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Landtagswahl 2023: Bild der "Verbotspartei": Bei den Grünen ist nicht mehr alles im grünen Bereich

Landtagswahl 2023

Bild der "Verbotspartei": Bei den Grünen ist nicht mehr alles im grünen Bereich

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    Wie schon 2018 treten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann bei der Landtagswahl als Spitzenduo für die Grünen an.
    Wie schon 2018 treten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann bei der Landtagswahl als Spitzenduo für die Grünen an. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Es ist heiß an der Isar an diesem Montagmittag, eindeutig zu heiß für Mitte September. Aber das Wetter passt zu dieser Veranstaltung der Grünen. Am „Kulturstrand“ an der Corneliusbrücke in München, nach eigenem Verständnis ein Sehnsuchtsort für hektische, arbeitsgeplagte Städter, werden eilig noch ein paar Sonnenschirme aufgebaut. Es gibt kühle Getränke und ein vegetarisches Buffet. Auf den Stühlen liegen überall grüne Bierdeckel herum mit der Aufschrift: „Klima ist wie Bier: Zu warm ist es Mist.“ Katharina Schulze und Ludwig Hartmann, die beiden Spitzenkandidaten der Grünen für die Landtagswahl, haben sich – jeder für sich – einen Platz im Schatten gesucht. Sie feilen noch an ihren Statements für die Pressekonferenz, die hier in wenigen Minuten beginnt. Eine „Hommage an die Heimat“ ist angekündigt. Schulze und Hartmann wollen ihre Klimaschutzpolitik für Bayern erklären. Doch die mediale Aufmerksamkeit ist überschaubar: ein Kamerateam vom ZDF, ein Radioreporter vom Bayerischen Rundfunk, nicht mal eine Handvoll schreibender Journalisten. Zum Vergleich: Vergangene Woche kamen zu den Presseterminen rund um die Flugblatt-Affäre von Hubert Aiwanger (Freie Wähler) meist mehrere Dutzend Journalisten und Kamerateams aus Bayern, dem Rest der Republik und sogar aus dem Ausland. 

    Derzeit überlagert Aiwangers Flugblatt-Affäre alles

    Die Flugblatt-Affäre überlagert aktuell alles. Für die bayerischen Grünen allerdings ist es schon Monate vorher schwieriger geworden, mit ihrem zentralen Thema – Klimaschutz und Klimaanpassung – durchzudringen. Der stetige Aufschwung, den die Öko-Partei in den vergangenen Jahren nahm, trägt offenkundig nicht mehr. Umfragewerte nahe 20 Prozent wie noch zum Jahreswechsel scheinen unerreichbar. Seit der Debatte über das Gebäudeenergiegesetz der Bundesregierung stehen die Grünen auch in Bayern in weiten Teilen der öffentlichen Meinung mit dem Rücken zur Wand – insbesondere in ländlichen Regionen.

    Original und Plakat-Version: Ludwig Hartmann und Katharina Schulze von den bayerischen Grünen.
    Original und Plakat-Version: Ludwig Hartmann und Katharina Schulze von den bayerischen Grünen. Foto: Sabina Crisan, dpa

    Aus den netten Grünen, die es gut meinen mit Menschen und Natur, sind in den Augen vieler Leute die bösen Grünen geworden, die ihnen das Fleischessen und das Autofahren vermiesen, ihnen anzügliche Witze verbieten und ihnen die Ölheizung wegnehmen wollen. Ihre härtesten politischen Gegner – CSU, Freie Wähler, AfD und häufig auch die FDP – lassen keine Gelegenheit aus, dieses Bild von der „Verbotspartei“ zu befördern.

