorsitzende Hartmut Bäumer.
Und wie wird die CSU nun mit Alfred Sauter umgehen, der im Gegensatz zu Georg Nüßlein nicht ausgetreten ist?. Die Parteispitze hatte seinerzeit klargemacht, dass bei ihrem Vorgehen keine juristischen, sondern politisch-moralische Maßstäbe angelegt worden seien. Dass die CSU Sauter rehabilitiert und mit offenen Armen in die Landtagsfraktion zurückholt, ist nach diesem harten Bruch kaum zu erwarten.