Immer wieder bringt Marc Franke das Fachpublikum zum Lachen, auch wenn seine Geschichte zunächst einmal wenig Grund zur Freude liefert. Er kommentiert alte Bilder von sich selbst, im Krankenhaus, angeschlossen an Schläuche, er hat damals noch keinen Vollbart. Manchmal wirkt er müde, doch er trägt ein Lächeln im Gesicht, auch in jener Zeit, in der er gegen gleich zwei schwere Krankheiten ankämpfen musste. 2011 erhielt Franke die Diagnose einer akuten myeloischen Leukämie. Blutkrebs, bösartig. Drei Jahre zuvor war er positiv auf das Humane Immundefizienz Virus (HIV) getestet worden. Der heute 55-Jährige steht auf der Bühne der 25. Internationalen Welt-Aids-Konferenz in München, die an diesem Donnerstag endet, und hält einen emotionalen Vortrag. 15.000 Teilnehmende sind zu dieser Konferenz nach Bayern gekommen, um mehr über aktuelle Entwicklungen der Forschung zu erfahren. Und auch, um Frankes Geschichte zu hören. Er erzählt sie gerade oft, erzählt von einer erfolglosen Chemotherapie, von Stammzellenspenden. Davon, wie er schließlich von HIV geheilt werden konnte. Franke ist der weltweit dritte Patient, bei dem die Heilung von HIV gelang. Er ist einer der wenigen, die öffentlich darüber sprechen – um anderen Mut und Hoffnung zu machen.
Der 55-Jährige tauchte 2023 das erste Mal in Medienberichten auf. Allerdings nicht unter seinem Namen, sondern als der „Düsseldorf-Patient“. Weil Medizinern der Uniklinik Düsseldorf seine Heilung gelungen war. Weltweit sind rund 39 Millionen Menschen an HIV erkrankt. In Bayern lebten nach Zahlen des Robert Koch-Instituts Ende 2023 rund 11.800 Infizierte. Die Zahl derer, bei denen das Virus diagnostiziert wurde, ist mit 645 im vergangenen Jahr auf den höchsten Stand im Freistaat seit 2014 gestiegen. Nach Angaben des UN-Aidsprogramms Unaids stirbt jede Minute weltweit ein Mensch an der vom HI-Virus ausgelösten Immunschwächekrankheit Aids.
Eine Stammzellenspende heilte Franke von HIV und Leukämie
Marc Franke ist eine von mittlerweile sechs oder sieben Personen, die als von HIV geheilt gelten – je nach wissenschaftlicher Definition. Bei allen Fällen jedoch ist die Heilung auf eine Stammzellenspende zurückzuführen. Die Transplantation erfolgte bei den Patienten, weil sich zusätzlich zur Infektion mit dem Virus auch eine akute hämatologischen Erkrankung, in Frankes Fall die Leukämie, entwickelt hatte. Als ein Dreivierteljahr nach einer Chemotherapie der Krebs zurückkehrte, stand als letzte Option für ihn eine Stammzellenspende im Raum. Fünf Spender seien infrage gekommen, erklärt Björn-Erik Ole Jensen, Bereichsleiter Spezielle Infektiologie der Uniklinik Düsseldorf. Eine Spenderin stach besonders hervor: Sie wies eine Genmutation auf, die gegen das HI-Virus weitestgehend immun machte – wie beim weltweit ersten geheilten Patienten in Berlin 2008. „Ich dachte mir, wenn es einmal funktioniert hat, wieso sollte es nicht ein zweites Mal klappen?“, erinnert sich Franke. Es klappte.
