Claudia Roth hatte da so eine Ahnung. Als Schwäbin, so sagte die Kulturstaatsministerin vor der Kampfabstimmung um den Landesvorsitz der Grünen, drücke sie selbstverständlich der amtierenden Vorsitzenden Eva Lettenbauer, 31, die Daumen. "Aber vielleicht", fügte sie hinzu, "werden es ja zwei Frauen, wer weiß?" Knapp zwei Stunden später war die Überraschung perfekt. Die schwäbische Landtagsabgeordnete Lettenbauer konnte ihr Amt als Parteichefin denkbar knapp gegen ihre oberbayerische Herausforderin Gisela Sengl, 63, verteidigen. Im Rennen um den Co-Vorsitz aber setzte sich Sengl dann – wiederum denkbar knapp – gegen Amtsinhaber Thomas von Sarnowski, 36, durch. Das Ergebnis ist ein weibliches Triumvirat: Gemeinsam mit der Vorsitzenden der Landtagsfraktion, Katharina Schulze, bestimmen jetzt drei Frauen, wo es bei Bayerns Grünen künftig langgeht.
Nach den Verlusten bei der Landtagswahl war die Ausgangslage bei den Grünen kompliziert
Die Ausgangslage vor dem Parteitag in der Inselhalle in Lindau am Wochenende war durchaus kompliziert. Nach den Verlusten bei der Landtagswahl im Herbst standen sich in der Partei im Prinzip zwei Interpretationen des Wahlergebnisses gegenüber. Die eine lautete, verkürzt formuliert: Wir sind gut, aber wir hatten der feindseligen Wahlkampfführung von CSU und Freien Wählern nicht genügend entgegenzusetzen. Die andere lautete: Wir haben, wie die Stimmenverluste in ländlichen Regionen zeigen, auch selbst Fehler gemacht und müssen nach außen sichtbar dokumentieren, dass wir daraus Konsequenzen ziehen.
Als erste Alternative zu der jungen Führungsspitze der Partei – von Kritikern als "Schülersprecher-Duo" verspottet – bot sich die Biobäuerin und langjährige Landtagsabgeordnete Sengl aus dem Chiemgau an. Sie wurde offen unterstützt von Landtagsvizepräsident Ludwig Hartmann, der nach der Wahl sein Amt als Co-Vorsitzender der Landtagsfraktion abgegeben hatte. Danach meldeten sich noch zwei männliche Kandidaten: der Münchner Kulturmanager Ludwig Sporrer, 46, und der Marketing-Berater Robert Herbst, 41, aus Marktoberdorf, denen allerdings von Anfang an wenig Chancen eingeräumt wurden. Von Fraktionschefin Schulze, der dominierenden Kraft bei den Grünen in Bayern, war bekannt, dass sie am liebsten mit ihrem eingespielten Team an der Spitze des Landesverbandes weitermachen wollte.
Lettenbauer und Sengl machten den Delegierten die Entscheidung nicht leicht. Beide hielten eine engagierte Rede, beide bekamen kräftigen Applaus. Lettenbauer warf den Chefs von CSU und Freien Wählern, Markus Söder und Hubert Aiwanger, vor, feindselig gegen die Grünen zu sticheln und Aggressionen zu schüren. Sengl stellte die Frage: "Wie hat es so weit kommen können, dass wir Grüne an allem schuld sind?" Beide Frauen kündigten an, künftig mehr auf die Menschen zuzugehen – im Internet, schon allein um der AfD Paroli zu bieten, wie auch im persönlichen Gespräch.
Die Siegerinnen wurden gefeiert, den herzlichsten Applaus aber erhielt am Ende der tapfere Verlierer
Bei der ersten Kampfabstimmung erhielt Lettenbauer 164 von 321 Stimmen – das entspricht 51 Prozent. Auf Sengl entfielen 154 Stimmen oder 48 Prozent. Es gab eine Nein-Stimme und zwei Enthaltungen. Mit ihrem starken Ergebnis im Rücken meldete Sengl an, dass sie sich auch um den Co-Vorsitz bewerbe, der bei den Grünen nicht zwingend von einem Mann besetzt werden muss.
Thomas von Sarnowski ging in seiner Bewerbungsrede mit Söder, aber vor allem mit Aiwanger hart ins Gericht. Er kündigte an, Klimaschutz wieder zum Thema Nummer Eins zu machen und rief den Delegierten zu: "Wir können Bayern, auch aus der Opposition heraus." Robert Herbst konnte mit seiner Wut-Rede nicht überzeugen. Und Ludwig Sporrer überraschte die Delegierten, als er seine Kandidatur zurückzog und zur Wahl Sengls aufrief, die es dann im zweiten Anlauf auch schaffte. Sie erhielt 164 von 322 Stimmen und damit ebenfalls 51 Prozent. Auf von Sarnowski entfielen 152 Stimmen oder 47 Prozent. Herbst bekam vier Stimmen sowie ein Nein und eine Enthaltung.
Die beiden Siegerinnen wurden gefeiert, den herzlichsten Applaus aber erhielt am Ende der tapfere Verlierer. Von Sarnowski gratulierte Lettenbauer und Sengl: "Ihr werdet es richtig gut machen." Claudia Roth kommentierte: "Das ist genau der Team-Spirit, den wir jetzt brauchen."