Die Zeiten, dass sich „Realos“ und „Fundis“ bei den Grünen erbitterte Kämpfe lieferten, sind schon lange vorbei. Doch auch die danach jahrelang demonstrierte Harmonie in der Partei scheint nicht von Dauer gewesen zu sein – zumindest nicht in Bayern. Erstmals seit langer Zeit müssen beide Landesvorsitzende um ihre Ämter kämpfen.
Die schwäbische Landtagsabgeordnete Eva Lettenbauer wird, wie bereits berichtet, von der ehemaligen oberbayerischen Abgeordneten Gisela Sengl herausgefordert. Und gegen den Landesvorsitzenden Thomas von Sarnowski aus Ebersberg tritt, wie jetzt bekannt wurde, Ludwig Sporrer aus München an. Die Neuwahlen finden Ende Januar beim Landesparteitag in Lindau statt.
Nur in Bayern waren die Grünen noch nie in der Regierung
Der Schmerz über die Verluste bei der Landtagswahl ist in der Partei noch nicht abgeklungen. Zwar schafften die Grünen in Bayern ihr historisch zweitbestes Ergebnis und konnten sich mit 14,4 Prozent klar im zweistelligen Bereich behaupten. Dennoch blieben sie um 3,1 Prozent hinter ihrem Spitzenergebnis aus dem Jahr 2018 und noch viel weiter hinter ihren hochgesteckten Erwartungen zurück. Bayern bleibt vorerst das einzige westliche Bundesland, in dem es die Grünen noch nie an den Kabinettstisch geschafft haben. Die erhoffte Regierungsbeteiligung scheint erneut in weite Ferne gerückt.
Fast noch schmerzhafter als das nackte Ergebnis war für die Grünen die Erkenntnis, dass sie bei den Wählerinnen und Wählern in ländlichen Regionen zum Teil massiv Vertrauen verloren haben. Während ihre Spitzenkandidaten Ludwig Hartmann und Katharina Schulze in ihren Münchner Stimmkreisen stolze 44,1 beziehungsweise 34,1 Prozent der Stimmen holten, schrammte die Partei in Niederbayern und der Oberpfalz hart an der Fünf-Prozent-Marke entlang. Das sorgt für anhaltende Unruhe an der Basis und darf auch als Hauptgrund für die Kampfkandidaturen gesehen werden.
Gisela Sengl – 63 Jahre alt, Landschaftsgärtnerin mit eigenem Hof und Bioladen – bewirbt sich als Vertreterin der Landbevölkerung. „Auf dem Land haben wir die Menschen, die uns schon einmal gewählt haben, verloren“, schreibt sie in ihrer Bewerbung. „Diese Menschen können wir abholen, und zwar da, wo sie stehen, mit der Bereitschaft zuzuhören und mit einer Sprache, die verstanden wird.“ Ähnlich argumentiert Ludwig Sporrer. Der 46-jährige Kulturmanager aus Niederbayern lebt in München und ist dort seit 20 Jahren bei den Grünen aktiv. Auch er weist darauf hin, dass die Grünen „vor Ort wieder genauer hinschauen“ müssten.
Fraktionschefin Schulze lobt Zusammenarbeit mit Lettenbauer und von Sarnowski
Und er spricht sich für eine Grundsatzdebatte aus: „Nach der Landtagswahl sollten wir uns schon mal die Zeit nehmen, darüber nachzudenken, wer wir sind und wohin es gehen soll.“ Inhaltliche Gegensätze zu den Herausgeforderten sind allerdings kaum zu erkennen. Auch Eva Lettenbauer – 30 Jahre alt, Wirtschaftsingenieurin – sieht sich „als Frau vom Dorf, die die Sorgen der Leute kennt“. Ihr Ziel: „Wir Grüne müssen in der ganzen Fläche Bayerns deutlich machen, dass wir Klimaschutz so gestalten, dass er finanziell machbar für alle Leute ist, ihre Lebensgrundlagen und ihre Jobs in Bayern erhält und ihr Eigentum und ihre Gesundheit vor Extremwetter und Hitze schützt.“ Und Thomas von Sarnowski – 36 Jahre alt, Politikwissenschaftler – kann keine Differenzen erkennen: „Es gibt keinen Richtungsstreit bei den Grünen. Wir sind uns einig.“
Tatsächlich scheint es bei den Kampfkandidaturen mehr ums Gefühl zu gehen. Der frühere Co-Fraktionschef, Landtagsvizepräsident Ludwig Hartmann, hält insbesondere Sengl für volksnah und „stammtischtauglich“. Er sagt: „Sie macht unserer Partei mit ihrer Kandidatur ein Angebot, in der Führungsebene der Grünen eine Lücke zu schließen, die im Landtagswahlkampf sehr deutlich geworden ist.“ Fraktionschefin Katharina Schulze lässt eine Präferenz für die Amtsinhaber erkennen: „Mit Eva Lettenbauer und Thomas von Sarnowski arbeite ich eng und vertrauensvoll zusammen und ich freue mich, dass beide wieder antreten.“ Aber alle Beteiligten betonen, dass selbstverständlich die Delegierten das letzte Wort haben.