Die Behandlung mit einer Stammzellentransplantation wird dabei lediglich bei Menschen angewendet, die sowohl mit HIV infiziert als auch an einer Leukämie erkrankt sind. Die Powerpoint-Präsentation seiner Heilungs- und Krankheitsgeschichte, die er in München vorstellt, enthält komplizierte Grafiken und Tabellen, die die Prozesse wissenschaftlich erklären. Aber da sind vor allem die Fotos von Franke im Krankenhaus, mit seinem Ehemann, von Pflastern in Schneemann-Form, die im Kopf bleiben. Unter den Fotos findet sich eines, das ihn und seine Stammzellenspenderin Anna zeigt. Sie treffen sich bis heute regelmäßig. Immer wieder erzählt er lustige Anekdoten, zum Beispiel die: Man könne seine Geschichte gerne für Netflix verfilmen. Doch dann sagt er: „Ich habe mich natürlich nur fotografieren lassen, wenn ich gut aussah.“ Zwischendurch sei es schwer gewesen, voller Wendungen. „Eine einfache Zeit war das nicht“, sagt Franke am Ende seines 20-minütigen Vortrags.
Franke: „Du kannst dein Leben nicht mehr planen“
Lange Zeit habe er auch mit den Vorurteilen zu kämpfen gehabt, mit denen HIV-Erkrankte nach wie vor konfrontiert werden. Außerdem habe er wegen der Behandlungen dreieinhalb Jahre nicht arbeiten können. Er musste sich bei jeder Mahlzeit Gedanken um Keime machen, die er möglicherweise aufnimmt und dies nicht überlebt, weil sein Immunsystem geschwächt war. Zusätzlich benötigte er eine neue Hüfte, erkrankte an Diabetes und anderen Begleiterkrankungen. „Du kannst dein Leben nicht mehr planen, nicht einmal mehr einen Urlaub“, sagt der 55-Jährige aus Nordrhein-Westfalen über diese Phase. Seit 2023 gilt er als von HIV geheilt, bis heute sei er jedoch chronisch erschöpft und leide unter trockenen Augen.
Stationen des „Düsseldorf-Patienten“
2008: Marc Franke erhält die HIV-Diagnose.
2011: Diagnose einer akuten myeloischen Leukämie (AML) – eine Form von Blutkrebs.
2013: Stammzellentransplantation, die zu einer Remission der HIV-Symptome führt. Das heißt, die Viruszellen konnten so weit zurückgedrängt werden, dass sie mikroskopisch nicht mehr nachweisbar sind und es keine Anzeichen oder Symptome der Erkrankung mehr gibt.
2018: Die antivirale HIV-Therapie kann abgesetzt werden. Franke wird über mehrere Jahre weiter von seinem Behandlungsteam überwacht.
2023: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen von einer vollständigen Heilung.
„Die HIV-Heilung ist eigentlich nur ein Nebenprodukt der Leukämie-Heilung“, sagt Franke abgeklärt. Natürlich sei er froh, „zwei Fliegen mit einer Klappe“ geschlagen zu haben. Zumindest, was das HI-Virus angehe, sei er relativ sicher, dass er es endgültig besiegt habe.
Kürzlich konnte die Berliner Charité einen weiteren Patienten heilen
Erst vergangene Woche ist nach Angaben der Berliner Charité ein weiterer HIV-Patient als geheilt eingeschätzt worden. Bei dem Mann sei trotz abgesetzter antiviraler Therapie seit mehr als fünf Jahren kein HI-Virus mehr nachweisbar, teilten die beteiligten Forscher mit. Die meisten der Geheilten möchten bislang anonym bleiben. Für Franke, der anfangs selbst nicht in Erscheinung treten wollte, sei es immer wichtiger geworden, dem „Düsseldorf-Patient“ ein Gesicht zu geben und „mehr als eine Nummer zu sein“. Eines Tages, sagt er dann noch, wird es hoffentlich eine Heilung für alle geben.
Er hat HIV nicht besiegt, sondern einfach nur unheimliches Glück gehabt, das den allermeisten mit HIV Infizierten nicht zuteil wird. Er hat keinen, aber auch schon gar keinen Anteil an der Überwindung seiner HIV-Infektion. Hier was von "besiegt" zu schreiben, halte ich für verkehrt!
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