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Lindau am Bodensee: Gleiche unter Gleichen: Wenn die Lindauer auf Nobelpreisträger treffen

Lindau am Bodensee

Gleiche unter Gleichen: Wenn die Lindauer auf Nobelpreisträger treffen

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    Der "Grill & Chill"-Abend im Rahmen der Nobelpreisträgertagung in Lindau ist die Möglichkeit für die Stadtbevölkerung, ins Gespräch mit den Wissenschaftlern zu kommen.
    Der "Grill & Chill"-Abend im Rahmen der Nobelpreisträgertagung in Lindau ist die Möglichkeit für die Stadtbevölkerung, ins Gespräch mit den Wissenschaftlern zu kommen. Foto: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings

    An sein letztes Mal in Lindau kann sich Morten Peter Meldal noch genau erinnern. Der 69-jährige Däne mit dem hellblauen Band um den Hals steht in einer Schlange und wartet darauf, sich Grillgut und Salate auf den Teller zu laden. Dann blickt er gedankenverloren über den Rand seiner viereckigen Brillengläser und deutet hinaus auf den Bodensee, der im Licht der Abendsonne rötlich schimmert: "Da habe ich die meiste Zeit verbracht, ich bin viel geschwommen." 1986 war das, zur Lindauer Nobelpreisträgertagung eingeladen, bis heute könne er sich an sein eineinhalbstündiges Gespräch mit dem russisch-belgischen Chemie-Nobelpreisträger Ilya Prigogine Wort für Wort erinnern. Nun, 37 Jahre später, kehrt Meldal nach Lindau zurück. Als Chemie-Nobelpreisträger.

    Nobelpreisträgertagung: "Grill & Chill" ein "Kennenlernen auf Augenhöhe"

    Rund 850 Menschen haben sich an diesem Dienstagabend im Lindauer Toskanapark versammelt, acht Stufen hinunter und man könnte das seichte Bodenseeufer entlangwaten. Graue Bänder sieht man viele, es sind die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, rund 600 nehmen an der 72. Nobelpreisträgertagung teil. Viele sind auf der Suche nach hellblauen Bändern, von denen sieht man vielleicht acht oder neun. Wieder andere tragen violette Bänder: Denn gegen eine Spende von 15 Euro pro Person können auch ganz gewöhnliche Lindauerinnen und Lindauer am Grillabend teilnehmen, ins Gespräch kommen, einen schönen Abend verbringen.

    2022 wurde Morten Peter Meldal mit dem Nobelpreis in Chemie ausgezeichnet. Bereits 1986 nahm er an der Tagung in Lindau teil, damals noch als "Young Scientist".
    2022 wurde Morten Peter Meldal mit dem Nobelpreis in Chemie ausgezeichnet. Bereits 1986 nahm er an der Tagung in Lindau teil, damals noch als "Young Scientist". Foto: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings

    Etwas abseits steht mit einem dunkelgrünen Band um den Hals Gräfin Bettina Bernadotte, ihr Vater war einer der Tagungsinitiatoren, sie selbst ist seit 2008 Präsidentin des Kuratoriums für die Tagungen der Nobelpreisträger in Lindau. Sie sagt: "Es macht's so viel einfacher, wenn's Wetter schön ist." Das "Grill & Chill" selbst sei auf mehreren Ebenen ein schönes Format. Die Wissenschaftler hätten abseits der Lesungen und Gesprächsrunden die Möglichkeit, sich ungezwungen auszutauschen, "und es verbindet ganz natürlich die Tagung mit der Stadt". Dem pflichtet neben der Gräfin stehend auch Beate Hein-Bennett bei, ihr Vater war ebenfalls einer der Tagungsgründer. Als Fünfjährige war sie schon 1951 bei der ersten Tagung dabei, eine "tolle Errungenschaft für die Stadt". Genauso wie der Grillabend: "Das ist ganz besonders, ein interkulturelles Treffen, ein Kennenlernen auf Augenhöhe und ohne Hierarchien."

    Der Lindauer Toskanapark direkt am Bodenseeufer bietet das perfekte Ambiente, ungezwungen in den Austausch zu kommen.
    Der Lindauer Toskanapark direkt am Bodenseeufer bietet das perfekte Ambiente, ungezwungen in den Austausch zu kommen. Foto: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings

    Auch wenn das manchmal nicht ganz leicht ist: "Da muss man entweder Glück haben oder sich in eine der Menschentrauben reinmogeln, da ist dann meistens ein Preisträger dabei", sagt Antje Böttcher lachend, sie trägt ein lilafarbenes Band. Seit "ganz grob 15 Jahren" gebe es diese Grillabende, viele Jahre habe sie sich aber nicht getraut teilzunehmen. Vergangenes Jahr sprang sie dann über ihren Schatten und wurde prompt von einem Preisträger angesprochen: Peter Agre, Chemie-Nobelpreisträger von 2003, "der hat sich in unsere kleine Lindauer Runde dazugestellt, gefragt, wie es uns so ging, und wie schön Lindau doch ist".

    "Young Scientists" dürfen nur einmal an der Lindauer Tagung teilnehmen

    Auch an diesem Dienstagabend gibt es zweierlei Menschentrauben um die Tagungsstars. Zum einen die "Normalos": An einer Biergarnitur haben sich fünf oder sechs Lilabänder um Hartmut Michel versammelt, 1988 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, ebenfalls in Chemie. Viel Gelächter, Michel hat den einen oder anderen flotten Spruch auf den Lippen, einer der Lindauer sagt mit einem offenbarenden Zucken der Mundwinkel: "Sie sind ja auch nur ein Mensch"; ein Gleicher unter Gleichen.

    Zum anderen sind da die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die Fragen zu den Themengebieten haben oder, wie Morten Peter Meldal schildert: "Die meisten sorgen sich um ihre Zukunft und haben Fragen, wie sie aussehen könnte." Einige von ihnen aber unterhalten sich mit Menschen, die hellgrüne Bänder tragen; Gastfamilien, die einen Teil der 600 Nachwuchskräfte beherbergen und zum Dank zu diesem Abend geladen wurden.

    Gespräche "auf Augenhöhe und ohne Hierarchien" am Grillabend der Lindauer Nobelpreisträgertagung im Toskanapark.
    Gespräche "auf Augenhöhe und ohne Hierarchien" am Grillabend der Lindauer Nobelpreisträgertagung im Toskanapark. Foto: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings

    Eine von ihnen ist Petra Neuser. Sie und ihre Familie beherbergen bereits zum vierten Mal "Young Scientists". In diesem Jahr wohnt ein Indonesier bei ihr: "Bislang waren das alle nette Menschen, von denen wir aber nicht viel mitbekommen." Der Grillabend ist dafür mit dem legeren Ambiente die passende Gelegenheit, einmal ins Gespräch miteinander zu kommen, "die haben die ganze Woche Programme von sieben bis 22 Uhr, viel Zeit für Unterhaltungen ist da nicht". Denn für die Nachwuchsforschenden ist die Zeit in Lindau eine einmalige Gelegenheit, im wahrsten Sinne des Wortes: Zeit ihres Lebens dürfen sie nur ein einziges Mal an den Tagungen in Lindau teilnehmen. Es gibt nur ein einziges Schlupfloch für eine Rückkehr an den Bodensee: den Nobelpreis zu gewinnen. So wie Morten Peter Meldal eben.

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