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Lesetipp: Befristet angestellte Lehrkräfte: "Ich fühle mich wie ein Wegwerfprodukt"

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Befristet angestellte Lehrkräfte: "Ich fühle mich wie ein Wegwerfprodukt"

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    An Grund- und Mittelschulen sind die meisten Lehrkräfte befristet.
    An Grund- und Mittelschulen sind die meisten Lehrkräfte befristet. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Hannes Westermann (Name geändert) steht wieder einmal mit leeren Händen da – ohne Job, ohne die Gewissheit, wo er nach den Sommerferien unterrichten wird. In den vergangenen Jahren hat er an verschiedenen Real- und Mittelschulen in Schwaben gearbeitet. Die Arbeitsverträge waren stets befristet – für ein, mal zwei und auch einmal drei Jahre. Weil er nie eine Festanstellung als Fachlehrer in Aussicht bekam, musste er zwischen privaten und staatlichen Einrichtungen wechseln. "Das geht nun seit zwölf Jahren so. Ich fühle mich wie ein Lückenbüßer – wie ein Wegwerfprodukt", sagt er.

    So geht es auch anderen Lehrkräften an Bayerns staatlichen Schulen. 6837 Kräfte sind dort im Moment befristet angestellt ohne die Sicherheit eines Beamtenstatus oder eines festen Vertrags. Die meisten sind an Grund- und Mittelschulen, nämlich 2472, wie eine Statistik des Kultusministeriums zeigt. Gerade jetzt fühlt sich das für viele von ihnen an wie Hohn – wo an Grund- und Mittelschulen akuter Lehrkräftemangel herrscht und sich an Realschulen ein Engpass abzeichnet.

    Wird nicht gegengesteuert fehlen allein an Mittelschulen in den nächsten fünf Jahren mehr als 2100 ausgebildete Lehrkräfte. An den Förderschulen wird die Mangelverwaltung erst zum Schuljahr 2027/2028 enden. War die Lage an Realschulen bis zuletzt noch vergleichsweise angenehm, stehen den Einrichtungen harte Jahre bevor, weil zu wenige neue Lehrkräfte die Unis verlassen. Bis 2025 dürften rund 500 Kräfte fehlen.

    Nicht alle befristet Angestellten sind ausgebildete Lehrkräfte

    Um die Statistik mit über 6800 Befristungen richtig einzuordnen, muss man wissen: Oft handelt es sich nicht um voll ausgebildete Lehrkräfte. Sogenannte Teamlehrer, die in Corona-Zeiten etwa Lehrkräfte mit Vorerkrankungen vertreten, selbst aber nicht immer ein Lehramtsstudium haben. Personal, das in sogenannten Brückenkursen eingesetzt wird, bekommt ebenso keinen festen Vertrag. Ihre Stellen wurden sogar extra neu geschaffen. Das Programm läuft noch ein Schuljahr lang und soll Lerndefizite aus der Corona-Pandemie ausgleichen. Und natürlich sind auch Schwangerschaftsvertretungen befristet. Der Unterschied zu Leuten wie Hannes Westermann: Diese Angestellten wissen von vornherein, dass ihre Zeit an der Schule begrenzt sein wird. Westermann hofft jedes Jahr aufs Neue.

    Er mache seit Jahren "denselben Job" wie seine Kollegen, nur für viel weniger Gehalt und ohne Sicherheit. Viel Frust hat sich bei ihm aufgestaut. "Ich bin ein leidenschaftlicher Lehrer, habe im Verlauf der Jahre viele Projekte mit meinen Schülerinnen und Schülern umgesetzt." Er zeigt Fotos von Longboards, Geländewagen, Jeeps oder Baumaschinen aus Holz, die seine Schüler mit ihm im Unterrichtsfach Werken gefertigt haben. Nach seiner Schullaufbahn habe er eine Meisterausbildung im Handwerk absolviert und gearbeitet, bis er den Beruf aufgrund einer schweren Operation aufgeben musste. Danach folgte die Ausbildung zum Fachlehrer am Staatsinstitut, die er zwar mit dem ersten, aber ohne das zweite Staatsexamen abschloss.

    Dass Westermann sein zweites Staatsexamen nicht absolviert hat, ist ein Grund dafür, dass er in Bayern nicht verbeamtet wird. Aber eine Beamtenstelle wolle er ja gar nicht. Ein unbefristeter Angestelltenvertrag wäre sein Wunsch, eine Zukunftsperspektive.

