Zweieinhalb Wochen lang sah es so aus, als würde sich die zigfache Masken-Millionärin Andrea Tandler mit ihrem Schicksal abfinden. Unter Tränen räumte sie in ihrem Steuerhinterziehungsprozess Anfang Dezember Fehler und Versäumnisse ein. Das ermöglichte einen sogenannten Deal mit der Staatsanwaltschaft und ein angesichts der hinterzogenen Steuersumme relativ mildes Urteil von vier Jahren und fünf Monaten. Die Politikertochter und ihr früherer Geschäftspartner können bis zum Haftantritt sogar auf freiem Fuß bleiben. Doch dann kam alles anders.
Tandler und Darius N. legten trotz des Deals Revision ein. Das Gesetz sieht diese Möglichkeit zwar vor, doch nach einer Verfahrensverständigung wird normalerweise selten davon Gebrauch gemacht. Nun wird nach und nach klar, dass die durch einen Mega-Maskendeal reich gewordene Andrea Tandler offenbar sehr viel Geld und hochkarätiges Personal investiert, um die Haftstrafe doch noch zu reduzieren. Die Tochter des früheren CSU-Generalsekretärs und Strauß-Intimus Gerold Tandler hat zwei Anwälte aus den Münchner Kanzleien "Gauweiler & Sauter" sowie "König Gauweiler Sauter" mit der Revision beauftragt.. Es sind dies der bekannte ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Prof. Thomas Fischer und Sascha König. Das hat Tandlers Sprecher mitgeteilt.
Die Maskenaffäre zerstörte Sauters politische Karriere
Eine der größten Profiteurinnen der Corona-Pandemie, die durch Maskendeals 48,4 Millionen Euro eines Schweizer Maskenlieferanten kassiert hat, lässt sich somit ausgerechnet von der Kanzlei eines anderen Corona-Profiteurs vertreten. Der frühere bayerische Justizminister und langjährige schwäbische CSU-Abgeordnete Alfred Sauter hatte für die Vermittlung von Masken und Schutzausrüstung 1,243 Millionen Euro Provision erhalten. Er stand im Verdacht, sich als Abgeordneter bestechen haben zu lassen, seine politische Karriere war damit zerstört. Die Empörung über Sauters Verhalten war groß, doch juristisch blieb es folgenlos: Im Juli 2022 entschied der Bundesgerichtshof, dass sich Sauter nicht der Korruption strafbar gemacht hat. Er hätte die zurückgezahlte und teils gespendete Provison behalten dürfen.
Tandlers Verfahren wegen Steuerhinterziehung geht jetzt in Revision
Ähnlich ist die Lage bei Andrea Tandler: Das Einstreichen horrender Provisionen in einer der größten Krisen des Landes mag moralisch äußerst fragwürdig sein, doch illegal war das Abkassieren nicht. Dass Tandler und ihr Partner trotzdem zu einer Haftstrafe verurteilt worden sind, liegt daran, dass sie das große Geld nicht korrekt versteuert haben. Den unter dem Strich entstandenen Schaden durch die Einkommens- beziehungsweise Gewerbesteuerhinterziehung bezifferte das Landgericht München I am Ende auf insgesamt 7,8 Millionen Euro. Der Versuch, wegen eines "exorbitanten Geldsegens" angefallene Steuern zu drücken und zu vermeiden, sei auch nicht durch die edle Gesinnung zu rechtfertigen, durch die Maskenlieferung Leben zu retten, sagte die Vorsitzende Richterin Andrea Wagner.
Auch Tandlers früherer Partner hat zwei Anwälte aus einer der Sauter-Kanzleien mit der Revision beauftragt, Roland Kammeter und Christian Horvat. Die Revisionsbegründungen der Anwälte sind in den vergangenen Tagen eingegangen, die Akten werden nun über die Staatsanwaltschaft und den Generalbundesanwalt dem Bundesgerichtshof vorgelegt, teilte Laurent Lafleur, Pressesprecher des Oberlandesgerichts München, auf Anfrage mit. Nun sind die Karlsruher Richter am Zug zu bewerten, ob Tandlers Urteil rechtsfehlerfrei ist.
Die Ermittlungsverfahren gegen Sauter und Nüßlein laufen immer noch
Pikant ist in dem Zusammenhang auch, dass das Ermittlungsverfahren gegen Alfred Sauter nach wie vor läuft – unter anderem wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Das bestätigen Justizkreise unserer Redaktion. Auch gegen den früheren CSU-Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein ist demnach das Ermittlungsverfahren noch anhängig. Sauter und Nüßlein waren zentrale Figuren der Maskenaffäre.
Überraschend ist, dass die Ermittlungsverfahren aktuell nicht nur wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung weitergeführt werden. Auch der Vorwurf der Abgeordnetenbestechlichkeit ist nach Recherchen unserer Redaktion formell noch nicht eingestellt. Und das, obwohl der BGH-Beschluss schon eindreiviertel Jahre zurückliegt. Das könnte komplexe rechtliche Gründe haben: Sauter und Nüßlein hatten für den Erhalt ihrer Provisionszahlungen komplizierte Konstrukte gewählt. Das Geld kam von einer Gesellschaft in der Karibik über ein Bankkonto in Liechtenstein. Im Falle Sauters ging die Provision überdies an eine Firma, die Sauter an seine Töchter überschrieben hatte.
Die Verfahren sollen aber nach Informationen unserer Redaktion nun kurz vor dem Abschluss stehen. Dann wird sich zeigen, ob Sauter und Nüßlein tatsächlich komplett straffrei aus der Maskenaffäre hervorgehen – oder ob sie, wie Andrea Tandler, eventuell bei der Steuer gepatzt haben.