Frau Makosch, was sorgt für Stress?
Mareike Makosch: Einerseits äußere Einflüsse, also Stressoren. Vor allem aber meine Reaktion auf sie. Stressoren sind etwa Zusatzaufgaben auf der vollen To-Do-Liste, die Erwartung des Chefs oder der Familie, das angebrannte Festessen, die Erkrankung der Kollegin, der Umzug. Doch am Ende liegt es an mir, ob mich die Stressoren beeinflussen oder nicht. Die gute Nachricht ist: Ich kann daran arbeiten, mich diesen äußeren Reizen nicht mehr ausgeliefert zu fühlen.
Wie soll man sich diesen Stressoren entziehen, wenn man mitten drinsteckt?
Makosch: Indem man sich ehrlich fragt: Was überfordert mich gerade? So drehe ich den Spieß um und bin nicht mehr Ausgelieferte, sondern Handelnde. Warum sage ich den Termin nicht ab? Und wenn die Situation sich nicht ändern lässt: Muss ich immer alles perfekt machen? Will ich immer beliebt sein und es allen recht machen? Hab’ ich ein Problem, „Nein“ zu sagen? Wenn ich meinen Glaubenssatz gefunden habe, kann ich weiterfragen: Hilft oder schadet er mir?
Sie sprechen am 20. November beim jährlichen Lehrermedientag. 28 Kinder in einem Klassenzimmer, unterschiedliche Bedürfnisse, Lärm, Unruhe - das hat doch nichts mit Glaubenssätzen zu tun, ob ich da gestresst reagiere. Sondern mit Überreizung.
Makosch: Lärm ist ein gutes Beispiel. Jeder Mensch nimmt ihn unterschiedlich wahr. Und auch der Einzelne stört sich je nach Tagesform mehr oder weniger daran. Wenn man hier mit einem positiveren Glaubenssatz ansetzt, zum Beispiel „Eigentlich mag ich Kinder und meinen Job“, geht man mit der Zeit prinzipiell gelassener mit Stresssituationen um.
Wie klappt dieser Perspektivwechsel?
Makosch: Eine Blaupause für jede stressige Situation gibt es nicht. Deshalb ist es sinnvoll, seine Resilienz zu trainieren, indem ich mir eine Art mentalen Werkzeugkoffer einrichte. Damit, sinnbildlich gesprochen, ich einen Nagel nicht mit der Faust in die Wand schlage, sondern überlege, welches Tool aus meinem Koffer ich jetzt gebrauchen könnte.
Was gehört in diesen Werkzeugkoffer?
Makosch: Es gibt eine Übung, die sogenannte „4-7-8-Atmung“: Sie aktiviert in kurzer Zeit das autonome Nervensystem, und wir beruhigen uns. Auf vier Schläge durch die Nase einatmen, auf sieben Schläge den Atem anhalten und acht Schläge lang ausatmen. Da passiert Folgendes: um auf sieben zu halten, muss man tief bis in den Bauch einatmen. Den Körper mit Atem zu versorgen, beruhigt immer. Und wenn ich meinen Kopf zwinge, zu zählen, kann ich in dem Moment an nichts anderes denken. Auf die Weise gewinnt man wieder die Kontrolle über sich und wird nicht von seinen Emotionen beherrscht.
Was kann ich noch trainieren?
Makosch: Ein Rundumschlag-Tool ist das Dankbarkeitstagebuch: Wer oder was hat mir heute Freude bereitet? Was habe ich Schönes erlebt? Jeden Tag konsequent drei Dinge aufschreiben. Wobei das Aufschreiben wichtig ist. Denn die negativen Erlebnisse bleiben von alleine hängen, die guten vergisst man.
Warum eigentlich?
Makosch: Das ist der Negativitätseffekt und hat einen evolutionsbiologischen Hintergrund: Für unsere Vorfahren war es wichtig, Gefahren schneller zu erkennen. Wenn ein Raubtier im Gebüsch raschelt und ich sehe nur den Sonnenuntergang, überlebe ich das nicht. Heute sind wir solchen Gefahren nicht mehr ausgesetzt. Doch unser Gehirn hat noch immer einen Fokus auf negative Reize. Wir müssen uns also aktiv bemühen, positive Dinge wahrzunehmen und zu speichern.
Gibt es noch ein Werkzeug für den Koffer?
Makosch: Ja, das Sorgenfenster. Der Rat „Hör auf zu grübeln!“ hat den gleichen Effekt wie „Denk nicht an rosa Elefanten“. Ich kann dem Gehirn aber vorschreiben, wann es grübeln darf: Indem ich einen schweren Gedanken aufschreibe. Das signalisiert dem Gehirn: Der Gedanke ist gesichert, ich muss ihn nicht mit mir herumtragen. Irgendwann nehme ich mir zehn Minuten für meine Sorgenliste und darf grübeln. Zum einen haben sich bis zum Zeitpunkt des Grübelns erstaunlich viele Probleme geklärt. Und zweitens bekommt man auch hier wieder ein Gefühl der Kontrolle zurück.
Und diese Tools helfen?
Makosch: Nicht sofort. Ich muss das trainieren. Je öfter ich übe, desto sicherer kann ich die Tools in Stresssituationen abrufen. Meistens erwarten wir ja von anderen, sich zu ändern. Die Schüler sollen sich benehmen, das Kind soll Hausaufgaben machen. Doch das Verhalten der anderen habe ich nicht im Griff. Was ich tun kann, ist, an meinem Verhalten zu arbeiten.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Nürnberger Presse zum Abdruck im Rahmen der Lehrermedientag-Berichterstattung 2024.
Zur Person:
Sie war zuerst Journalistin, dann hat sie ein Psychologie-Studium draufgesetzt: Die Hamburgerin Mareike Makosch (38) kennt Stress im Beruf nur zu gut. Zusätzlich arbeitet sie als Resilienzcoach.
Lehrermedientag am 20. November
„Krisenfest im Klassenzimmer: Tipps für mehr Gelassenheit im Schulalltag“ lautet der Vortrag, den Mareike Makosch am diesjährigen Lehrermedientag halten wird. Die Fortbildungsveranstaltung für Lehrkräfte wird am Buß- und Bettag, 20. November, von 9 bis 11 Uhr live aus dem Studio der Mediaschool München gestreamt. Der Lehrermedientag ist ein kostenloses Angebot der bayerischen Tageszeitungen. Veranstalter ist der Verband bayerischer Zeitungsverleger. Der Tag steht unter dem Motto: „Digitale Resilienz: Vom guten Umgang mit schlechten Nachrichten“. Interessierte können sich anmelden unter lehrermedientag.de.
Auch unsere Redaktion bietet eine Veranstaltung am Lehrermedientag: Generationenforscher Rüdiger Maas wird sein neues Buch „Konflikt der Generationen. Boomer, Gen X, Millennials und Gen Z – Wie wir uns wirklich unterscheiden und was das für unsere Zukunft bedeutet“ vorstellen und dazu Fragen beantworten. Zuvor zeigen wir den Stream aus der Mediaschool München. Lehrkräfte können sich für die Veranstaltung von 8.45 Uhr bis 12.45 Uhr im Kundencenter in der Augsburger Maximilianstraße 3 per Mail an chefredaktion@augsburger-allgemeine.de anmelden.
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