    "Ich werde jedes Jahr verabschiedet", sagt eine angestellte Lehrerin

    Genauso geht es Andrea Mühlhauser (Name geändert). Sie arbeitet Teilzeit an einer Mittelschule in Südbayern. Seit sieben Jahren hangelt sie sich von Jahresvertrag zu Jahresvertrag. "Ich werde jedes Jahr wieder von meiner Schule verabschiedet", erzählt sie. "Jedes Jahr wusste ich in den Sommerferien nicht, ob ich wieder angestellt werde. Ich möchte nach so vielen Jahren endlich einen unbefristeten Vertrag.“

    Mittlerweile weiß sie, dass sie weiter an ihrer Schule arbeiten kann – aber nach aktuellem Stand wieder nur für ein Jahr. Auch Mühlhauser hat nur das erste Staatsexamen absolviert, aus familiären Gründen. Ihre Berufserfahrung gleiche das aus, findet sie. "Sieben Jahre lang war ich gut genug, um sogar eine Klassenleitung zu übernehmen. Ich fühle mich nicht wertgeschätzt.“

    Wie viele Lehrer zum nächsten Schuljahr fehlen, ist noch nicht bekannt.
    Wie viele Lehrer zum nächsten Schuljahr fehlen, ist noch nicht bekannt. Foto: Matthias Bein, dpa

    16 Wochenstunden Unterricht, mit Vorbereitung, Zusatzarbeiten und Korrekturen seien das 40 Stunden Arbeitszeit, erzählt Mühlhauser. Rund 1350 Euro netto verdient sie nach eigenen Angaben – deutlich weniger als ihre verbeamteten Kolleginnen und Kollegen. "Meine Arbeit unterscheidet sich dabei überhaupt nicht von der eines verbeamteten Lehrers." Ihr Antrag auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis liege schon über ein Jahr zurück. Nun wartet sie auf einen Bescheid des Kultusministeriums. "Ich wünsche mir, dass praktische Erfahrungen mehr anerkannt und im Dienst erprobte Lehrkräfte so bald wie möglich fest angestellt werden – auch, um dem Personalmangel besser entgegentreten zu können."

    Für das kommende Schuljahr, das am 13. September beginnt, hat der Freistaat kurzfristig 1620 zusätzliche Vollzeitstellen geschaffen – unter anderem, um 30.000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine zu unterrichten. Bewerberinnen und Bewerber zu finden ist schwer Mit der Werbekampagne "Zukunft prägen – Lehrer werden" wirbt das Ministerium um neue Kräfte – auf Plakaten, auf TikTok, im Fernsehen. Was Lehrkräfte wie Hannes Westermann nicht verstehen: Warum sichert sich das Kultusministerium ihre Dienste nicht, warum riskiert es, dass sie irgendwann frustriert kündigen?

    Die Opposition im Landtag kritisiert den Umgang mit langzeitbefristeten Lehrkräften schwer. "In der jetzigen Situation kommt es auf jeden an", sagt Gabriele Triebel, bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag. "Über Jahre hinweg befristete Angestellte haben sich längst bewiesen. Das Ministerium bekommt hier gute Lehrkräfte auf dem Silbertablett präsentiert." Der Umgang mit ihnen sei "bodenlos". Es sei an der Zeit für ein Entfristungsprogramm.

    Schulen müssen wegen Personalmangels wohl Stunden streichen

    In den Schuljahren 2019/2020 und 2020/2021 hatte das Ministerium ein solches Sonderprogramm gestartet. Langjährig befristete, voll ausgebildete Lehrkräfte konnten sich auf eine unbefristete Übernahme bewerben. 808 von ihnen wurden fest eingestellt. Ist eine Neuauflage dieses Programms denkbar angesichts des Lehrermangels? "Entfristungen werden derzeit geprüft", lautet die Antwort aus München. "Über die Einzelheiten wird im Verlauf des Schuljahrs 2022/2023 zu entscheiden sein."

    Wie viele Lehrkräfte zum Schulstart am 13. September fehlen, wusste man im Kultusministerium vergangene Woche noch nicht. "Belastbare Angaben, wie sich die Unterrichtsversorgung zu Beginn des Schuljahres darstellen wird, sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich", sagte ein Ministeriumssprecher Ende vergangener Woche. Derweil stellen sich die Schulen darauf ein, im Herbst Stunden wegen Personalmangels streichen zu müssen.

    Für Lehrkräfte wie Hannes Westermann ist das schwer zu ertragen. Er hat in den vergangenen Wochen wieder einmal Bewerbungen an Schulen und Schulämter geschickt. Einen Vertrag hat er bis heute noch nicht unterschrieben.

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