    Schulze und Hartmann verdoppelten 2018 das Ergebnis für die Grünen

    Dagegen kämpfen Schulze und Hartmann an. Es ist ihr zweiter Landtagswahlkampf als Spitzenduo. Ihr erster war ein grandioser Erfolg. Im Herbst 2018 gaben 17,6 Prozent der bayerischen Wählerinnen und Wähler den Grünen ihre Stimme. Sie konnten damit ihr Ergebnis im Vergleich zum Jahr 2013 mehr als verdoppeln und wurden zweitstärkste Kraft im Landtag. Ihr erklärtes Ziel aber, als Partner der CSU in einer Koalition mitzuregieren, verpassten sie. CSU-Chef Markus Söder entschied sich nach der Wahl für eine Koalition mit Aiwanger und den Freien Wählern. Dieses Mal hat er die Entscheidung für Aiwanger schon vor der Wahl getroffen. Keinesfalls mit den Grünen! – so lautet sein Credo. Die Folge für Schulze und Hartmann: Anders als 2018, haben sie dieses Mal nicht einmal eine theoretische Machtoption, zumal Söder im Falle eines Zerwürfnisses mit Aiwanger auf eine jederzeit bereite SPD zurückgreifen könnte. 

    Scharfer Gegenwind, schlechte Stimmung, keine Chance auf eine Regierungsbeteiligung – in den Reden der Grünen am „Kulturstrand“ an der Corneliusbrücke in München ist davon nichts zu spüren. Schulze und Hartmann tun, was sie immer tun: Sie benennen Probleme, argumentieren, machen Lösungsvorschläge. 

    Über Verbote reden die beiden grünen Wahlkämpfer nicht

    Schulze spricht über die Wasserknappheit in Bad Königshofen, einem 7000-Einwohner-Städtchen im unterfränkischen Landkreis Rhön-Grabfeld. Dort ist es, weil es schon viel zu lange nicht mehr ausreichend geregnet hat, seit Anfang Juni verboten, einen Swimmingpool zu befüllen, den Rasen zu sprengen, privat ein Auto zu waschen oder landwirtschaftlich genutzte Flächen zu gießen. Alle müssten sich einschränken, habe der dortige CSU-Bürgermeister gesagt, berichtet Schulze und betont: „Die Klimakrise und ihre Folgen schränken unsere Freiheit schon heute ein.“ Bad

    Hartmann listet auf, welche Kosten bereits jetzt aus der Erdüberhitzung und den dadurch verstärkten Extremwettereignissen entstehen. Alleine die Flutkatastrophe im Ahrtal und die Dürresommer in den Jahren 2018 und 2019 hätten in Deutschland Schäden in Höhe von 35 bis 40 Milliarden Euro verursacht. „Das ist die Hälfte des bayerischen Staatshaushalts“, sagt Hartmann. Bis zum Jahr 2050, so warnt er, könnten sich die Klimaschäden auf bis zu 900 Milliarden Euro summieren. „Nichtstun kostet. Klimaschutz rechnet sich. Das wissen wir auch von unseren Unternehmen. Die sind alle schon deutlich weiter als die bayerische Staatsregierung“, sagt Hartmann und fügt hinzu: „Die Technik für die Energiewende ist da. Die Lösungen liegen auf dem Tisch – Bayern muss sie nur endlich umsetzen.“ 

    Über Verbote reden die beiden Wahlkämpfer nicht. Sie wollen Angebote machen und zeigen sich dabei durchaus kreativ. Unter anderem schlagen sie vor, die Energiewende den Kindern zu schenken: „Jedes Windrad auf Staatsgrund und jede Solaranlage, die auf einem staatlichen Dach errichtet wird, schenken wir in Form von Anteilsscheinen allen Babys. Die Kinder können dann zum 18. Geburtstag mit einer anständigen Rendite für ihr Klima-Sparbuch rechnen.“ 

    Alle sollen „kräftig mitverdienen an Windkraft- und Solaranlagen“

    Die Botschaft, mit der sie Wählerinnen und Wähler davon überzeugen wollen, dass Wohlstand und Ökologie zusammengehen, ist einfach: Alle sollen „kräftig mitverdienen an Windkraft- und Solaranlagen“. Was früher Petro-Dollars waren, sollen künftig Wind-Euros sein. Der Staat soll Städte und Gemeinden bei Erneuerbare-Energie-Projekten unterstützen. Die Kommunen sollen die Erlöse verwenden, um Schwimmbäder, Fußballplätze, Busse oder zusätzliche Erzieher für die Kita zu finanzieren, was letztlich allen Bürgerinnen und Bürgern zugute kommen soll. Außerdem schlagen sie vor, eine kostenlose staatliche Klimaberatung für Hauseigentümer, Unternehmen und Kommunen einzurichten. Und sie fordern, ein staatliches Unternehmen, die „Bayern-Energie“, zu gründen, das sich um den Ausbau der völlig unzureichenden Stromnetze, um Wasserkraftwerke und Erdwärme-Projekte kümmern soll. 

