Über kein anderes Pflanzenschutzmittel wurde in den vergangenen Jahren und wird bis heute so heftig diskutiert. Nicht einmal Wissenschaftler sind sich einig. Die EU-Kommission hat den Streit nun neu entfacht, nachdem sie am Mittwoch empfahl, Glyphosat für den EU-Markt für weitere zehn Jahre zuzulassen. Am heutigen Freitag wandert der entsprechende Verordnungsentwurf in den Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel. Dort beraten verschiedene Experten und Vertreter der Mitgliedstaaten den Vorschlag, der laut Brüsseler Behörde „auf wissenschaftlichen, soliden Informationen“ basiere, die die verschiedenen beteiligten Wirkstoffe berücksichtigten.
Ob das die Länder zu einem klaren Ja überzeugen wird, ist offen, wobei der Widerstand vor allem aus Deutschland kommt. Für den 13. Oktober ist die Abstimmung angesetzt. Damit die europäischen Bauern Glyphosat nach dem 15. Dezember – dann läuft die Zulassung aus – weiterhin benutzen dürfen, braucht es eine qualifizierte Mehrheit. Das bedeutet, dass 15 von 27 EU-Ländern zustimmen müssen, wobei diese zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen müssen. Sollte keine qualifizierte Mehrheit dafür oder dagegen votieren, kann die Kommission eine Berufungsinstanz anrufen. Bringt auch diese kein Ergebnis, darf die Behörde selbst entscheiden – wie schon im vergangenen Jahr geschehen, als sie die Zulassung um ein Jahr verlängerte.
Der Einsatz von Glyphosat wird an Bedingungen geknüpft
Jetzt knüpft sie den Einsatz an Bedingungen. Bauern sollen etwa einen mindestens fünf Meter breiten Pufferstreifen einhalten, wenn sie das Mittel auf ihren Böden verwenden. Für zahlreiche Landwirte stellt Glyphosat eine Allzweckwaffe dar. Sie bespritzen mit dem Pflanzengift ihre Felder mit der Folge, dass der Wuchs von Wildkräutern gestört wird und alle grünen Pflanzenteile absterben. Danach beginnen sie, Weizen, Roggen oder Gerste auszusäen. Glyphosat hat nur dann keine Wirkung, wenn Pflanzen genetisch so verändert sind, dass ihnen der radikale Zerstörer nichts anhaben kann.
Der Kommissionsentwurf löste in Brüssel gemischte Reaktionen aus. Während der CDU-Europaparlamentarier Norbert Lins von einem „wichtigen Schritt für die Landwirtschaft“ sprach, da die Bauern Planungssicherheit bräuchten, zeigten sich die Grünen empört. Die EU-Kommission setze die Gesundheit von Millionen von EU-Bürgern für weitere zehn Jahre aufs Spiel, kritisierte die Europaabgeordnete Jutta Paulus. „Während Opfer des Giftstoffs in den USA erfolgreich gegen Bayer Monsanto klagen, droht Europa Konzerninteressen über die Gesundheit von Mensch und Natur zu stellen“, sagte die Pharmazeutin.
Die WHO stuft Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend" ein
Zwar werden glyphosathaltige Pestizide inzwischen von zahlreichen Chemieunternehmen weltweit hergestellt, doch seit der Übernahme von Monsanto durch den deutschen Konzern Bayer nimmt das Leverkusener Unternehmen eine Schlüsselrolle ein. Und muss sich in Amerika gegen Tausende von Klagen von Menschen wehren, die den Konzern für ihre Krebserkrankung verantwortlich machen. Obwohl Bayer stets bestritten hat, dass Glyphosat krebserregend ist, hat es bereits Milliarden Euro für Vergleiche ausgegeben. „Die Vergiftung der Umwelt, das folgende Artensterben und die Erkrankungen von Millionen Menschen sind evident“, sagte Paulus.
Für die Pestizid-Gegner stellt sich die Sache weniger eindeutig dar. So stufte etwa die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Glyphosat 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kam dagegen bei ihrer Risikobewertung zu dem Ergebnis, dass es bei der Verwendung von Glyphosat für Mensch, Tier oder Umwelt „keinen Anlass zu Bedenken“ und „keine kritischen Problembereiche“ gebe.