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Manfred Weber und die EU: Wohin führt der Weg des CSU-Politikers?

Manfred Weber wirbt mit dem Slogan "Für ein starkes Bayern in Europa". Die Frage ist: Was kann Europa ihm noch bieten?
Foto: Imago/Eibner-Pressefoto/Franz Feiner
Europawahl

Wohin führt Webers Weg in der EU?

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    Manfred Weber lehnt sich auf dem Holzstuhl zurück und schlägt die Beine übereinander, in seinem Rücken liegt das von Schären getüpfelte Meer. Es ist einer dieser endlos wirkenden Tage in Finnland, die Sonne glitzert im Wasser, die Luft riecht nach Salz. Weber ist im parkähnlichen Garten der Residenz des finnischen Ministerpräsidenten Petteri Orpo im Nordwesten Helsinkis. Das Idyll passt zu seiner Gemütslage. Der CSU-Politiker macht einen entspannten und zufriedenen Eindruck, sagt selbst, er fühle sich in einer so einflussreichen Position wie lange nicht mehr. Die Tage in Finnland vor Kurzem sind gute Tage für den Chef der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP). Wie zur Bestätigung lobt Orpo den Niederbayern als Brückenbauer zwischen Brüssel und den Hauptstädten der EU. Der Finne hat – wie der Grieche Kyriakos Mitsotakis, der Portugiese Luís Montenegro oder Polens Donald Tusk – bewiesen, dass Konservative Wahlen gewinnen können. 

    Manfred Weber ist Spitzenkandidat der CSU für das Europäische Parlament. Am 9. Juni ist die Europawahl. Nun soll er wieder Wählerstimmen gewinnen.

    Rückblick: Es ist Mitte Juli 2022 und im riesigen Kongresssaal der Indoor-Arena Ahoy in Rotterdam treffen sich Europas Christdemokraten zur Sinnsuche oder Selbstrettung, so genau kann das keiner sagen. Bloß einer strahlt und winkt und schönredet sich durch diese zwei Tage: der "Junge aus Wildenberg, ohne besondere Ausbildung, ohne Titel und Privilegien". So stellt sich Weber bei seiner Dankesrede nach der Wahl an die Spitze der größten europäischen Parteienfamilie vor. Fraktions- und Parteivorsitz liegen jetzt in einer Hand. Künftig wird er zu den mächtigsten Spitzenkräften in Europa gehören, die EU-Politik der Konservativen koordinieren und sich auf Augenhöhe mit den Parteivorsitzenden sowie Staats- und Regierungschefs austauschen. Aber vor allem soll er das Bündnis aus der Krise heraus- und zu alter Größe zurückführen.

    Es ist zwei Jahre her, dass Manfred Weber massiv unter Druck stand

    Der Abgang von Angela Merkel schmerzt noch immer, die ehemalige Bundeskanzlerin war so etwas wie die Identität der EVP, die einst ein Sammelbecken von Europas Mächtigen war, im Sommer 2022 aber lediglich noch sechs der 27 EU-Staatenlenker stellt. Am Ende verabschiedet Weber die Kolleginnen und Kollegen mit dem Aufruf zu einem "neuen Kapitel für Europa". Er weiß: An den Ergebnissen der Abstimmungen in den nächsten zwei Jahren wird er sich messen lassen müssen, insbesondere an denen der Europawahl.

    Er steht damals unter massivem Druck. Hinter den EVP-Kulissen ist die Angst groß, die grün gefärbte Politik von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von der CDU werde den Rechtspopulisten Wählerstimmen in Massen zutreiben und dazu beitragen, die Basis der bürgerlichen Parteien in Europa zu zerstören. Und so probt Weber im vergangenen Jahr den Aufstand, macht etwa Stimmung gegen das umstrittene Renaturierungsgesetz, weil es angeblich die Bauern zu sehr belastet hätte. Überhaupt, so lautet der neue Tenor, dürfe von der Leyens "Grüner Deal" mit seinen ambitionierten Klimazielen nicht die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gefährden. Übersetzt heißt das: Es reicht jetzt mal mit Klimaschutz. Weber sagt im Rückblick, Politik sei eben manchmal "beispielhaft und zugespitzt". Damit diese überhaupt bei den Bürgern ankomme, müsse man auch mal "die Unterschiede deutlich machen".

    Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der Fraktion EVP, spricht im Plenarsaal des Europäischen Parlaments. Im Hintergrund: Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission.
    Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der Fraktion EVP, spricht im Plenarsaal des Europäischen Parlaments. Im Hintergrund: Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission. Foto: Philipp von Ditfurth, dpa

    Gleichwohl lotet er im Frühjahr 2023 Möglichkeiten weit rechts der politischen Mitte aus, um die Machtbasis auszubauen. Er trifft sich in Rom mit Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die in Brüssel als "konstruktive Partnerin" gelobt wird, obwohl ihre postfaschistische Partei Fratelli d'Italia ihre Wurzeln im Rechtsextremismus hat. Es hagelt Kritik. Ist es wirklich notwendig, sich als EVP-Chef strahlend an Melonis Seite ablichten zu lassen? Man müsse eine Regierung, "die rechtmäßig und unter Einhaltung aller demokratischen Standards gewählt wurde, einbinden", verteidigt sich Weber. Wo aber verläuft seine rote Linie? Er stellt drei Prinzipien auf, die für den Austausch mit allen Gesprächspartnern erfüllt sein müssten und die wie maßgeschneidert für Melonis Partei scheinen: "pro Europa, pro Ukraine, pro Rechtsstaat."

    Die Frage ist: Was genau will er? Und was kann Europa dem 51-Jährigen noch bieten?

    Es gab Zeiten, da wurde in Brüssel viel darüber spekuliert, wie dem CSUler mit seinem strategischen Gespür und seiner langen Erfahrung derart viele Patzer passieren konnten. Eineinhalb Jahre später stellt sich diese Frage niemand mehr. Zur EVP-Parteienfamilie gehören nun 13 Staats- und Regierungschefs und alle Umfragen prophezeien, dass die konservativen Kräfte im EU-Parlament als Sieger aus den anstehenden Europawahlen hervorgehen werden. Die Sorgen der Bauern, Migration, Verteidigung und Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit – "es stellt sich heraus, dass wir in den letzten eineinhalb Jahren auf die richtigen Themen gesetzt haben", sagt Weber jetzt und meint mit "wir" vor allem sich selbst. Die Frage ist nur: Was will er? Und was kann Europa dem 51-Jährigen noch bieten? 

    In Finnland reist er vor wenigen Tagen auch in Richtung Grenze zu Russland. Auf dem Marktplatz der 20.000 Einwohner zählenden Stadt Hamina werben konservative Kandidaten mit Wahlkampfzetteln für sich, einige Dutzend Bürger stehen und sitzen herum und es wird nicht so richtig deutlich, ob sie wegen des angebotenen Porridge zum Frühstück, der Blumenstände oder der Politiker gekommen sind. "Who is Weber?", fragt ein Rentner. Welcher von denen ist Weber? Kurz darauf preist der Deutsche in Jeans und Outdoorschuhen das nordische Land als Vorbild für den Rest Europas. "Wir können viel von den Erfahrungen Finnlands lernen", schallt seine Stimme blechern aus Lautsprechern. 

    Weber bereiten solche Termine Spaß. Es geht um Sicherheit und Verteidigung, Russland und um die Instrumentalisierung von Flüchtlingen in einem hybriden Krieg, Kernthemen der EVP. Die Finnen wollen Geld für einen Zaun entlang der 1343 Kilometer langen Grenze zu Russland. Weber sagt, keiner wolle Zäune, aber die Grenzen müssten geschützt werden. 

    Ausgerechnet in Finnland schließt sich der Kreis, wenn man so will. Der Gedanke streift auch Weber, als er an jenem Mittag zurück nach Helsinki fährt. Hier hatte er 2018 den EVP-internen Showdown beim Parteikongress für sich entschieden: Der Mann aus der niederbayerischen Provinz würde 2019 als Spitzenkandidat antreten, um EU-Kommissionspräsident zu werden. Dann kam bekanntlich alles anders. Er wurde bei den Beratungen der 27 Staats-und Regierungschefs ausgebootet, weil Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den CSU-Politiker, obwohl erfolgreich als EVP-Spitzenkandidat, nicht für tauglich hielt.

    Über eine Rückkehr Webers nach Bayern wird immer wieder spekuliert

    Heute scheint Weber das Trauma abgeschüttelt zu haben, zumindest nach außen. Er trägt Bart und Brille, statt des Amts des EU-Parlamentspräsidenten übernahm der Christsoziale zusätzlich zum Fraktions- auch den Parteivorsitz der EVP. Doch: Reicht das einem Machtmenschen wie ihm? Die Frage, wohin er strebt, ob an die Spitze in Brüssel oder an die in Bayern, begleitet Weber seit 20 Jahren, als er das erste Mal ins EU-Parlament gewählt wurde. Liebäugelt er damit, nach der nächsten Europawahl 2029 als EU-Kommissar in die Behörde geschickt zu werden, sollte die CDU/CSU die Bundestagswahl 2025 gewinnen? Oder will er doch zurück in den Freistaat, sozusagen als Gegenmodell zum oftmals lauten Ministerpräsidenten Markus Söder? 