    Nur Ideen zu haben freilich reicht nicht aus in einem Wahlkampf. Man muss sie auch unter die Leute bringen. Das allerdings, so geben die beiden Kandidaten zu, sei deutlich schwieriger geworden. „Dieser

    Noch zum Jahreswechsel konnten sich Katharina Schulze und Ludwig Hartmann in Umfragewerten von fast 20 Prozent sonnen.
    Noch zum Jahreswechsel konnten sich Katharina Schulze und Ludwig Hartmann in Umfragewerten von fast 20 Prozent sonnen. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Die Antwort der Grünen aber ist dieselbe wie vor fünf Jahren. Sie wollen sich treu bleiben. „Wir können nur versuchen, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen“, sagt Schulze. Wenn andere den Menschen Angst machen, dann müssten die Grünen versuchen, den Menschen Mut zu geben. Hartmann sagt: „Ich bin felsenfest überzeugt: Aufklärung ist die beste Freundin der Demokratie, Populismus ist ihr Feind.“ 

    Hartmann: "Was man liebt, das spaltet man nicht"

    Wie er das in der Praxis umzusetzen versucht, beschreibt er an einem Phänomen, mit dem die Grünen in diesem Wahlkampf zum ersten Mal konfrontiert sind – dem angeblichen Stadt-Land-Gegensatz, der vor allem in der Propaganda der Freien Wähler nach vorne gestellt wird. Hartmann räumt ein, dass die Grünen in den ländlichen Regionen schon einmal präsenter waren mit bekannten Biobauern wie Sepp Daxenberger oder Sepp Dürr an der Spitze. Heute treten beide Spitzenkandidaten in München an, das sich zu einer grünen Hochburg entwickelt hat. 

    Einer Spaltung zwischen Stadt und Land das Wort zu reden, wie Aiwanger das tue, halte er für „wahnsinnig gefährlich“, sagt Hartmann. „Was man liebt, das spaltet man nicht.“ Das sage er den Leuten auch bei jeder Gelegenheit. Und wenn es konkret wird, etwa beim Klimaschutz, habe er da auch zugkräftige Argumente. „Die größten Chancen bietet die Energiewende den Menschen im ländlichen Raum.“ Dort gebe es Platz für Windräder, Dächer für Solar- und PV-Anlagen. Wer ein eigenes Haus hat, könne mehr tun und am Ende, wenn die Rahmenbedingungen endlich stimmen würden, davon auch profitieren. Wer in der Stadt zur Miete wohnt, könne das nicht.

    Von „20 Prozent plus ein dickes X“ spricht Hartmann nicht mehr

    Von „20 Prozent plus ein dickes X“, wie noch im Januar, spricht Hartmann nicht mehr. Die Ausgangslage habe sich verändert, auch weil die Bundesregierung es nicht verstanden habe, ihre Erfolge nach vorne zu stellen. Die Gaskrise im Winter sei gemeistert worden, der Preis sei wieder deutlich gefallen, niemand habe – entgegen der düsteren Prognosen der Union im vergangenen Herbst – frieren müssen. Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung bescheinige der Ampelregierung zudem weitaus bessere Ergebnisse, als in der öffentlichen Meinung zur Kenntnis genommen würden.

    Darüber und über ihre Ideen für Bayern versuchen die grünen Spitzenkandidaten im Wahlkampf zu reden. Schulze sagt: „Man gewinnt die Menschen nicht, indem man nur schimpft und motzt und den Teufel an die Wand malt.“ Gerade seit der Affäre um Aiwanger spüre sie, dass bei den Wählerinnen und Wählern „der Wunsch nach einer anständigen Politik“ größer geworden sei. Darum geht es nach ihren Worten im Kern – um Anstand, Respekt, eine klare Haltung zur Demokratie und zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.

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