Ein nie da gewesener Skandal wegen eines festgenommenen AfD-Politikers hat die erste Sitzung des Bayerischen Landtags nach der Wahl überschattet. Die Parlamentarier wählten ungeachtet dessen am Montag Ilse Aigner (58) erneut zur Landtagspräsidentin. Dagegen scheiterte die AfD zum zehnten Mal seit 2018 mit einem Kandidaten für das Amt des Landtagsvizepräsidenten. Der Nürnberger Matthias Vogler kam gerade einmal auf 29 Stimmen - also zwei weniger als die anwesenden AfDler.
Auf die CSU-Politikerin Aigner entfielen in der geheimen Abstimmung 164 Ja-Stimmen und acht Nein-Stimmen. Es gab 27 Enthaltungen. 200 Abgeordnete hatten abgestimmt, drei fehlten, ein Stimmzettel wurde nach Angaben von Alterspräsident Paul Knoblach (Grüne) für ungültig erklärt. Bei ihrer ersten Wahl zur Landtagspräsidentin vor fünf Jahren hatten 198 der damals 205 Abgeordneten für Aigner gestimmt.
In ihrer Rede dankte Aigner für ihre Wiederwahl, sie nehme die "Aufgabe in Demut an". Sie betonte, eine Präsidentin aller Fraktionen sein zu wollen: "Ich bin Ihnen verpflichtet, fühle mich Ihnen verpflichtet. Parteipolitisch neutral." Zugleich werde sie aber auch im Sinne der Demokratie Haltung zeigen.
An die Abgeordneten aller Fraktionen gerichtet, warb Aigner für eine lösungsorientierte Politik, die "ganz konkrete Lösungen" für die Probleme der Menschen liefere, und nicht nur "Stimmungsmache, Rauflust und Radau". Der Wahlkampf müsse vorbei sein, es brauche endlich wieder eine Politik gegen die Angst und gegen Populismus.
Der Landtag sei kein "Drehort für den eigenen Social-Media-Kanal. Keine Bühne für Polit-Theater", betonte Aigner. Sie kündigte ein konsequentes Vorgehen gegen jede Herabwürdigung des Parlaments an. Um Fehlverhalten von Abgeordneten strenger sanktionieren zu können, schlug Aigner unter anderem die Einführung finanzielle Einbußen "in letzter Konsequenz" vor.
"Die Demokratie ist in Bedrängnis", sagte Aigner. Alle Demokraten seien daher gefordert, sie zu verteidigen und widerstandsfähiger zu machen. Mit Blick auf die Lage in Israel sagte Aigner jeder Form des Antisemitismus den Kampf an.
Eröffnet hatte die Sitzung der Grünen-Politiker Knoblach (69), der in seiner Rede vor einer Spaltung des Landes warnte: "Was wir in den letzten Monaten gesehen und gehört haben, steht unserem schönen Bayern nicht zu Gesicht. Populismus trennt immer, er verbindet nie. Populismus will Probleme aufbauschen und nicht sie lösen." Wenn Demokraten wie Rechtspopulisten sprächen, sei mindestens ein Fenster zerbrochen. "Dann sind wir alle gefragt: Reparieren wir das Fenster schnellstmöglich, indem wir den Rechten das Stoppschild zeigen."
Knoblach ist der älteste Abgeordnete, der sogenannte Alterspräsident. Neben ihm nahmen der zweit- und der drittjüngste Abgeordnete Platz: Franz Schmid (23) von der AfD und Kristan von Waldenfels (23) von der CSU. Der jüngste Abgeordnete, Daniel Halemba (22) von der AfD, fehlte: Er war seit Tagen per Haftbefehl gesucht und am Montag verhaftet worden.
Die Festnahme markiere etwas "nie Dagewesenes" betonte Aigner. Anders als von der AfD behauptet, könne weder das Parlament noch sie selbst als Landtagspräsidentin Einfluss auf die Entscheidungen der Justiz nehmen. Die Reaktion der AfD-Fraktionsspitze auf die Festnahme sei ein "gezielter Angriff auf die Institutionen unserer Demokratie".
Die AfD-Reaktion, so Aigner, zeige ein inszeniertes Muster bestehend aus der Umkehr der Täter-Opfer-Relation, einem völkischen Unterton und habe zum Ziel, "das Vertrauen in die demokratischen Institutionen zu zerstören". Alle Demokraten seien aufgefordert, dem etwas entgegenzusetzen. "Benennen wir die Angriffe als das, was sie sind: Es sind Verschwörungsmythen", sagte Aigner.
Im Gegensatz zu Vogler wurden die Kandidaten von CSU, Freien Wählern, Grünen und SPD für die Vizepräsidentschaften, Tobias Reiß, Alexander Hold, Ludwig Hartmann und Markus Rinderspacher, mit fraktionsübergreifenden Mehrheiten gewählt. Christoph Maier, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD, hatte bereits vor der Abstimmung das Vorgehen der anderen Fraktionen als undemokratisch kritisiert. Alle anderen Fraktionen im Landtag hatten sich seit Tagen gegen eine Wahl eines AfD-Vizepräsidenten ausgesprochen. Rechtlich hat die AfD keinen Anspruch auf einen Landtagsvizepräsidenten.
Insgesamt 203 Abgeordnete gehören dem neuen Landtag an, zwei weniger als bisher. Für 78 Abgeordnete ist es die erste Legislatur mit einem Landtagsmandat. Weil die FDP den Wiedereinzug verpasst hat, sind nur noch fünf Fraktionen vertreten: die CSU mit 85 Abgeordneten (2018 waren es ebenfalls 85), die Freien Wähler mit 37 (2018: 27), die AfD mit 32 (22), die Grünen mit 32 (38) und die SPD mit 17 (22).
(dpa)