    Ernsthaft stellt sich diese Frage in der CSU derzeit niemand, zu fest sitzt Söder im Sattel. Zudem dürfe man, heißt es zumindest aus dem Söder-Lager, Webers Popularität und das Gewicht der europäischen Themen beim Wähler nicht überschätzen. Entscheidend für den Ausgang der Europawahl? Sind angeblich bundes- und landespolitische Themen. 

    Ohnehin ist Weber daheim und als einer von fünf stellvertretenden Parteivorsitzenden bestenfalls die Nummer zwei hinter Söder. Der Franke demonstriert ihm immer wieder, wie die Hackordnung aussieht. So erhielt Weber beim politischen Aschermittwoch in Passau nach dem Auftritt Söders nur ein kurzes Grußwort. Beim CSU-Europaparteitag in München legte der Parteichef kurzerhand die Latte für ein erfolgreiches Abschneiden mit ihrem Spitzenkandidaten höher: Statt wie derzeit sechs Vertreter müsse die CSU künftig sieben plus x Abgeordnete stellen, forderte Söder. Dabei hängt die Anzahl nicht allein vom Abschneiden der Partei in Bayern ab, sondern auch von Faktoren wie der Wahlbeteiligung in anderen Bundesländern. Weber könnte also ohne eigenes Zutun an einem Ziel scheitern, das er gar nicht ausgerufen hat. 

    Der Niederbayer hält derartige Sticheleien aus – und rächt sich im Kleinen. Immer wieder, zumindest indirekt. Der von Söder als Ministerpräsident und CSU-Chef verdrängte Horst Seehofer ließ sich zum Beispiel kürzlich von Weber für einen Kampagnenauftritt einspannen und betonte dabei, Weber sei "der einzige CSU-Politiker, der in den letzten fünf Jahren bei einer Wahl hinzugewonnen hat". Eine mehr oder minder feine und gemeine Spitze. Umfragen legen nahe, dass die Christsozialen bei der Europawahl mit mehr als 40 Prozent unter Webers Führung zum zweiten Mal erfolgreicher sein könnten als bei den Landtagswahlen unter Spitzenkandidat Söder. 

    Weber war mal Frontmann und Leadgitarrist der Rock-Coverband Peanuts

    Weber nimmt für sich in Anspruch, Politik von den Inhalten her zu betreiben. Anders als Söder findet er fast jede Lösung für die großen Probleme dieser Zeit auf EU-Ebene. Nachdenklich, fast zurückhaltend tritt er auf. Und es ist schwer zu glauben, dass er viele Jahre als Frontmann und Leadgitarrist der Rock-Coverband Peanuts auf Faschingsbällen und in Bierzelten gespielt hat. "Lebensprägend" sei die Musik gewesen, sagt er. Da habe er gelernt, zu spüren und zu hören, was die Menschen erwarten.

    Ein Apriltag in Brüssel. Es regnet seit Stunden in Strömen. Da helfen auch die Blasmusiker nicht, die bei den frierenden Gästen des traditionellen Maibaum-Aufstellens im Innenhof der Bayerischen Landesvertretung für so etwas wie süddeutsches Flair sorgen sollen. Es gibt Leberkässemmeln und Bier, in einer Ecke drehen sich Hähnchen am Spieß. Dann reißt doch kurz der Himmel auf – just in dem Moment, in dem die Limousine der amtierenden EU-Kommissionspräsidentin vorfährt. "Mit der Ursula kommt die Sonne", sagt ein Besucher und zückt sein Handy. Von der Leyen, die Spitzenkandidatin der EVP, schaut für exakt 30 Minuten vorbei. Sie ist im Kampagnenmodus für eine zweite Amtszeit als Brüsseler Behördenchefin und klingt verdächtig nach Manfred Weber. Sie sagt: Die EVP werde "immer auf der Seite der Landwirte stehen". Sie schließt eine lose Zusammenarbeit mit den Fratelli d'Italia von Meloni nicht aus. Und sie verweist auf die drei – siehe Weber – bekannten Kriterien. Pro Europa, pro Ukraine, pro Rechtsstaat. Die Wahl wird spannend. Noch mehr, was danach passiert. Und vielleicht wird sich von der Leyen bei Weber bedanken können, sollte sie es in eine zweite Amtszeit schaffen.

    Tatsächlich dürfte Meloni eine entscheidende Rolle spielen, wenn sich nach den Wahlen im Europaparlament die politischen Lager neu sortieren. In diesem Kontext darf auch das Angebot der französischen Rechtsnationalistin Marine Le Pen an Meloni verstanden werden, "sich zu vereinen". Beide Politikerinnen gehören derzeit – noch – zwei verschiedenen Fraktionen im EU-Parlament an. Le Pens Offerte bringt Meloni in eine missliche Lage. Sie muss sich im Kern entweder für die rechtsextreme ID-Fraktion und Le Pen oder für ihre jetzige EKR-Fraktion entscheiden – und damit für Ursula von der Leyen.

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